Was steff schreibt ist zum Teil richtig, wird aber, wie die meisten anderen Kommentare hier, dadurch zerstört, dass es zu einseitig ist.
Es spielt durchaus eine Rolle, ob der Preisverfall von den USA und Saudi-Arabien künstlich erzeugt wird oder nicht, weil man dadurch seine eigene Kalkulation machen kann. Ein absichtlich verringerter Ölpreis kostet Geld, viel Geld und wird nicht ewig Bestand haben können. Das System strebt immer den Gleichgewichtszustand an - auch in diesem Fall. Insofern ist dieser Faktor wichtig und verdient es berücksichtigt zu werden.
Im Übrigen muss erwähnt werden, dass aufgrund dieses mutmaßlich absichtlich herbeigeführten Preisverfalls, nicht nur russische Unternehmen leiden, sondern die gesamte Branche und das weltweit. Diese Strategie, sollte sie Obama wirklich fahren, ist kostenintensiv, sowohl geldlich als auch politisch. Denn eine derart große Marktmanipulation erfordert enorme Ausgaben und schafft zusätzlich neue Konflikte, weil auch Länder wie Kasachstan, der ohnehin instabile Irak, Aserbaidschan, etc. davon nicht vollständig überzeugt sein werden. Vom Iran brauchen wir gar nicht erst sprechen - die Atomverhandlungen dürften sich unter diesen Vorzeichen eher schwieriger gestalten. Wie die Sache für Saudi-Arabien ausgeht, ist auch unbekannt, vielleicht tauchen dort ja Männer mit noch längeren Bärten als bisher auf, vom Ausland finanziert, was den Ölpreis in die Höhe befördern dürfte. Niemand ist auf solche Unbekannten eingestellt, das ist das eine. Niemand kann den Preis über langfristig manipulieren, das ist das andere.
Was Chodorkowski betrifft wissen wir leider zu wenig, wir wissen nicht, warum er eigentlich zu so einem Zeitpunkt überhaupt rausgekommen ist (sicherlich nicht aufgrund von Putins Güte - es wäre so gesehen besser gewesen ihn jetzt als Zeichen der Entspannung rauszulassen, als vorher), wir wissen nicht warum er die letzten Jahre überhaupt überlebt hat, was insoweit verwunderlich ist, als Putins Feinde eine erhöhte Sterblichkeitsrate aufweisen. Seine Äußerungen zur Krim beispielsweise sind in diesem gesamten Zusammmenhang ziemlich rätselhaft. Manchmal, zu fortgeschrittener Stunde wie jetzt, frage ich mich, was die gesamte Causa Chodorkowski eigentlich sollte und ob er wirklich der ist, als den man ihn im Westen einerseits und in Russland andererseits darstellt. Vielleicht sind ja beide Verisonen falsch und fürs dumme Volk gedacht - die vom enteigneten Businessman und die andere vom Steuerhinterzieher.
Immerhin wissen wir aber, dass wir nicht alles wissen und das ist schon einmal etwas.
Natürlich korreliert das Aufwärtspotenzial und auch das Potenzial nach unten bei Gazprom mit den Rohstoffpreisen. Und natürlich gibt es hier viele Unbekannten, wie zum Beispiel mögliche Enteignungen, die zu den "normalen" Risikofaktoren hinzukommen. Natürlich kann dieser Konflikt noch länger dauern, aber man darf bei all den Risiken auch nicht den Blick für die Chancen verlieren. Es geht ja letztlich nicht darum sein ganzes Geld in eine Aktie zu stecken - jedenfalls für mich nicht. Deswegen hat auch jeder hier mein Verständnis, der schon drinsteckt. Es ist aber vielleicht auch egal, das Geld der Anleger war jedenfalls futsch.
