eigentlich im politischen Spektrum genau meinen soll.
Also zitieren wir doch mal Bettina Gauss
https://www.ndr.de/kultur/gedankenzurzeit1500_page-2.html
...Vor diesem Hintergrund ist es wenig erstaunlich, dass Alexander Gauland, ein erfahrener Publizist und seinerzeit noch Vorsitzender der AfD, die Chance erkannte, die in der Auseinandersetzung nach der Sachsen-Wahl für seine Partei lag. Würde die AfD auch von Leuten, die niemals auf die Idee kämen sie zu wählen, als "bürgerlich" anerkannt - sie wäre in unmittelbarer Reichweite der Macht. Gauland veröffentlichte einen Beitrag in der Tageszeitung "Welt", in der er die - ja durchaus berechtigte - Frage stellte, wer denn eigentlich für sich beanspruchen dürfe, zu definieren, was "bürgerlich" sei. Wörtlich schrieb er: "Wer ernennt eigentlich die Bürgerlichen? Haben sie das, historisch gesehen, nicht selbst getan? Ist es nicht der Kern der Bürgerlichkeit, sich selbst zu erschaffen?" Und weiter: "Als Adliger wurde man geboren, ein Bürgerlicher musste - und konnte - man werden durch Leistung." Letzteres ist allerdings nachweislich falsch. Um dieses - ziemlich platte - Argument noch einmal zu widerlegen, dieses Mal auf historischer Ebene: Eine Bauerstochter oder ein Fabrikarbeiter hatten zu Beginn des 20. Jahrhunderts so gut wie gar keine Möglichkeit, ins Bürgertum aufzusteigen. Die Behauptung von Gauland ist der reine politisch-historische Kitsch. Weiter schrieb er: "Der Bürgerliche schätzt das Eigene, denn es ist seiner und seiner Väter Arbeit." Selbst wenn er die Arbeit der Mütter auch noch erwähnt hätte: Das ist ein Satz, der sich wunderbar als kleinbürgerlich und spießbürgerlich entlarven lässt. Abgrenzend, nur auf das eigene Wohlergehen bedacht, selbstgefällig, engstirnig. Dabei beinhaltet "bürgerlich" für viele derer, die sich selbst nun als Teil dieser Schicht sehen oder sehen wollen, genau das Gegenteil: Interesse am und Engagement für das Gemeinwohl. Ja, was denn nun? Seit "bürgerlich" und "Bürgertum" als Kampfbegriffe ausgedient haben, sind sie seltsam schwammig geworden. Alle suchen sich das heraus, was ihnen in der tagespolitischen Auseinandersetzung gerade nützlich zu sein scheint. Man könnte neidisch werden auf die Franzosen. Die haben es vergleichsweise leicht: Sie unterscheiden zwischen dem "Citoyen" und dem "Bourgeois", da steht immer gleich fest, wer gemeint ist. Der Staatsbürger (und, damals nicht erwähnt, heute aber mitgemeint: die Staatsbürgerin), der und die im Geist der Aufklärung freiheitlichen Werten verpflichtet ist und sich an der Gestaltung des Gemeinwesens beteiligt - also der Citoyen - steht dem reaktionären, ausbeuterischen Besitzbürger - dem Bourgeois - gegenüber. Im Deutschen ist die Sache so eindeutig eben nicht. ... ----------- the harder we fight the higher the wall |