Ude geißelt Schröder
„So kann man mit uns nicht umspringen“
Christian Ude ist verbittert, dass von der Gemeindefinanzreform nur noch Stückwerk geblieben ist: Was der versammelte Sachverstand der Republik für richtig befunden habe, sei in einer Runde beim Italiener in Hannover vom Tisch gefegt worden. Von Jan Bielicki und Berthold Neff SZ: Herr Ude, sollen Politiker auch im Urlaub Politik machen? Ude: Ich werde das auf Mykonos wie jedesmal mindestens eine Stunde täglich tun, wenn ich per Fax und E-Mail das Neueste aus dem Rathaus lese und die eine oder andere Entscheidung treffe.
SZ: Sie sind aber entsetzt darüber, was Bundeskanzler Gerhard Schröder in seinem Urlaub in Hannover getan hat. Ude: Sicher. Alle deutschen Städte sind enttäuscht und verbittert, dass aus der großen Gemeindefinanzreform, die man uns versprochen hat, ein Stückwerk geworden ist. Ich bin sehr glücklich, dass die Bundestagsfraktionen von SPD und Grünen auf unserer Seite stehen. Sie haben das, was die Reform-Kommission empfohlen hat, gutgeheißen. Nun wurde das, was der versammelte Sachverstand der Republik für richtig befand, in einer Runde beim Italiener in Hannover vom Tisch gefegt. So kann man mit Deutschlands Städten nicht umspringen.
SZ: Sie haben die Bundesregierung bereits vor der Wahl 2002 erschreckt, damals mit Ihrem Ruf, München sei pleite. Wollen Sie Ihren Protest fortsetzen? Ude: Selbstverständlich. Es ist doch grotesk, dass viele Städte seit Jahren verlottern und man still vor sich hin litt, ohne dass dies in der Republik jemanden interessierte. Als die Finanznot auch München erfasste, weil die Gewerbesteuer einbrach, habe ich Alarm geschlagen. Seitdem ist das ein bundesweites Thema. Ich halte es für eine Ehre, für die kommunale Selbstverwaltung zu kämpfen, das gebietet mir mein Amtseid. Wenn die Rechtsaufsicht – wie in einigen Städten Nordrhein-Westfalens – befehlen kann, welche Leistungen einzustellen und welche Gebühren zu erhöhen sind, dann gibt es keine kommunale Selbstverwaltung mehr.
SZ: Aber ist es sinnvoll, während einer Rezession, die München eine Rekordarbeitslosigkeit bescherte, nach höheren Steuern für die Wirtschaft zu rufen? Ude: Wir haben gesagt, dass wir die Hebesätze für die Gewerbesteuer senken, wenn es gelingt, dass die großen Konzerne wieder Steuern zahlen. Die braven mittelständischen Betriebe, die heute diese Steuerlast fast alleine tragen, könnten dann mit einer Entlastung rechnen. Und die Freiberufler können den größten Teil dieser neuen Steuer mit der Einkommenssteuer verrechnen. Wir wollen also keine generelle Mehrbelastung der Wirtschaft, sondern nur, dass die größten Konzerne wieder zur Kasse gebeten werden. Ich erinnere daran, dass Bayerns Ministerpräsident Edmund Stoiber es stets als Skandal gegeißelt hat, dass alle Krankenschwestern und Feuerwehrleute Steuern zahlen müssen, die großen Konzerne aber nicht, weil sie ihre erklärten steuerlichen Gewinne nahezu nach Belieben manipulieren können. Klar ist, dass die Kommunen entlastet werden müssen. Edmund Stoiber sprach von sechs Milliarden Euro, als er – zusammen mit allen Ministern – kürzlich mit dem Präsidium des Bayerischen Städtetags konferierte. Wir haben drei Stunden miteinander gesprochen. Auch als politischer Gegner sage ich: Das ist stilistisch vorbildlich. Eine solche Aussprache hätte ich mir mit der Bundesregierung auch mal gewünscht.
SZ: Was passiert, wenn die Reform im Bundesrat weiter verwässert wird? Ude: Selbst wenn wir alle freiwilligen Leistungen streichen – von der Sing- und Musikschule über die Altenhilfe oder Sportvereine bis hin zu den Theatern – beseitigen wir nur einen Bruchteil unseres Defizits. Ich habe mit dem Kämmerer vereinbart, dass wir einen solchen Kahlschlag nicht vorschlagen. Wir werden beziffern, was wir brauchen, damit man unsere Stadt noch wiedererkennt, und dann die Kredite anmelden. Wenn die Rechtsaufsicht die nicht genehmigen will, soll sie das Ruder übernehmen. Innenminister Günther Beckstein ist das Problem ja vertraut, in Würzburg und demnächst Nürnberg darf er diese Verantwortung schon übernehmen. Das ist auch richtig so, denn der Freistaat ist verantwortlich dafür, dass wir jährlich 150 Millionen Euro an Personalkosten im Schulbereich selber tragen müssen, was es in keinem anderen Bundesland gibt. Ich bin gespannt, ob der Freistaat dann als Rechtsaufsicht das Ende der Altenhilfe und der Jugendfreizeitstätten verfügt. Ich denke, der Volkszorn würde nicht geahnte Ausmaße annehmen.
