"07. August 2009
Zuckerrohr ist eine kapriziöse Pflanze. Sie benötigt große Hitze und viel Regen -, aber auf keinen Fall während der Erntesaison - und auch sonst sollte sich das Wetter am besten nach den Wachstumsphasen der Pflanze richten. Wenn das Klima jedoch nicht mitspielt, entsteht schnell ein Defizit auf dem Zuckermarkt und die Preise schießen in die Höhe - wie sich an dem Chart für den Terminkontrakt Nummer 11, der im Oktober fällig wird, ablesen lässt.
Bei knapp 20 Cent je Pfund kostete Zucker am Donnerstag New York so viel wie seit 28 Jahren nicht mehr, allein seit Mitte Juni hat sich der Rohstoff um mehr als 20 Prozent verteuert. Und es sieht nicht so aus, als ginge der Zucker-Rally schon bald die Luft aus. Die kurzfristigen Marktteilnehmer setzen weiter auf steigende Preise, die Netto-Long-Positionen sind auf das höchste Niveau seit anderthalb Jahren gestiegen.
Jahresverbrauch von 22 Millionen Tonnen Zucker
Doch ein Engagement am Agrarmarkt ist stets hochriskant: „Das Wetter ist kurzfristig der wichtigste und am wenigsten voraussagbare Einflussfaktor für den Zuckerpreis“, sagt Sergey Gudoshnikov, Chefökonom des internationalen Zuckerverbandes (ISO). Ein Monat sehr gutes oder schlechtes Klima könnte das gesamte Weltmarktangebot durcheinanderwirbeln.
Im Moment ist das Wetter nicht auf der Seite der Zuckerbarone, vor allem in Indien. In den Hauptanbaugebieten im Norden des Landes sorgt das Wetterphänomen El Niño dafür, dass der Monsun praktisch ausbleibt. Die Ernteausfälle sind vor allem im Bundesstaat Uttar Pradesh so gravierend, dass Indien, der zweitgrößte Zuckerproduzent der Welt, in diesem Jahr vom Nettoexporteur zum Nettoimporteur wird. Das indische Landwirtschaftsministerium hat die Ernteschätzungen mittlerweile auf 17 Millionen Tonnen revidiert. Dem steht ein Jahresverbrauch von 22 Millionen Tonnen Zucker gegenüber.
Unkalkulierbarer Faktor Wetter
Nirgendwo auf der Welt wird so viel Zucker konsumiert wie auf dem Subkontinent. „Wir rechnen in diesem Jahr mit einem Defizit von 5 Millionen Tonnen auf dem Markt“, sagt Axel Herlinghaus, Rohstoffanalyst der DZ Bank. Schon im vergangenen Jahr war es in Indien eng geworden, das Erntejahr 2008/09 wurde mit einem Defizit von 10,6 Millionen Tonnen abgeschlossen, nachdem man in der Vorsaison noch 10,3 Millionen Tonnen Überschuss produziert hatte.
Indien gilt als „Swing-State“: Entweder es wird sehr wenig oder sehr viel Zucker produziert. In diesem Jahr wird die Produktionsmenge zusätzlich auch noch dadurch geschmälert, dass ohnehin wenig Zuckerrohr gepflanzt worden war und der Einsatz von Düngemitteln aufgrund der Wirtschaftskrise nur sehr spärlich ausfiel. Nach Angaben der ISO sieht es zwar bislang so aus, als könnte Brasilien, der größte Zuckerproduzent der Welt, das Defizit in Indien ausgleichen - auch wenn Gudoshnikov ausdrücklich auf den unkalkulierbaren Faktor Wetter hinweist.
Dazu gesellt sich in Brasilien noch eine weitere wichtige Einflussgröße: Das größte Land Lateinamerikas hat in den vergangenen Jahren einen starken Fokus auf die Ethanolproduktion gelegt, sich gar zum Ziel gesetzt, zum „Saudi-Arabien Südamerikas“ aufzusteigen. „Die Kapazitäten zur Zuckerproduktion sind in Brasilien begrenzt, denn die neueren Mühlen sind allein für die Ethanolherstellung ausgelegt“, gibt Herlinghaus zu bedenken. Zudem bilden die steigenden Ölpreise einen Anreiz, aus dem Zuckerrohr eher Treibstoff als Nahrungsmittel zu machen.
Lust auf Süßes
Auch in anderen Weltgegenden ist das Zuckerangebot in den vergangenen Jahren eher geschrumpft, während der weltweite Konsum jährlich um 2 bis 3 Prozent wächst. Seitdem in der Europäischen Union vor einigen Jahren die neue Zuckermarktverordnung verabschiedet wurde, ist der Rübenanbau für die Bauern zunehmend unrentabel geworden. So hat sich auch die EU von einem Exporteur zu einem Importeur gemausert.
„Der Zuckerpreis wird seit einiger Zeit vor allem vom Angebot bestimmt“, sagt Eugen Weinberg, Rohstoffanalyst der Commerzbank. Er rechnet damit, dass der Preis in diesem Jahr noch bis auf 30 Cent je Pfund steigen könnte, um sich danach auf hohem Niveau zu stabilisieren. „Bei diesem Rohstoff ist der Preis nicht von Erwartungen, sondern von einer tatsächlichen Knappheit getrieben“, sagt Weinberg. Der Zuckerpreis folge im Moment seinem typischen Verlauf: Auf lange Seitwärtsbewegungen folgen rapide Anstiege. Doch nach einer kurzen Stabilisierung auf hohem Niveau gehe es dann auch wieder abrupt nach unten.
Auch Herlinghaus rechnet mit einem weiteren Preisanstieg: „Die Marktteilnehmer sind äußerst optimistisch gestimmt, weil die Fundamentaldaten so positiv sind“, hat er beobachtet. „Solange der Dollar auf dem niedrigen Niveau bleibt, wird auch der Zuckerpreis steigen“, sagt auch Gudoshnikov. Allerdings hält er es noch nicht für eine ausgemachte Sache, dass Indien auch wirklich 5 Millionen Tonnen Zucker einführen wird. „Die Importeure in den Schwellenländern reagieren sehr sensibel auf hohe Preise“, sagt er. Nach Weinbergs Erfahrung ist die Zuckernachfrage hingegen wenig elastisch. An der Lust auf Süßes könne auch ein hoher Preis nichts ändern.
Text: F.A.Z."
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