Heute steht das, worüber ich gestern schrieb (Pfizer drückt Celebrex als Ersatz für das von Merck zurückgezogene Vioxx in den Markt), auch im SPIEGEL (die Hervorhebungen in FETT sind von mir):
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SPIEGEL ONLINE - 22. Oktober 2004, 11:03 URL: http://www.spiegel.de/wissenschaft/mensch/
Medikamenten-Skandal Der skrupellose Kampf um die Vioxx-Patienten
Von Matthias Gebauer
Aus dem Desaster des Merck-Schmerzmittels Vioxx versuchen nun die Konkurrenten Gewinn zu schlagen. In Broschüren für die Branche wirbt Pfizer zum Beispiel für die schnelle Umstellung auf seine Produkte. Experten halten die Kampagne für unverantwortlich, da die Vioxx-Risiken auch für die Pfizer-Produkte gelten könnten.
Besuche von Pharmareferenten gehören für deutsche Hausärzte und Klinikchefs zum Alltag. Fast jeden Tag melden sich die netten Herren und Damen mit ihren bunten Broschüren in deutschen Praxen und Krankenhäusern. Mit kleinen Geschenken an die Ärzte und engelsgleicher Geduld beim Warten auf einen Termin in oder nach der Sprechstunde versuchen die Handelsvertreter in Sachen Gesundheit die Ärzte von den Produkten ihres Auftraggebers zu überzeugen, damit die Mittel möglichst oft verschrieben werden.
Bei den letzten Besuchen von Pfizer-Vertretern wurde so mancher Mediziner stutzig. "Kaum war der Vioxx-Skandal da, standen auch schon die ersten Vertreter bei mir auf der Matte", erinnert sich ein Berliner Arzt. Um was es bei den spontan angesetzten Besuchen ging, wurde recht schnell klar. "Der Vertreter fragte mich sofort, was ich nun mit meinen Vioxx-Patienten machen wolle und empfahl mir eine rasche Umstellung auf die Produkte von Pfizer." So sollten die Patienten doch statt Vioxx ab jetzt die Pfizer-Produkte Celebrex und Bextra gegen ihre Schmerzen nehmen.
Ähnliche Resultate mit anderen Nebenwirkungen?
Nach dem Vioxx-Skandal sollen nun offenbar die Kassen bei Pfizer lauter klingeln als zuvor. Denn Ende September nahm die US-Firma Merck & Co. Inc. ihr Medikament Vioxx überraschend vom Markt, da Studien schwere Nebenwirkungen erwiesen hatten. Seitdem stehen Hunderttausende Schmerzpatienten in Deutschland und weltweit vor der Frage, auf welches Medikament sie umstellen sollen.
Experten sehen derzeit eine regelrechte Überflutung des Marktes mit angeblich neuen und vor allem vermeintlich unschädlichen Produkten. Merck selber wirbt seit der Rücknahme von Vioxx schon mal für sein Nachfolgeprodukt Arcoxia, das keine der jetzt bekannt gewordenen Nebenwirkungen haben soll. Bei einigen Ärzten werden plötzlich Vertreter vorstellig, die für Naturprodukte wie Haifischknorpel oder Muschelmehl werben. Die Lücke von Vioxx scheint die Konkurrenz auf dem hart umkämpften Markt der Schmerzkiller neu belebt zu haben. "Da herrscht eine Mentalität wie beim Leichenfleddern", beschreibt ein Arzt den Kampf um die Rezeptblöcke.
Die Pfizer-Kampagne mit dem Vioxx-Faktor ist hingegen generalstabsmäßig vorbereitet. Kaum war das Medikament vom Markt genommen, schrieben die deutschen Pfizer-Chefs am 7. Oktober Tausende Kunden in der Branche unter der Betreffzeile "Marktrücknahme von Vioxx" an. In dem Brief, der SPIEGEL ONLINE vorliegt, kommen die Verfasser schnell zur Sache. "Celebrex und Bextra sind Therapieoptionen, wenn sie ihre Vioxx-Patienten umstellen müssen", heißt es da.
Pfizer: "Sachlich und informativ" berichtet
Dann erläutern sie ihren potenziellen Neukunden, dass die beiden Pfizer-Produkte keineswegs die Risiken von Vioxx haben. Aktuelle Studien kämen zu dem Ergebnis, dass die Anzahl von Infarkten bei Bextra "insgesamt sehr gering war", so das Schreiben. Auf Anfrage erklärte eine Pfizer-Sprecherin, man wolle mit der Kampagne lediglich "sachlich und informativ" über Alternativen zu Vioxx berichten.
Die Direkt-Ansprache ist nur ein Teil der Pfizer-Strategie. Intern verteilte das Unternehmen an seine Referenten ein Memo für die Gespräche mit den Ärzten. In dem elfseitigen Papier, das SPIEGEL ONLINE vorliegt, liefern die Pharmachefs ihren Werbern Fakten, wie sie Ärzte von einem Wechsel zu Pfizer-Pillen überzeugen sollen.
