Grenzenlos Die amerikanische Eroberung Falludschas ist ein Pyrrhussieg Von Ulrich Ladurner | | | | Foto: Jonathan Knauth/UPI/Gamma/Studio X | | Falludscha ist von der US-Armee zu 90 Prozent eingenommen, oder sind es 70 Prozent oder gar nur 50? Von 17.000 Häusern sind 200 vollkommen zerstört, oder waren es 2.000? 1.000 Rebellen sind ums Leben gekommen, oder waren es 1.000 Zivilisten oder vielleicht 5.000?Die Wahrheit ist, wir wissen das alles nicht mit Bestimmtheit. Wir wissen nur, was von dem US-Oberkommando und der irakischen Regierung behauptet wird. Und davon ist sehr wenig zu halten. Es war ja der Oberkommandierende der amerikanischen Armee, George W. Bush, der am 1. Mai 2003 das Ende der Kampfhandlungen verkündet hatte – und auf diese Siegesmeldung folgte im Irak ein Kampf nach dem anderen, einer heftiger als der andere. Falludscha ist nur der bisherige Höhepunkt des Krieges und der Propagandaschlacht. Trotzdem ist das Wissen um das Geschehene wesentlich, um die Bedeutung der Schlacht von Falludscha zu begreifen. Was also lässt sich mit Bestimmtheit sagen? Die US-Armee ist mit größter Härte gegen die arabisch-sunnitische Stadt vorgegangen. Sie hat 10.000 Soldaten eingesetzt, Panzer, Bomber, Kanonen und alles, was es sonst noch brauchte, um Falludscha in die Knie zu zwingen. Sie hat damit zeigen wollen, dass sie es ernst meint und dass sie bereit ist, jeden Widerstand zu brechen. Die Kommandeure wollten kein Risiko eingehen. Sie haben nach Beginn des Angriffs alle Männer zwischen 15 und 55 Jahren nicht mehr aus der Stadt gelassen. Wer trotzdem versuchte herauszukommen, den haben sie wieder in das Häusergewirr zurückgetrieben. Die US-Soldaten haben ebenfalls Hilfskonvois des Roten Halbmondes gestoppt mit dem Argument, dass sie schon selber Hilfsgüter an die Zivilisten liefern würden. Der irakische Premier Ijad Allawi hat diesem Vorgehen seine Rückendeckung gegeben, indem er ab einem bestimmten Zeitpunkt des Kampfes einfach sagte: »Es gibt keine Zivilisten mehr in Falludscha!« Wohin die 300.000 denn gegangen waren, das konnte er nicht erklären. Allawi hat, wahrscheinlich unfreiwillig, eine ganz andere Wahrheit ausgesprochen: Der Krieg im Irak ist nicht mehr einzuhegen. Die Grenze zwischen Kämpfern und Zivilpersonen wird zunehmend verwischt. Das ist die Logik des Krieges, möchte man sagen, aber es ist zuerst mal die Logik einer Politik, die seit den Attentaten des 11. September 2001 nur mehr zwischen Freund und Feind unterscheidet – ein Dazwischen gibt es nicht mehr, so wie es für die Zivilisten in Falludscha kein Dazwischen mehr gab. Sie haben sich, um bei den Worten Allawis zu bleiben, einfach in Luft aufgelöst – oder auch: in Blut. Aus Falludscha verschwunden ist allerdings der Terrorist und Kopfabschneider Abu Musab al-Sarqawi und mit ihm viele seiner Gefolgsleute. Das wissen wir, denn wäre er gefangen, hätte man ihn den Medien schön aufbereitet präsentiert, wie seinerzeit Saddam Hussein. Von dem hatte es geheißen, dass er hinter allen Gewaltakten gegen die Besatzer stünde. Wenn er gefasst sei, werde dieser Albtraum aufhören. Sie schnappten ihn, und alles wurde noch schlimmer. Al-Sarqawi und seine Anhänger sind weg, um, wie das US-Kommando wissen ließ, »an einem anderen Tag den Kampf wieder aufzunehmen«. Der Tag kam allerdings schnell. Noch während in Falludscha gekämpft wurde, brachten Aufständische Teile der drittgrößten Stadt des Iraks, Mossul, unter ihre Kontrolle. Sie lieferten sich außerdem Gefechte in Ramadi, in Bakuba, in Buhris und anderen kleineren und größeren Städten des Iraks. Auch geografisch scheint der Krieg nicht mehr eingrenzbar zu sein. Denn es ist zwar immer vom Widerstand im sunnitischen Dreieck die Rede, aber Mossul gehört nicht dazu, auch wenn dort Sunniten leben. Dem halten die Besatzer entgegen, dass Kämpfer aus Falludscha eben nach Mossul ausgewichen seien. Wie sie die rund 500 Kilometer nach Mossul in so kurzer Zeit zurücklegen konnten, wie sie es geschafft haben, zu Hunderten schwer bewaffnet unbemerkt dorthin zu gelangen – das bleibt ein Rätsel der US-Strategen. Falludscha, das steht fest, sollte fallen, um den Irak zu befrieden. Nun scheint die Stadt erobert, aber der Frieden ist nicht gekommen, der Krieg hat sich stattdessen ausgebreitet. Falludscha sollte fallen, um endlich den Sunniten klarzumachen, dass sie gefälligst an dem von außen verordneten politischen Prozess teilzunehmen hätten. Das Resultat ist, dass sie nach dem massenhaften Tod ihrer Glaubensgenossen dazu noch weniger bereit sein werden. Glaubt denn jemand ernsthaft, dass man eine ganze Bevölkerungsgruppe an die Wahlurne bombardieren kann? Man täusche sich nicht. Vergossenes Blut ist nicht einfach nur Anlass zur Trauer oder Gelegenheit zu wohlfeiler Empörung; vergossenes Blut verändert die politischen Voraussetzungen fundamental. Jede Militäroperation hat nämlich zur Folge, dass sich die ohnehin schon durch mehrere Kriege und jahrelanges Embargo erschöpfte irakische Gesellschaft weiter zersetzt – ja geradezu atomisiert. Und wer sollen dann die Verhandlungspartner für die Besatzer sein? Stammeschefs, Clanchefs, Oberhäupter mafioser Organisationen? Krieg ist eine Brutalisierungsmaschine, die kaum zu stoppen ist – oder nur dann, wenn der Feind vernichtend geschlagen werden kann. Aber das ist nicht möglich, denn im Irak steht der Feind inzwischen an allen Ecken. Kaum soll er getroffen werden, verschwindet er wieder, um woanders aufzutauchen. Es ist ein endloses, grausames Spiel, bei dem Besatzer wie Besetzte mehr und mehr die Züge ihres Hasses erkennen lassen. Nur so kann man die Erschießung eines wehrlosen, verwundeten Irakers in Falludscha durch einen US–Marine erklären. (c) DIE ZEIT 18.11.2004 Nr.48 |