Kleinfelds Kommunikations-Gau Von Christoph Hardt und Christoph Nesshöver
In deutschen Top-Unternehmen hat es in den vergangenen Monaten zahlreiche Kommunikationsdesaster gegeben. Die Siemens-BenQ-Krise setzt dem Ganzen jetzt die Krone auf. Der öffentliche Umgang des Unternehmens mit seiner ehemaligen, nun insolventen Handy-Sparte ist das Ende einer langen Fehlerkette.
BenQ Mobile bekommt von vielen Seiten Hilfe. Doch reicht das zum Überleben? Quelle: Reuters Bild vergrößernBenQ Mobile bekommt von vielen Seiten Hilfe. Doch reicht das zum Überleben? Quelle: Reuters
MÜNCHEN / DÜSSELDORF. Gerhard Schröder wollte mit „Bild, Bild am Sonntag und Glotze“ regieren. In der Verzweiflung macht es Klaus Kleinfeld ähnlich. Am Montag Morgen „Bild“, am Abend Fernsehen. Das aber geht nicht gut, die Siemens- Medienoffensive fällt zunächst aus. „Technische Probleme“ gebe es mit der Leitung, entschuldigte sich Heute-Journal-Moderatorin Marietta Slomka am Montag. Klaus Kleinfeld hat das Glück verlassen.
Als der Siemens-Chef zehn Minuten später endlich live auf Sendung ist, kommt seine Stimme dumpf über Telefon. Später, bei Tom Buhrow in den „Tagesthemen“, ist es auch nicht viel besser. Der Siemens-Chef wirkt erst kleinlaut, dann genervt: „Im Nachhinein ist man immer schlauer“. Dann lässt er die rechte Hand mehrfach in Richtung Kamera schnellen. Das sollte man nicht tun, Millionen nehmen den Eindruck mit, Kleinfeld ringe um die Fassung.
In deutschen Top-Unternehmen hat es in den vergangenen Monaten zahlreiche Kommunikationsdesaster gegeben. Da war Josef Ackermann mit seinen Milliardengewinnen und den gleichzeitig verkündeten Massenentlassungen, da war Allianz-Chef Michael Diekmann, der alles machen wollte, nur nicht den „Ackermann“, dann aber in die gleiche Falle lief: Rekordgewinne, Stellenabbau. Und nun Siemens, die Krönung.
Um zu erklären, was in den vergangenen Tagen über den deutschen Technik-Riesen hereingebrochen ist, bieten sich zwei Interpretationsmodelle an: Das erste, das ist die große Intrige gegen Klaus Kleinfeld, den Mann, der angeblich das Siemens-Erbe verschleudert. Es gibt Leute, die so reden in München, die sagen, Aufsichtsratschef Heinrich von Pierer habe mit dem Vorstandschef gebrochen. Pierer hat das mehrfach dementiert, doch bleibt die Frage offen, wie Pierer, dieser eminent politische Siemens-Veteran, eine so deftige Gehaltserhöhung hat durchwinken können, ohne an die öffentlichen Folgen zu denken. „Vielleicht war es Tunnelblick“, sagt ein Vertrauter. Sonderbar bleibt dennoch, dass die Geschichte ausgerechnet zu dem Zeitpunkt ruchbar wurde, als sich die Krise um BenQ zuspitzte. Denn dass man bei Siemens nichts geahnt hätte, ist eine Mär. Gut möglich allerdings, dass es die falschen Leute waren, die davon wussten.
Interpretationsmodell zwei ist etwas einfacher: „Es ist einfach dumm gelaufen“, sagt ein Pressesprecher. Egal, für welche Sichtweise man sich entscheidet, fest steht, dass die Kommunikatoren der Siemens AG vor einem Scherbenhaufen stehen. „Das war der Gau“, sagt eine hochrangiger Siemens-Mann. In der Pressestelle räumt man ein, die politische Dimension des Geschehens unterschätzt zu haben. Und das von entsprechenden Stellen die Warnsignale fehlten.
Dabei hat alles ziemlich normal begonnen, typisch Siemens, ziemlich langatmig und formal korrekt. Die Geschichte der Gehaltserhöhung, sie beginnt schon im Jahr 2004. Angesichts der bevorstehenden Führungswechsel bleibt die Entscheidung zur turnusgemäßen Erhöhung der Vorstandsbezüge liegen. Im Geschäftsbericht für 2005 kündigt der neue Aufsichtsratschef von Pierer jedoch den Zuschlag bereits an. Dann werden Studien in Auftrag gegeben, im Mai 2006 entscheidet das Präsidium des Aufsichtsrats. Da die Gehälter drei Jahre nicht erhöht worden sind, fällt der Zuschlag kräftig aus. Man vereinbart Stillschweigen, die Maßnahme soll im Geschäftsbericht 2006 publiziert werden. Die Kommunikatoren werden nicht informiert.
Es mutet wie eine Ironie der Geschichte an, dass der Stein ausgerechnet auf einer Party ins Rollen kommt, die Siemens Anfang September zum Abschied für den langjährigen Kommunikationschef Eberhard Posner gibt. Dort konfrontiert eine Journalistin von Pierer mit einem Fragenbündel, die Gehaltserhöhung ist nur ein kleiner Teil davon. Gut eine Woche später ist die Vorabmeldung des „Spiegel“ in der Welt.
