"Banker müssen nicht ewig dankbar sein" Der Chef der US-Großbank JP Morgan hält nichts von einer Demutshaltung der Banker nach der Krise. Im Interview mit den Handelsblatt-Redakteuren Rolf Benders und Robert Landgraf erklärt Jamie Dimon, warum Geldinstitute noch größer werden sollten. Handelsblatt: Herr Dimon, JP Morgan ist als einer der Gewinner durch die Krise gekommen und hat sogar noch zugekauft. Was haben Sie besser gemacht als andere? Jamie Dimon: Wir sind risikobewusster als einige andere, und das war schon vor der Krise so. Das versetzte uns in die Lage, durch Übernahme zwei Banken vor dem Kollaps zu retten. Wir haben auch Fehler gemacht. Aber wir hatten immer ausreichend Kapital und Liquidität. Handelsblatt: Kritiker sagen aber, JP Morgan sei durch die Krise so groß geworden, dass die Bank bei Problemen wieder vom Staat gerettet werden müsste. Stimmt das? Dimon: Nein, wir sind nicht "too big to fail". Jede Bank wird in Zukunft abgewickelt werden können. Das sieht das neue Regulierungsgesetz hier in den USA ja vor. Handelsblatt: Und das ist wirklich möglich? Dimon: Es kann nicht sein, dass Banken durch ihre Pleite das Finanzsystem insgesamt gefährden. Und dies zu verhindern ist auch machbar. Früher haben die Behörden ein Institut aus dem Markt genommen, ohne dass die Verwerfungen riesig gewesen wären. Hier bewegt sich eine Menge, damit wir wieder so weit kommen. Handelsblatt: Das heißt, erfolgreiche Großbanken wie JP Morgan oder die Deutsche Bank sollten weiter wachsen dürfen? Dimon: Ja, ganz genau. Wir werden sowohl in den USA als auch in Asien und anderswo wachsen. Jeden Tag eröffnen wir neue Filialen hier in den Staaten. Das Streben nach Wachstum ist ein Kernelement unseres Wirtschaftssystems, auch im Finanzsektor. Handelsblatt: Die Öffentlichkeit hat aber Angst vor den wachsenden Finanzgiganten, weil sie alle Banken in der Krise vor dem Kollaps retten musste. Dimon: Das ist so nicht korrekt. Washington hat in der Krise das Richtige getan und alle großen US-Banken mit Kapital ausgestattet, um das Finanzsystem zu stabilisieren. Einige brauchten das Geld wirklich, wir nicht. Handelsblatt: Die Öffentlichkeit sieht das angesichts der 25 Milliarden Dollar, die JP Morgan erhalten hat, aber anders. Dimon: Mag sein, aber davon kann ich mich nicht leiten lassen. JP Morgan hat nicht um das Geld gebeten, und wir haben es zum frühestmöglichen Zeitpunkt, den die Regierung erlaubt hat, mit Zinsen zurückgezahlt. Handelsblatt: Das Bankensystem als Ganzes hat die Krise verursacht, musste gerettet werden und steht daher beim Steuerzahler in einer Lebensschuld, oder? Dimon: Nein. Die Menschen glauben, dass alle Banker ihnen auf ewig dankbar sein müssen und sie an der Krise allein schuld waren. Aber das ist falsch. Handelsblatt: Wer trägt dann Mitschuld? Dimon: Alle Akteure haben eine Rolle gespielt: die Finanzinstitute, die Politik, die Hypothekenfinanzierer, die Investoren und die Regulierer. Die Liste ist endlos lang. Handelsblatt: Können die Banken irgendetwas tun, um ihr Image schnell zu reparieren? Dimon: Nein, das kann sich nur über die Zeit ändern. Jeden Tag stehen unsere 240000 Mitarbeiter auf und arbeiten für unsere Kunden. Sie vergeben beispielsweise jeden Tag Kredite. Wir haben Unternehmen gerettet. Wir tun viele gute Dinge. Handelsblatt: Können Sie ein konkretes Beispiel nennen? Dimon: Wir haben zum Beispiel in Deutschland 3,5 Millionen Dollar für ein Weiterqualifizierungsprogramm für jugendliche Langzeitarbeitslose gespendet. Das ist die bislang größte Einzelspende der Bank außerhalb der USA. Die "Jobact"-Initiative hat eine mehr als doppelt so hohe Vermittlungsquote wie herkömmliche Maßnahmen. Handelsblatt: Banker gelten vielen Menschen heute geradezu als Verbrecher. Ihrem Haus wird nun sogar vorgeworfen, es hätte frühzeitig vom Milliardenschwindel des Bernard Madoff gewusst. Was ist da dran? Dimon: Die Vorwürfe sind schlicht falsch. Mehr kann ich dazu hier nicht sagen. Handelsblatt: Sie gelten als ein Kritiker des neuen Regulierungsgesetzes. Warum? Dimon: Um das klar zu sagen: Die Krise hat viele Probleme aufgedeckt, die jetzt mit einer neuen, besseren Regulierung in den Griff gebracht werden. Deswegen unterstützen wir das Bemühen um mehr Eigenkapital