Man muss nämlich auch die andere Seite festhalten. Die kann jeder sehen, wenn er dieser Tage nach Russland fährt. Visum holen, in den Billigflieger und sich mal das ganze anschauen - kann ich sehr empfehlen und muss auch nicht unbedingt sehr teuer sein. Jedenfalls ist man in Russland trotz aller Probleme weit von einer humanitären Katastrophe entfernt. Sicher, einzelne Produkte, auch Lebensmittel, sind in ihrem Preis veritabel gestiegen. Das merkt man, wenn mann durch den Supermarkt schlendert. Manches ist deutlich teurer als in Deutschland, aber ernsthafte Versorgungsengpässe habe ich nicht feststellen können. Dafür, dass sich die Supermarktketten (auch die ausländischen wie Auchan) in Windeseile neue Lieferanten suchen mussten, ist die Lage in dieser Hinsicht nach meinem Eindruck wirklich ordentlich. Nicht gut, aber auf hohem Niveau überlebbar.
Ein anderer wichtiger Punkt ist, dass ich bislang auch nicht erkennen kann, dass Putin in Russland die Systemfrage stellt. Einen Rückfall in die Zeit der Sowjetunion sehe ich nicht, es herrscht immer noch Marktwirtschaft. Dass die Regierung aktiv an einer Wende um 180° interessiert arbeiten würde und bolschewistische Auswüchse entstünden kann ich nicht beobachten. Die meisten Medien schreiben diesen Unsinn aber schon seit längerer Zeit herbei. Allein, wirkliche Indizien dafür gibt es nicht. Also, den westlichen Medien nach ist in Russland schon längst ein dunkles Zeitalter angebrochen, davon ist aber nicht außerordentlich viel zu spüren, zumindest ist es nicht dunkler als anderswo.
Die Situation ist nicht ideal, aber andererseits gibt es auch gewisse Standortvorteile. Dummheiten wie die Frauenquote und die Energiewende bleiben diesem Land erspart. Wahrscheinlich werde ich in Deutschland wegen dieser Aussage in 15 Jahren festgenommen werden und rückwirkend als Frauenfeind und Umweltsau zu lebenslangem Öko-Arbeitslager im Sojafeld bei veganer Rohkost verurteilt werden. Ich nehme diese Beispiele zurück und sage: Die Frauenquote ist richtig! Die Energiewende ebenso! Überhaupt alles was die Regierung macht. Und das Schlafzimmer sollte übrigens auch eine Videostandleitung zum Geheimdienst haben, ich habe ja nichts zu verbergen! Und wer Fleisch isst, sollte selbst geschlachtet werden! Krieg ist Frieden! Freiheit ist Sklaverei! Unwissenheit ist Stärke!
Um zur Beurteilung zurückzukommen: Ich sehe eine gewisse Chance, dass die EU/USA bei genügend langer Konfliktdauer die Regierung Poroschenko fallen lässt. Vielleicht kommt dann der Vorgänger, der sich ja noch immer als legitimen Präsidenten sieht. In jedem Fall wird Russland eine Nato-Mitgliedschaft der Ukraine nicht zulassen. Das ist die rote Linie und Putin wird eine Überschreitung nicht dulden. Um keinen Preis. Das bedeutet, dass der Kurs der Aktie noch fallen könnte, solange das in den westlichen Hauptstädten nicht eingesehen wird und Poroschenko weiterhin unterstützt wird und der Krieg weitergeht. Es gibt noch einen weiteren begrenzenden Faktor: Die Regierung wird diesen Krieg nicht ewig führen können, weil es unmöglich ist, die Leute jahrelang per Einberufungsbescheid in die Armee zu zwingen. Irgendwann wird sich die Stimmung umkehren und dann gehen die gleichen Leute, die auf dem Maidan waren, der Regierung an die Gurgel. Möglich, dass Putin darauf setzt.
Grundsätzlich ist meine Position weiterhin: Wäre ich hier drin, würde ich wahrscheinlich dabeibleiben. Bei Kursen von unter vier Euro werde ich wohl einsteigen, sofern dann noch nicht der dritte Weltkrieg ausgebrochen ist und ich das Geld für meine Flucht brauche ;-). |