Jetzt rächt sich, dass es in der Konzernkommunikation in der Ära Kleinfeld zu tief greifenden Veränderungen gekommen ist, deren Folgen noch immer nicht bewältigt scheinen. Während Pierers Chefkommunikator Posner den Kontakt mit den Medien zu seinen vornehmsten Aufgaben zählte, sieht sich Kleinfelds neuer Kommunikationschef Janos Goenczoel als Kommunikationsmanager. Der gebürtige Ungar mit amerikanischem Pass ist als PR-Mann groß geworden, er hat einen Ausflug ins Private-Equity-Geschäft hinter sich, gegenüber Journalisten zeigt er sich betont zurückhaltend. Er arbeitet im Hintergrund, konzentriert sich auf die Neupositionierung der Marke Siemens und den Umbau der Kommunikationsstrukturen. In der Pressestelle herrscht munteres Kommen und Gehen, erst ab März 2006 tritt mit dem Amtsantritt des neuen Pressechefs Peik von Bestenbostel, der zuvor für BMW und die Quandt-Stiftung arbeitete, eine Beruhigung ein.
Doch erweist es sich als großer Mangel, dass dem Kommunikationschef der Draht zum Aufsichtsratschef zu fehlen scheint, die losbrechende Empörung trifft die Siemens-Presseleute daher unvorbereitet. Einen Tag nach der „Spiegel“-Geschichte, am 19. September, hat Siemens Journalisten zum Treff auf dem Oktoberfest geladen. Es herrscht Wies’n-Stimmung – scheinbar. Denn in Wahrheit gärt es. Die Hoffnung, die öffentliche Aufregung unter Kontrolle zu bekommen, ist zerschlagen, die Presseleute wissen bei Maß und Fleischpflanzerl, dass die Bild-Zeitung am nächsten Morgen Klaus Kleinfeld frontal attackieren wird. Dann bricht die Welle gegen Siemens richtig los. „Wir sind machtlos“, sagt einer, der mitten im Sturm steht.
Die Strategie: Wegducken. Interviewwünsche werden abgeschmettert. Schließlich wollte Klaus Kleinfeld ja eine ganz andere Geschichte von sich lesen: Während sich Deutschland über die gierigen Siemens-Manager echauffiert, stellt Kleinfeld in New York im Rahmen der Wohltätigkeitsinitiative von Bill Clinton und im Beisein von Janos Goenczoel ein Klinik-Projekt in China vor. In Deutschland erfährt man davon keine Silbe, hier herrscht die Strategie des Schweigens.
Im Fernen Osten braut sich ein noch schlimmeres Unwetter zusammen.
Dabei braut sich zur selben Zeit im Fernen Osten ein noch schlimmeres Unwetter zusammen. Mitte September ist es zwischen Siemens und den Taiwanern von BenQ zum Zerwürfnis über ausstehende Zahlungen nach deren Übernahme der Siemens-Handy-Sparte gekommen. Gerüchte über Liquiditätsengpässe sind in der Welt, die deutsche BenQ kann jeden Cent gebrauchen. Doch der Board in Taiwan lehnt das Siemens-Angebot ab, danach herrscht zwischen Taipeh und München Funkstille.
Dass Siemens von dem, was kommt, „völlig überrascht“ gewesen sei, kann man glauben, man muss es nicht. Die wichtigsten Kommunikatoren aber scheinen wieder nicht vorbereitet. Als BenQ Mobile vorigen Donnerstag die bevorstehende Pleite meldet, basteln die Siemens-Leute an einer ganz anderen, einer „Positiv-Geschichte“. Die liegt jetzt auf Eis. Dann bricht das Gewitter los. Der öffentliche Vorwurf, die Pleite sei ein abgekartetes Spiel gewesen, trifft den Nerv von Kleinfeld. „Fassungslos“, sei er gewesen.
Bis tief in die Nacht sitzen Vorstände und Kleinfeld-Vertraute am Freitag beieinander, dann wird das Schweigen gebrochen, ein Signal ausgesendet: der Verzicht auf die Gehaltserhöhung. Das exklusive Gesprächangebot geht ausgerechnet an die Zeitung, die Kleinfeld zuvor aufs Schärfste attackiert hat: „Bild“. Hier nimmt der Siemens-Chef das Wort „Solidarität“ in den Mund. Auch das ist ein Ereignis. Dann folgt das Fernsehen, Kleinfeld zeigt, dass er das noch üben muss.
Leute, die vor wenigen Stunden mit ihm verhandelt haben, sagen, der Siemens-Chef habe einen souveränen Eindruck hinterlassen. Leute in seiner Umgebung sagen, sein Image sei nicht beschädigt. Leute, die schon lange dabei sind, erinnern daran, wie oft Heinrich von Pierer in seinen Anfängen zum Abschuss frei gegeben wurde. Leute, die Kleinfeld kennen, wissen, dass das, was passiert ist, nicht ohne Folgen bleiben wird. |