und eine höhere Liquidität, die geordnete Abwicklung von Banken, ein stärkeres Einbinden von Abwicklungshäusern. Die meisten der neuen Regelungen sind sinnvoll. Handelsblatt: Wo liegt dann die Kritik? Dimon: Wir brauchen in den USA nicht mehr Aufseher, sondern weniger, aber auch stärkere, bessere Aufseher. Mehr Klarheit und weniger Überlappungen sind nötig. Wer ist für was verantwortlich? Durch die neuen Gesetze wird das alles nur noch verwirrender. Handelsblatt: Führen die neuen Regeln nicht zur Flucht bestimmter Geschäftsbereiche wie den Eigenhandel in Schattenbanken wie Hedge-Fonds und Private Equity? Dimon: Das steht zu erwarten. Handelsblatt: Muss sich bei der Regulierung des Schattenbankenmarktes etwas ändern? Dimon: Ja. Es wird zu einer stärkeren Regulierung der Schattenbanken kommen. Davon bin ich fest überzeugt. Die Aufseher haben ihre Lektion in der Krise gelernt. Handelsblatt: Ein Regulierunggesetz schränkt auch Ihre Möglichkeiten ein, im Zahlungsverkehr mit dem Einzelhandel Gebühren zu erheben. Wie reagieren Sie darauf? Dimon: Feste Vorgaben für Gebühren kann ich nicht akzeptieren. Denn wir dürfen nicht das verlangen, was das Geschäft wirklich kostet. Dafür werden andere Produkte vermutlich teurer werden, etwa das bislang oft kostenlose Girokonto. Einige einkommensschwache Kundengruppen werden vielleicht keinen Zugang zu Girokonten mehr haben. Handelsblatt: Die Regulierung war ein persönliches Anliegen von Präsident Obama. Hat Ihr zuvor glänzendes Verhältnis gelitten? Dimon: Unser Verhältnis hat sich nicht signifikant verändert, und ich habe sehr großen Respekt für den Präsidenten. Wir kennen uns ja aus unserer gemeinsamen Zeit in Chicago, lange bevor er sich um das Präsidentenamt beworben hat. Wir mochten uns, und das blieb auch inmitten der Krise so. Handelsblatt: Erschweren die neuen Gesetze den Wirtschaftsaufschwung in den USA, weil die Banken sich zurückhalten? Dimon: Insgesamt machen viele der jetzt angeschobenen Änderungen das Leben für manche Unternehmen schwerer. Aber den Wirtschaftsaufschwung hierzulande bremsen sie nicht. Die USA gewinnen sowieso wieder deutlich an Stärke, ich sehe Europa eher betroffen. Handelsblatt: Warum? Dimon: Die europäischen Institute nehmen Volumen aus der Bilanz heraus und bereiten sich damit auf die Zeiten von Basel III vor. Ohne Zweifel geht Basel III die richtigen Fragen an, aber gerade in Europa könnte es die Kreditversorgung der Wirtschaft erschweren. Handelsblatt: Eifern Sie dem Modell der Citigroup nach, überall in der Welt vertreten zu sein? Dimon: Nicht insofern, als wir in absehbarer Zeit kein globales Konsumentengeschäft aufbauen wollen. Aber wir begleiten die multinationalen Unternehmen, und die sind nun einmal überall in der Welt vertreten. Das gilt für Thyssen-Krupp genauso wie für BMW. Wir geben Einblick und analysieren beispielsweise 150 chinesische Unternehmen. Auf diese Weise geben wir Investoren Einblick in diese Welt. Handelsblatt: Asien scheint die Region der Zukunft für das Bankgeschäft zu sein ... Dimon: Klar. Wir wissen, dass die Wirtschaft dort von einem niedrigen Niveau aus stark wächst, die Bevölkerung ebenfalls. Die dortigen Länder können von den jahrhundertelangen Erfahrungen im Westen lernen. Handelsblatt: Aber baut sich da nicht eine Blase, etwa am Immobilienmarkt, auf? Dimon: Wir sehen das in den Wertpapierpreisen nicht. Ich glaube nicht, dass diese Entwicklung die Volkswirtschaft wirklich schädigen könnte. Außerdem wächst der Markt noch. Zudem fällt es China leichter, aus einer Blase die Luft schrittweise zu lassen, weil die Notenbank den Instituten - anders als bei uns - ganz genau vorschreiben kann, ob und wie viele Kredite sie geben. Handelsblatt: Derzeit gibt es Unruhen im Nahen Osten, vor allem in Ägypten. Wie groß ist die Gefahr für die Weltwirtschaft? Dimon: Man kann Kaskadeneffekte nicht ausschließen. Als ein Beobachter der Geschichte meine ich, geopolitische Risiken gibt es schon immer, man kann sie nicht verhindern. Meine Hoffnung im Zeichen der Menschlichkeit ist es, dass wir smarter werden und dass die Menschen und die Länder sich weiterentwickeln in Richtung Demokratie. Handelsblatt: Auch in Griechenland gibt es immer wieder gewalttätige Demonstrationen. Wäre eine