Viele Börsenstrategen raten zum Wiedereinstieg Experten rechnen mit einem Anziehen der Kurse im zweiten Halbjahr - Insider decken sich bereits mit Aktien ein von Patrizia Ribaudo
Frankfurt/Main - "Die Börse ist so kapriziös wie eine schöne Frau oder das Wetter" - Kostolanys Weisheiten scheinen momentan selbst auf Anlagestrategen zuzutreffen. Selten hat es eine so verwirrende Vielfalt an Investmentempfehlungen gegeben wie derzeit. Seit dem heftigen Kurseinbruch Mitte Mai prasseln die unterschiedlichsten Ratschläge auf Investoren ein. Ein Lockruf indes wird immer lauter: Anleger sollten die aktuelle Konsolidierungsphase zum Aktienkauf nutzen. Investmentbanken wie Fondsgesellschaften werben wieder für die zeitweise verschmähten Dividendenpapiere. Die Bewertungen seien günstig, die Wirtschaft robust und ein Crash nicht in Sicht, beteuern die Strategen. Vor allem aus dem fundamental orientierten Lager mehren sich die Stimmen. Während Charttechniker die übereinstimmenden Dax-Kurven von heute und 1998 zum Anlaß nehmen, um vor übereilten Käufen zu warnen, legen Zahlen-Diagnostiker Anlegern einen baldigen Einstieg nahe. Ihren Optimismus begründen sie in den fundamentalen Unterschieden zwischen dem Crash-Jahr 2000 und 2006.
In der Tat liefern die Daten stichhaltige Argumente. Anders als zu New-Economy-Zeiten verfügen heute die meisten Unternehmen über ein solides Gewinnwachstum. Auch der Verschuldungsgrad ist vergleichsweise niedrig. "Die Bilanzen sind kerngesund", freut sich etwa Alfred Roelli, Leiter Finanzanalyse bei Pictet. Die Schweizer Privatbank macht sich für den Euroraum auf einen längeren Aufschwung gefaßt. Europa werde positiv überraschen, ist Roelli überzeugt. Positiv werten die Strategen auch die hohen Cash-Positionen in den Bilanzen. Noch nie zuvor stand den Unternehmen so viel Liquidität zur Verfügung wie derzeit - eine Tatsache, die erstmals für die USA und für Europa gilt. "Die Cash-Flows befinden sich auf einem absoluten Höchststand", betont Deka- Fondsmanager Trudbert Merkel. Übernahmen würden nunmehr überwiegend in bar bezahlt statt wie zu Neue Markt-Zeiten mit Dividendenpapieren. "So werden die Gewinne der Unternehmen nicht verwässert", freut sich Merkel. Er hält Aktien derzeit für die attraktivste Anlageklasse. Rückendeckung bekommt der Fondsmanager von Deka-Chefvolkswirt Ulrich Kater: "Die jetzige Korrektur kam ohne Veränderung der makroökonomischen Daten." Anders als viele Kollegen sieht der Volkswirt den nächsten Zinserhöhungen im amerikanischen und europäischen Raum gelassen entgegen. "Mit den Erhöhungen normalisieren die Notenbanken lediglich das Zinsniveau" erklärt Kater und verweist auf die historischen Tiefstände, die in den USA und im Euroraum lange Zeit herrschten. "In einem Jahr notiert der Dax wieder über 6000 Zählern", meint Kater.
Noch zuversichtlicher zeigen sich die Strategen der Landesbank Rheinland-Pfalz (LRP). Sie halten die Sorgen vor einem Einbruch der Gewinnprognosen für überzogen und rechnen beim Dax mittelfristig mit einem Stand von 6300 Punkten. Auch bei den Analysten der amerikanischen Investmentbank Morgan Stanley überwiegt der Optimismus. "We are buying equities", heißt es selbstbewußt in einer Studie. Die Bewertungen seien günstig, das Tief an den europäischen Börsen überwunden, sind die Experten überzeugt.
Etwas vorsichtiger formuliert es der Kollegen von JP Morgan: "Weltweit haben sich die Fundamentaldaten nicht geändert. Was wir derzeit sehen, ist eine höhere Risikoaversion der Anleger", meint Fondsmanager John Stainsby. Er empfiehlt Anlegern den Monat September für einen Wiedereinstieg. "Bis dahin werden sich die Zinsängste und der Trubel um die Weltmeisterschaft wieder gelegt haben", so der Fondsexperte. Zusätzlichen Auftrieb werde der Markt von den guten Wachstumsprognosen der Unternehmen für das zweite Halbjahr erhalten. "Spätestens dann sollten Anleger zuschlagen", rät Stainsby.
Nicht mehr warten wollten offenbar die Vorstände und Aufsichtsräte deutscher MDax und SDax-Untenehmen. Einer Untersuchung des Forschungsinstituts für Asset Management (Fifam) in Aachen zufolge nutzten sie das niedrige Kursniveau der vergangenen Wochen, um sich mit Aktien der eigenen Firma einzudecken. Den größten Coup landete Kreke Immobilien, eine Gesellschaft, die dem Douglas-Aufsichtsratsvorsitzenden Jörn Kreke nahe steht. Die Verantwortlichen deckten sich innerhalb der ersten beiden Juniwochen mit insgesamt 19 500 Douglas-Aktien ein. Sie erstanden die Papiere zu rund 33 Euro, dem günstigsten Preis seit sechs Monaten.
Artikel erschienen am Fr, 30. Juni 2006 Artikel drucken © WELT.de 1995 - 2006 |