WIRTSCHAFTSPOLITIK
Kann er sich gegen den SPDGB durchsetzen? - Clement rennt!
Von Markus Deggerich
Er will den Kündigungsschutz lockern, das Arbeitsrecht reformieren, den Staat zurückdrängen: Je düsterer die Zahlen, umso lauter wird die Reformrhetorik von Superminister Clement. Nun will er sogar gemeinsame Sache mit der Union machen, auch wenn er dafür die Gewerkschaften quälen muss.
Berlin - Sauerländer können dickköpfig sein. Aber 100 Tage nachdem Gerhard Schröder seine Wunderwaffe aus Düsseldorf importierte, ist Wolfgang Clement in der Bilanz zwar das Kabinettsmitglied, dass die meisten Ideen produzierte. Doch spätestens bei der Vorstellung seines Jahreswirtschaftsberichts an diesem Mittwoch in Berlin musste sich der Überflieger der Realität anpassen. Die Ideenfabrik produziert weiter, aber Clement spürt auch, dass er bisher nur eines erreicht hat: Die eigene Fallhöhe nach oben geschraubt. Deshalb sagt er nun für seine Verhältnisse schon äußerst bescheidene Sätze wie: "Ich halte an allen Zielen fest. Wenn Sie das nicht verwechseln mit "Versprechen"! Wenn Sie mir das versprechen, dann halte ich an allen Zielen fest."
Soll heißen: Wenn es schief geht, hat es nicht an mir gelegen. Vorsorglich werden schon mal die Richtwerte neu justiert. Wirtschaftswachstum, Arbeitslosigkeit, Neuverschuldung: Bei allen drei Kerndaten weicht er nun ab von den schöneren Zahlen, mit denen Schröders Mannen drei Monate lang durch die Lande zogen. Die Wirtschaft wird dieses Jahr allenfalls noch um ein Prozent anziehen - zu wenig um neue Jobs zu generieren. Und das Risiko eines Irak-Kriegs ist da noch nicht einbezogen.
Neuer Realismus
Die Arbeitslosigkeit, die Clement noch vor einem Monat unter vier Millionen drücken wollte, wird im Jahresdurchschnitt bei 4,2 Millionen liegen - mit allen damit verbundenen Finanzproblemen. Und ob bei der Neuverschuldungsprognose von 2,8 Prozent noch immer der Wunsch unter der EU-Latte von drei Prozent zu bleiben federführend war, oder Realismus, dürfte nach Ansicht von Finanzexperten noch offen bleiben.
Aber Clement wäre nicht Clement, wenn er seine geerdete Bilanz nicht mit einem neuen Aufbruch kombinieren würde. Wissend, dass in seinem Jahreswirtschaftsbericht Wunsch und Wirklichkeit auseinanderklaffen, hat er sich vorsorglich selber auf die Schulter klopfen lassen. Sechs Seiten brauchte seine Pressestelle, um aufzulisten, was der Minister alles an "entscheidenden Weichenstellungen" vorgenommen habe, eine Entschuldigung inklusive: Der "umfassende Erneuerungsprozess ist nicht binnen weniger Monate abzuschließen".
Der ehemalige Journalist hat viele Schlagzeilen produziert: Sonderwirtschaftszonen, Bundesrat reformieren, "Masterplan Bürokratieabbau", mit einem "Small Business Act" Kleinstunternehmen fördern, die Handwerksordnung liberalisieren, den Ladenschluss genauso lockern wie den Kündigungsschutz, das alles unter der Überschrift "Allianz für Erneuerung", in der "Mutmacher gefragt sind, nicht Miesmacher."
"Feuerwerker macht viel Wind"
Bei den meisten Ideen standen ihm bisher die Gewerkschaften im Weg, manchmal auch er selbst. Denn eine große ordnungspolitische Linie ist darin noch nicht zu erkennen: Wenn es um Markt und Arbeitsmarkt geht gibt er den Reformer und provoziert die Gewerkschaften. Rührt aber jemand an den milliardenschweren Kohle-Subventionen für sein Heimatland Nordrhein-Westfalen, ist er zur Freude aller Linken Beton-Genosse.