Ausfall des Landes am Anleihemarkt der Tod des Euro? Dimon: Das Problem wird sicher gelöst. Den Euro kann das nicht gefährden. Der ist eine der größten Errungenschaften der modernen Welt, ja der Menschheit. Wir kommen wirtschaftlich zusammen und leben in Frieden. Das kann man nicht aufgeben. Das wissen die Entscheidungsträger in Berlin und Paris. Handelsblatt: Was muss konkret geschehen? Dimon: Man wird mit Zuckerbrot und Peitsche arbeiten müssen. Künftig müssen Dinge wie die sozialen Sicherungssysteme geändert werden. Sie müssen überall in Europa gleich sein. Da können nicht Beschäftigte aus einem Land mit 50 in Rente gehen und in einem anderen mit 60. Das ist weder fair, noch kann das funktionieren. Handelsblatt: Gibt es den Euro in fünf Jahren noch? Dimon: Die Chancen stehen gut. Ja. Handelsblatt: Bekommen wir eine Verschiebung der Währungsgewichte? Zieht die Ära des chinesischen Yuans auf? Dimon: Amerika und Europa stehen jeweils für ungefähr ein Drittel der Weltwirtschaft. Das sind Fakten, die Weltwährungen kreieren. Hier geht es um zwei riesige Wirtschaftsblöcke. Was auch immer in der Welt passiert, Amerika und Europa werden noch über Jahre wichtig bleiben. Natürlich wachsen andere schneller, doch den Abstand aufzuholen, geht nicht von heute auf morgen. Handelsblatt: Die Euro-Krise ist das eine, aber Amerika hat auch ein riesiges Schuldenproblem. Ist das lösbar? Dimon: Nicht von heute auf morgen. Wir müssen ein paar ernste Probleme angehen. Aber wir werden es schaffen, das Haushaltsdefizit abzubauen, da bleibe ich Optimist. Handelsblatt: Wird es hier harte Entscheidungen vor der Präsidentenwahl 2012 geben? Dimon: Ich hoffe es. Denn manchmal reagieren die Märkte schneller als man denkt. Deshalb sollten ein paar wichtige Entscheidungen schon vorher angegangen werden. Handelsblatt: Wie könnten die Märkte frühzeitig reagieren? Dimon: Etwa bei den Anleihekursen. Wenn die Anleger Angst vor Inflation bekommen, dann stehen wir vor einer schweren Zeit. Dann können die Kurse ganz schnell fallen. Wenn etwa deutsche Anleger dann keine US-Staatsanleihen mehr kaufen, wird es noch schwerer, die Schuldenprobleme zu lösen. Handelsblatt: Haben Sie das Gefühl, dass die Chinesen sich beim Kauf der Anleihen zurückhalten? Dimon: Nein. Sie sind praktisch gezwungen zu kaufen. Sie bekommen Dollar für ihre Waren. Und der einzige Weg, das Geld anzulegen, ist der Dollar. Gewiss diversifizieren die Chinesen ihre Anlagen. Das geht aber nur in gewissem Ausmaß. Als große Anlagewährungen kommen nur der Dollar und der Euro in Frage. Handelsblatt: Was macht Sie so sicher, dass die US-Regierung am Ende die richtigen Maßnahmen ergreift? Dimon: Winston Churchill hat mal gesagt: "Amerika findet immer die richtige Lösung, nachdem es alle anderen Optionen ausprobiert hat." Handelsblatt: Ist der Immobilienmarkt nicht die Achillesferse der US-Wirtschaft? Dimon: Wir sind vielleicht zur Hälfte durch die Immobilienkrise. Ganz werden wir das Problem nur hinter uns bekommen, wenn die Wirtschaft wieder ordentlich wächst. Die Chancen dafür sind gut. Die Bevölkerung wächst um 1,5 Millionen Menschen jährlich, die benötigen Autos, Waschmaschinen, Windeln, aber auch Wohnungen und Häuser. Handelsblatt: Neben dem Immobilienmarkt bedroht nach Meinung einiger Experten ein Kollaps von Bundesstaaten und Kommunen die Erholung, sehen Sie dieses Problem nicht auch? Dimon: Wir haben in den USA 14000 Kommunen. Davon haben ein paar Hundert Schwierigkeiten. Mehr nicht. Das wird Amerika nicht davon abhalten zu wachsen, selbst wenn einige pleitegehen. Handelsblatt: Wo steht dann also der Aufschwung in Amerika? Dimon: Wir sind mitten drin. Schauen Sie, um die meisten Dinge ist es besser bestellt als vor einem Jahr. Der Konsum springt wieder an. Handelsblatt Ein ganz anderes Thema, das Deutschland beschäftigt, ist eine gesetzlich festgeschriebene Frauenquote. Wie stehen Sie dazu? Dimon: Ich glaube grundsätzlich nicht, dass Quoten der richtige Weg sind. Ja, auch meine drei Töchter müssen sich durchbeißen, wenn sie an die Spitze wollen. Viel wichtiger ist es, die richtigen Grundlagen zu legen - etwa in den Schulen. Da sollten alle die gleichen Chancen besitzen. Handelsblatt: Herr Dimon, wir danken Ihnen für das Gespräch. |