Otternase fragt mich bzgl. meines Einwands, dass der Gesundheitsaspekt von Autos, insbesondere Dieseln zwar real ist, aber derzeit maßlos übertrieben wird: "Woher weißt Du ... Dass "maßlos übertrieben" wird? Sind die wissenschaftlichen Studien nicht angenehm? Wäre es weniger schlimm, wenn 1.000 Menschen daran sterben?"
Aus Erfahrung. Es gibt hundert ungesunde Dinge von zu wenig Bewegung, zu viel Sport, über falsche Ernährung (was immer das sein mag), Arbeitsstress, Arbeitslosigkeit, bis hin zum Motorradfahren, Rauchen oder Saufen. Natürlich auch Abgase und Lärm. Und alle natürlich mit wissenschaftlichen Studien, Gemeinkosten und Todesfallzahlen unterlegt. Nur sind die Ursache-Wirkung-Zusammenhänge eben nicht so klar, wie die jeweiligen Autoren oder gar Anhänger einer bestimmten Ideologie jeweils glauben machen wollen.
Und selbst wenn sie eindeutig richtig wären, wäre ich dagegen, Bergsteigen, Reiten, Schweinshaxen, Überstunden, Rauchen oder Diesel zu verbieten. Klar kann der Staat dort, wo er gesellschaftliche Risiken sieht, regulierend eingreifen. Sehr vorsichtig aber. Wissend, dass das meistens nach hinten losgeht.
Unter dem Strich werden wir immer älter, und die Rentner immer rüstiger. Daher fällt es mir z. B. schwer, Sofa- oder TV-Hersteller als Killer anzusehen, weil sie Menschen zu weniger Bewegung verleiten.
Klar glaube auch ich, dass NOx und Feinstaub nicht "gesund" sind. Allerdings setzen sie mich nicht wirklich in Furcht und Schrecken. Und dass der Verzicht auf Diesel, sogar Verbrenner allgemein, zu höheren CO2-Emissionen und damit Klimaänderungen führen könnte, erscheint mir durchaus plausibel. Die systemischen Zusammenhänge unserer Welt sind nun mal um wenigstens zwei Größenordnungen komplexer als sich Kreti und Pleti das so vorstellen. Daher halte ich Argumentationen der Art: "Getürkte Diesel -> NOx -> Tote -> Verbot" für grotesk primitiv.
Bisher ist übrigens noch kein Diesel-Hersteller oder seine Manager wegen Gesundheitsgefährdung der Bevölkerung bestraft worden, sondern "nur" wegen Betrugs an Behörden durch absichtlichen Verstoß gegen Auflagen.
Zu deiner Frage: "Wäre es weniger schlimm, wenn 1.000 Menschen daran sterben?" : Ja, klar sind 1.000 Tote weniger schlimm als 10.000, aber schlimmer als 100 oder einer. Hinter solchen oberflächlichen Fragen steht die m. E. kindliche Haltung "Jeder Tote ist ein Toter zuviel". Selbstverständlich nimmt jede Gesellschaft in ihrer permanenten Güterabwägung eine gewisse Menge Schäden einschließlich Verletzter und Toter wissentlich und billigend in Kauf. Wegen anderer Vorteile. Derzeit die Deutschen z.B. gut 3.000 Verkehrstote/Jahr für allgemeine Mobilität. Als ich Führerschein machte, hielten wir übrigens noch gut 17.000 Verkehrstote/Jahr alleine in der BRD für angemessen.
Also ja: Selbstverständlich nehmen wir sowohl als Gesellschaft als auch als Individuen ständig billigend Tote und Verletzte zugunsten anderer Vorteile in Kauf. Selbst unseren eigenen Tod. Und sei es nur für eine schöne Aussicht von einem Berg oder einen Strandurlaub. Ist das eine irgendwie neue Erkenntnis? Für mich nicht. Für mich sind das simpelste Erkenntnisse menschlichen Seins, die mir spätestens seit ich 18 Jahre alt war vertraut sind. Über diese Tatsache kann man nicht streiten, sondern nur um die dahinter stehende Güterabwägung.
Um auf unseren Fall zurück zu kommen: Ist die gesamte Schadens/Nutzen-Bilanz von BEVs besser oder schlechter als die von Dieseln oder Verbrennern? Das ist natürlich endlos schwierig und letztlich gar nicht objektiv zu beurteilen. Aus drei Gründen:
1. Weil man die Systemgrenzen dieser Bilanz sehr verschieden ziehen kann (Source to wheel oder nur lokal am Auto, mit/ohne Produktion, mit/ohne Entsorgung/Recycling,...).
2. Weil völlig unklar ist, welche Kriterien man in die Bewertung einbezieht (Ist Beschleunigung ein Kriterium? Oder die Lust, 800km am Stück zu fahren?)
3. Weil eine Menge der Kriterien nicht vernünftig quantifizierbar und nicht vernünftig auf einen gemeinsamen Bezugswert, z.B. Geld normierbar sind (Was ist der Wert eines Kupferminen-Toten im Kongo, was der eines Ölbohrers in Norwegen? Oder der einer Öl-Tanker-Havarie, oder der einer AKW-Havarie? Was ist der Wert eines an NOx Verstorbenen oder der eines an steigendem Meeresspiegel Ersoffenen? Oder auch bloß der Wert von Gefühlen wie "sauber sein", "schnell sein", "unabhängig sein"?)
Deshalb bin ich vorsichtig mit der Beurteilung von BEVs versus Diesel/Verbrenner und beschränke mich lieber auf simple technische Fragen. Moralische Bewertungen, wie sie hier insbesondere otternase permanent ablässt, halte ich für bescheuert.
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