"Der Feuerwerker macht viel Wind", spottet die "Frankfurter Allgemeine" in einem etwas luftigen Sprachbild. Aber dass Minijobs und Leiharbeit den Bundesrat mit Zustimmung der Union passierten, lag an seinem Verhandlungsgeschick. Eine Allianz, in der er offensichtlich Modellcharakter sieht. Clement interessieren weder Ressortgrenzen noch Parteipolitik: So wie er in einer Talkshow im Nebensatz mal eben Hans Eichels Sparpolitik für Makulatur erklärt, so hat er diese Woche für alle sichtbar den Flirt mit der Union eingeleitet.
Gutes Timing
Ein gutes Timing: Nach der zu erwartenden Wählerquittung am kommenden Sonntag in Hessen und Niedersachsen besitzt er ausreichend Argumente, um die Gewerkschaften weichzukochen: Man müsse ja nun der Union entgegenkommen, schon wegen der Bundesratsmehrheit und dem Unwillen der Wähler.
Denn Clement hat das Problem erkannt: "Deutschland steht still" ("Neue Zürcher Zeitung"), und das weniger konjunktur- als strukturbedingt. Der Widerspruch ist zu offenkundig zwischen den Erkenntnissen des Wirtschaftsministers, die er in Strategiepapieren und jetzt in seinem Jahreswirtschaftsbericht verbreitet - und der bisherigen Wirtschafts- und Steuerpolitik der Bundesregierung.
Rote Tücher für die Genossen
Clement sucht Verbündete - und wenn die Gewerkschaften mauern, macht er es eben mit der Union. Der Wirtschaftsminister und sein Gegenspieler in der CDU, Fraktionsvize Friedrich Merz wollen nach den Wahlen in Hessen und Niedersachsen enger kooperieren und grundlegende Reformen gemeinsam durchsetzen. Clement sagte dem "Stern": Durch die Konstellationen im Bundesrat und wegen der anstehenden Themen sehe ich die Pflicht zur Zusammenarbeit. Wir brauchen jetzt ein gutes Wegstück an Gemeinsamkeit." Merz nahm das Angebot an: "Wir werden uns wegen der unterschiedlichen Mehrheiten in Bundestag und Bundesrat zusammenraufen müssen." Das klingt nach Großer Koalition der Vernunft. Dann hätte die SPD nach den Landtagswahlen am Sonntag immer noch einen Gewinner: Clement.
Denn die jüngsten Ideen aus dem Hause Clement garantieren den Widerstand der Arbeitnehmervertreter: Clement forderte erneut Lockerungen beim Kündigungsschutz, der die Gewerkschaften und Teile der SPD-Bundestagsfraktion bereits reflexartig auf die Barrikaden trieb. Er kündigte am Mittwoch an, im Rahmen seines Masterplans "Bürokratieabbau" das gesamte Arbeitsrecht zu überprüfen. Auch das Umweltrecht, das Baurecht und das Planungsrecht kämen auf den Prüfstand. Außerdem sollen Arbeitslosenhilfe und Sozialhilfe zusammengelegt werden. Lauter rote Tücher für jene Genossen, deren Herz links schlägt.
Sauerländer unter sich
Mit dem Satz "Der Staat hat genug Geld" stellte er sich am Mittwoch auch frontal gegen Fraktionschef Franz Müntefering, der eher für Konsumverzicht plädiert als für weniger Geld für die Staatskasse. Um zu Einsparungen zu kommen, müssten die gesamte Verwaltung und der öffentliche Dienst überprüft werden, kündigt Super-Clement an. ÖTV, Ver.di und Beamtenbund werden es mit Grausen hören. Friedrich Merz hingegen sieht sich bestätigt.
So wird sich Clements künftiger Kurs und die Frage, wie die Reformen aussehen am Berliner Sauerlanddreieck ausrichten. "Er ist ein Sauerländer. Daraus ergibt sich eine gewisse Seelenverwandtschaft", sagte der aus Nordrhein-Westfalen importierte Clement am Mittwoch in Berlin auf die Frage nach seinem neuen Verhältnis zu Friedrich Merz. Ob das der Sauerländer Müntefering auch so sieht, dürfte in der SPD spätestens ab kommender Woche für dicke und rauchende Köpfe sorgen. |