Eindeutig nimmt das Schreiben dabei Bezug auf die Rücknahme von Vioxx, zu der sich die Referenten gegenüber den Ärzten jedoch nicht direkt äußern sollen. Dennoch sollen sie sie anhand der skizzierten Gesprächsabläufe davon überzeugen, dass ein Wechsel zu den Pfizer-Produkten für die Vioxx-Patienten das Beste sei.
Aus Sicht von Pfizer ist die Kampagne zur freundlichen Übernahme der Vioxx-Kunden verständlich. Im ersten Halbjahr 2004 erwirtschaftete der Konzern mit seinen Vioxx-ähnlichen Schmerzprodukten satte 1,5 Milliarden Dollar, das sind runde sechs Prozent des gesamten Umsatzes. Nach dem Ende von Vioxx hat Pfizer nun beste Chancen, sich auch das Merck-Stück vom milliardenschweren Kuchen der Schmerzmittel einzuverleiben - zumal der Schmerz und die Angst vor Nebenwirkungen, wie sie bei Vioxx auftraten, die gepeinigten Patienten derzeit in Scharen in die Arztpraxen treibt.
Kritik von Experten
Gleichwohl ist die Kampagne von Pfizer nicht unumstritten. Bisher nämlich ist noch unklar, ob nicht auch die Pfizer-Produkte - wie Vioxx so genannte Cox-2-Hemmer - nicht auch die gleichen gefährlichen Nebenwirkungen haben wie das zurückgezogene Medikament.
Der US-Forscher Garret Fitzgerald von der University of Pennsylvania, durch dessen Recherchen der Vioxx-Skandal ins Rollen kam, warnt vor einer voreiligen Verschreibung der Pillen. In seinem Aufsatz im "New England Journal of Medicine" vermutet Fitzgerald, dass alle Medikamente mit der Wirkungsweise von Vioxx zu erhöhten Herzrisiken führen können. "Die Beweispflicht liegt jetzt bei jenen, die behaupten, dass dies nur ein Problem von Vioxx allein ist und nicht auf andere, verwandte Medikamente zutrifft", schreibt Fitzgerald.
Ebenso kritisieren deutsche Fachleute die Kampagne von Pfizer. Mit den Fakten aus der Broschüre und dem Brief konfrontiert, bezeichneten manche von ihnen die Werbung für Celebrex und Bextra gar als unverantwortlich. "Wir halten die Aussage, dass nur Vioxx diese Probleme gemacht hätte, für falsch", erklärte Gerd Glaeske, der an der Universität Bremen Arzneimittel unter die Lupe nimmt. Er glaubt, dass auch andere Cox-2-Hemmer in ähnlicher Weise wie Vioxx analysiert werden müssen.
Studien ohne Risikopatienten
Deutlich warnt der Experte vor einer vorschnellen Umstellung auf die mit Vioxx verwandten Produkte. "Wir haben erste Erkenntnisse über andere Cox-2-Hemmer wie Bextra und Celebrex, die Herz-Kreislauf-Belastungen verursachen können", so der Experte im Mitteldeutschen Rundfunk. Auch wenn der Verdacht noch nicht bewiesen sei, ist eine solche Werbung für den Fachmann zumindest irreführend.
Noch deutlicher kommentiert der Journalist Wolfgang Becker-Brüser vom unabhängigen Branchenblatt "Arzneimitteltelegramm" die Pfizer-Werbung. "Hier wird Sicherheit vorgegaukelt, die gar nicht existiert", kritisiert er. "Pfizer versucht durch die Kampagne, die einer Desinformation gleicht, Ärzte und Apotheker in die Irre zu führen und so sein eigenes Geschäft aus dem Desaster zu machen."
Die Werbetour geht weiter
Abseits der Kampagne für die deutschen Ärzte scheint auch Pfizer des Problems durchaus gewahr zu sein. So kündigte der Großkonzern in den letzten Tagen eine umfangreiche Studie mit Herzpatienten zum Medikament Celebrex an. Die Pillen würden an 4000 Rheuma-Patienten getestet, die vor kurzem einen Herzinfarkt erlitten hätten, teilte die Firma mit. Zugleich räumte Pfizer ein, dass sein zweiter Cox-2-Hemmer Bextra offenbar das Risiko für Herzleiden erhöhen kann. Das hätten zwei Studien an Patienten ergeben, die sich einer Bypass-Operation unterzogen haben. In der Darstellung für die Ärzte aber werden diese beiden Fakten nicht genannt.
Ziel der neuen Studie ist laut Pfizer der Nachweis, "dass die entzündungshemmenden Eigenschaften des Medikaments in Kombination mit wirkstoffspezifischen Eigenschaften einen sogar positiven Effekt auf die Gefäße von Herzkreislauf-Patienten haben", sagte Unternehmenssprecherin Herlinde Schneider. Zudem sei das Risiko für Bypass-Patienten schon lange bekannt. Deshalb sieht Pfizer auch keinen Grund, die Werbung in eigener Sache einzustellen.
Hinweis: Die deutsche Merck KGaA mit Sitz in Darmstadt ist unabhängig vom US-Konzern Merck & Co. Inc. © SPIEGEL ONLINE 2004 |