SZ: Sie wollen in den nächsten fünf Jahren vier Milliarden Euro investieren, die Hälfte davon fehlt aber noch. Könnte selbst eine gute Gemeindefinanzreform dieses Loch stopfen? Ude: Wenn sie so käme, wie wir das wünschen, hätten wir 300 Millionen Euro im Jahr mehr, also 1,5 Milliarden in fünf Jahren. Und wenn dann die Konjunktur anspringt, wäre auch der Rest gedeckt. Diese Hilfe muss zum 1. Januar 2004 greifen, denn dann kommt die vorgezogene Steuerreform, die uns Kommunen 3,5 Milliarden Euro im Jahr kostet.
SZ: Wenn Sie jetzt Sturm gegen die Bundesregierung laufen, könnte dies die Chancen der SPD bei der Landtagswahl am 21. September verschlechtern. Ohnehin haben die Jusos Superminister Wolfgang Clement Hausverbot erteilt... Ude: ... davon weiß ich nichts. Im Gegenteil, wir würden uns freuen, wenn die Verantwortlichen mal die Nähe der Großstädte suchen und deren Probleme zur Kenntnis nehmen würden. Clement hat als Konjunkturminister ja aus seiner Position nie einen Hehl gemacht. Was ich kritisiere, ist Folgendes: Da wird immer wieder der Rettungsdampfer angekündigt, und wenn er dann die Ringe runterwirft, wird er selber Opfer des munteren Schifferlversenkens in Hannover.
SZ: Es fällt ja auf, dass der Bundeskanzler bisher noch keinen Auftritt in München geplant hat. Ude: Die Überlegungen, die dazu geführt haben, kenne ich nicht, aber bekannt ist, dass in den großen Städten das Meinungsklima besonders kritisch ist. Die Gemeindefinanzreform hätte das große Offensivthema der Regierung werden können. Bei 99 Prozent der Menschen, die in Kommunen leben und auf deren Einrichtungen angewiesen sind (die Einödbauern einmal abgesehen), hätte das die SPD-Trumpfkarte schlechthin sein können. Jetzt fallen uns die ungelösten Probleme auf die Füße.
SZ: Schlechte Aussichten also für den SPD-Spitzenkandidaten Franz Maget? Ude: Nur ein Phantast könnte in Zweifel ziehen, dass das Rennen, was die Vergabe des ersten Platzes betrifft, gelaufen ist. Es kommt jetzt darauf an, dass Bayern kein Einparteienstaat wird mit einer übermächtigen, grenzenlos selbstherrlichen Staatspartei, sondern dass wir durch eine starke Opposition für demokratische Verhältnisse sorgen.
SZ: Sie gönnen Stoiber also nicht jene 64,5 Prozent, mit denen Sie 2002 erneut zum OB gewählt wurden? Ude: Das muss nicht sein. Es geht ja auch hier nicht um die Spitzenposition, sondern um die Kräfteverhältnisse im Parlament. Es wäre eine verhängnisvolle Fehlentwicklung, wenn wir eine übermächtige Staatspartei bekämen, die niemand mehr kontrollieren kann. Die Leute müssen sich fragen, ob sie den Durchmarsch einer Partei mit ihren innerparteilichen Seilschaften wollen oder demokratische Verhältnisse mit einer starken Opposition. Das ist, gerade auch durch die ausgebliebene Schützenhilfe aus Berlin, mittlerweile die sehr defensive, aber auch sehr überzeugende Position, für die wir jetzt werben müssen.
SZ: Stoiber wird demnächst 62 Jahre alt, ist also sechs Jahre älter als Sie, aber viele rechnen damit, dass er 2008 erneut antritt. Sie haben bisher gesagt, 2008 ende ihre letzte Amtszeit als Oberbürgermeister. Stehen Sie noch dazu? Ude: Eine Partei hat nur dann eine Zukunft, wenn der Generationenwechsel rechtzeitig erfolgt. Ich habe zu einem unanständig frühen Zeitpunkt gesagt, dass ich gerne bis 2008 Oberbürgermeister wäre. Die zwei Wahlen, die dafür nötig waren, habe ich gewonnen. Ich halte diese Lebensplanung nach wie vor für sinnvoll. Es ist ein unglaublich kräftezehrender Stress, 15 Jahre lang Oberbürgermeister zu sein. Und die SPD darf sich nicht eine Generation lang auf eine Person verlassen. Sie muss jetzt Nachwuchspflege betreiben. Es darf nicht länger heißen, der Papa wird’s schon richten. Quelle: http://www.suedeutsche.de/muenchen/artikel/473/16457/ |