Schröders Coup sorgt für Chaos
Die Neuwahlankündigung des Kanzlers galt als Coup. Mit einer disziplinierten SPD wollte Schröder es noch mal wissen. Doch sein Schweigen über die Details der heiklen V-Frage bewirken das krasse Gegenteil: Schröder steht vor dem 1. Juli schwächer denn je da.
Bundeskanzler Schröder: Partei hat genug vom Überraschungskanzler
Berlin - Eine Masche ihres Kanzlers kennen die Vorständler der SPD nur zu gut. Will Gerhard Schröder nicht über die wirklich drängenden Probleme reden, sucht er sich in den Runden der SPD-Führung im Willy-Brandt-Haus spontan ein anderes Thema. Dann legt der Kanzler los und ist kaum mehr zu stoppen. Den Vortrag beendet er mit den Worten, dass er los muss.
Ähnlich war es heute Morgen. Statt über Neuwahlen, Wahlkampf oder das katastrophale Bild der Regierung in den Medien zu diskutieren, sinnierte Schröder nach einem kurzen Eingangsstatement des Parteivorsitzenden Franz Müntefering über die negativen EU-Referenda. Zur eigenen Lage fiel bis zum Ende der Sitzung kaum ein Wort. Dann musste der Kanzler auch schon wieder weg, Termin in Bitterfeld. Einen Satz zum Wahlkampf rang er sich doch noch ab: "Es lohnt sich zu kämpfen!"
So einfach, wie es sich Schröder vor den Vorständlern machte, wird es jedoch kaum weitergehen. Ein so chaotisches Wochenende wie das vergangene hat die Truppe des Kanzlers trotz Wahlniederlagen schon lange nicht mehr erlebt. Im Rückblick scheint im Turbo-Tempo der Schröderschen Krisenpolitik alles möglich: ein Rücktritt des Kanzlers noch vor dem 1. Juli, ein Scheitern der inszenierten Vertrauensfrage im Bundestag und immer noch auch der vorzeitige Bruch der rot-grünen Koalition.
Zumindest den Gerüchten über seinen vermeintlich bevorstehenden Rücktritt dementierte der Kanzler, bevor er in die Vorstandssitzung ging. "Wildeste Spekulation" nannte er das Szenario, wonach er aufgrund der innerparteilichen Kämpfe schon vor dem 1. Juli hinwerfen und Müntefering das Aufsammeln der Scherben überlassen könnte. Von den Gerüchten sei dringend "Abstand zu nehmen". Dass sich an diesen Hinweis wohl kaum jemand halten wird, muss Schröder klar sein.
Schweigen über die V-Frage
Gleichwohl tut Schröder bisher nichts dafür, die gegeißelten Spekulationen um ihn und seine Regierung einzudämmen. Auch am Montag bekräftigte er über seinen Sprecher Béla Anda, dass er das Prozedere der Vertrauensfrage im Bundestag erst ganz kurz vor dem D-Day bekannt geben werde. Das Schweigen Schröders macht keinen der Beteiligten glücklich. Die eigenen Parlamentarier und die Grünen-Fraktion fühlen sich vom Kanzler auf die Schulbank degradiert, der Bundespräsident überrumpelt. Folglich wird weiter geunkt, gerätselt und vermutet. Keines der Gerüchte aber lässt Schröder nur einen Deut besser aussehen.
Das bisher am häufigsten genannte Szenario ist die Enthaltung des Kabinetts und der parlamentarischen Staatssekretäre bei der Vertrauensfrage. So könnte Schröder symbolisch den Bundestag auflösen, ohne dass die Brüche in seiner eigenen Fraktion zu sehr auffielen. Doch dieser Plan ist verfassungsrechtlich bedenklich.
Schröders Hauptproblem ist, dass sein Kalkül für den Überraschungscoup nicht aufgeht. Die Partei steht weder hinter ihm noch hinter seinem Reformkurs. Die Linken fühlen sich überrumpelt und als Sündenbock in die Ecke gedrängt. Andere, wie Schröders Hannoveraner Ziehsohn Sigmar Gabriel, wollen die Krise für ganz eigene Ziele nutzen. Stück für Stück arbeiten sie bereits an einem neune Erscheinungsbild und einem Personentableau für die Zeit nach einer verlorenen Neuwahl.
"Wer Nachrufe verfassen will, soll lieber den Mund halten"
Wohl auch deshalb rief SPD-Parteichef Müntefering alle Genossen zu mehr Disziplin auf. "Jetzt ist Wahlkampf", lautet so eine Botschaft des Sauerländers. Übersetzt bedeutet das schlicht, dass alle Nörgler endlich Ruhe geben sollen. "Wer Nachrufe auf die Regierung verfasst, sollte lieber den Mund halten", polterte Müntefering. Auch ohne den Namen zu nennen, dürfte die Nachricht bei Gabriel angekommen sein. Der hatte vor Parteifreunden seine Bereitschaft für einen Wechsel nach Berlin erklärt. Von dort wolle er die SPD wieder aufbauen - wohlgemerkt aus der Opposition.
Für lebhaften Unmut sorgten innerhalb der Partei auch kolportierte Passagen aus dem Gespräch des Kanzlers mit Bundespräsident Horst Köhler, die der SPIEGEL veröffentlichte. Demnach nannte Schröder gegenüber Köhler ein "erhöhtes Erpressungspotential" der linken Abgeordneten von SPD und Grünen als Grund für seinen Wunsch nach der Vertrauensfrage. Die Meldung hatte für die Linken Sprengkraft, schließlich schob ihnen Schröder damit den Schwarzen Peter für die missliche Lage zu.
Folglich wehrten sich SPD-Linke und Grüne am Montag vehement. Die SPD-Politikerin Andrea Nahles, die am Wochenende den Reformkurs der Agenda 2010 für tot erklärt hatte, mutierte plötzlich zur Kanzlergetreuen. "Die Linken in der Faktion werden dem Kanzler auf jeden Fall ihr Vertrauen aussprechen", stellte Nahles klar. Die Version einer leisen Erpressung halte sie für "abwegig", so Nahles weiter. Auch der linke SPD-Fraktionsvize Michael Müller betonte, dass die Fraktion immer geschlossen gewesen sei. "Ich wüsste nicht, warum das im Augenblick nicht der Fall sein sollte", sagte Müller in Bezug auf die V-Frage.
Was hat Schröder noch im Ärmel?
Auch die grüne Fraktionschefin Katrin Göring-Eckardt will die Schuld für das Regierungschaos keineswegs übernehmen. "Von Erpressungspotential kann bei unserer Fraktion keine Rede sein", sagte sie. Bei der Frage der Unternehmensbesteuerung habe es in der Tat grüne Abgeordnete mit kritischen Meinungen gegeben. Der Streit sei aber nicht gegen den Kanzler, sondern gegen eine unsolide Finanzierung geführt worden.
Wie es mit der abstürzenden Volkspartei weiter geht, ist momentan nicht abzusehen. Der Kanzler jedenfalls bringt mit seinem Schweigen nicht unbedingt Ruhe in die eigene Partei, die im Moment vom Schröderschen Überraschungsprogramm mehr als genug hat. Die Getreuen von Schröder können nur hoffen, dass er tatsächlich einen guten Plan für den 1. Juli hat.
Matthias Gebauer SPIEGEL
MfG kiiwii
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