Die Folgen kann Markus Bangen im Duisburger Hafen beobachten. Er braucht nur aus dem Fenster seines Büros zu schauen. Da stapeln sich die Container, rote auf gelben, grüne auf blauen, es sind viele, und es werden immer mehr: „Das ist wie beim Spiel Tetris auf dem Nintendo“, sagt Bangen, „wenn es einmal verstopft ist, können Sie gar nicht so schnell gucken, wie es sich weiter verstopft.“
Bangen ist Vorstandschef von Duisport, Europas größtem Binnenhafen. Mit China ist dieser vielfach verbunden – auf dem Wasserweg, mit Zwischenstation in den Überseehäfen Rotterdam und Antwerpen, und über Land, per Zug über die „Neue Seidenstraße“. So heißt das riesige Infrastrukturprojekt, mit dem Peking Europa und Asien verbindet. Ein Drittel aller Waren, die nach Europa geliefert werden, kommt hier an. Wenn sie denn kommen.
„Die vollen Auswirkungen der Lockdowns in China stehen uns noch bevor“ Markus Bangen, Chef des Duisburger Hafens
Dass es bei Bangen dennoch voll ist, hat einen einfachen Grund: Wie Wochenendeinkäufer, die sich wegen des Ukraine-Kriegs literweise mit Sonnenblumenöl eindecken, hamstern Unternehmen wichtige Komponenten. Sie schauen gen China und fürchten um ihren Nachschub.
Also kaufen sie Teile auf Vorrat. Weil ihnen aber der Lagerplatz fehlt, bleibt die Lieferung in Duisburg stehen. Im Schnitt 16 Tage, achtmal länger als normal, stünden die Kisten nun bei ihm herum, sagt Bangen. Die zur Abschreckung gedachten Strafzahlungen nehmen die Firmen in Kauf – Produktionsausfälle wären teurer. Duisport aber stellt das vor Probleme.
Denn wenn drei Viertel der Terminalfläche mit Stahlboxen belegt seien, sagt Bangen, werde es kritisch: „Wir erreichen derzeit aber schon mehr als 90 Prozent Yard Utilisation, salopp heißt das: Der Fotos: Human Rights Watch, WAZ FotoPool Terminal ist operativ tot. Und wir können nicht anhalten, es kommt immer weiter neue Ladung an.“ Der 49-jährige Jurist fahndet daher nach neuen Lagerplätzen.
Gleichzeitig geht er in den Nahkampf mit Unternehmen, damit sie ihre Container bei ihm abholen.
Denn im fernen China, das weiß Bangen, baut sich eine gewaltige Welle auf. Auch wenn in Fernost weniger produziert wird – irgendwann laufen die Bänder wieder, irgendwann werden die Containerschiffe beladen und gen Westen gehen.
Und dann? Treffen sie auf bereits verstopfte Häfen. Weitere Verspätungen sind abzusehen: „Es gibt dann auf jeden Fall die nächsten Staus vor Rotterdam und Hamburg, weil auch dort der Tag nur 24 Stunden hat“, sagt Bangen. „Die vollen Auswirkungen der Lockdowns in China stehen uns deshalb erst noch bevor.“
Eines aber haben sie hier, tief im Westen, auch schon registriert. Unternehmen beginnen umzusteuern. „Die Fixierung auf China, China und noch mal China im Vertrieb löst sich auf.“ Stattdessen wachse bei vielen die Bereitschaft, auch in jenen Teilen der Welt Geschäfte zu machen, in denen die Gewinnmargen womöglich schlechter, die Verlässlichkeit jedoch höher sei. Bangen sagt: „Bei vielen Unternehmen herrscht die Devise: Hauptsache, wir kommen weg von dieser One-Country-Show China.“
Das gilt zum Beispiel auch für Adidas. „Wir werden unser Business in Zukunft sicher stärker ausbalancieren“, sagt Konzernchef Rorsted. Ein kompletter Rückzug aus China aber ist für ihn kein Thema. „China ist und bleibt – nicht nur für uns – ein attraktiver Markt“, sagt er. Deshalb versucht er es mit dem Prinzip Chamäleon: Trikots und Turnschuhe für China sollen künftig in China entworfen werden.
Beim Ventilatoren-Hersteller EBM-Papst denkt man ähnlich. Auch für ihn ist der chinesische Markt viel zu wichtig – 75 Prozent der hier produzierten Geräte verkauft er im Land. Statt Rückzug ist die Idee eine andere: „Wir wollen uns mehr in eine Regionalorganisation wandeln: getrennte Lieferketten für Asien, Amerika und Europa aufbauen“, sagt Vertriebschef Nürnberger. Es geht nicht mit China, aber erst recht nicht ohne.
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