und selbsterfüllende prophezeiung...guter artikel... "10.10.2000 Kursprognosen Vom Hokuspokus der Charttechnik Von Bernd Niquet Überall kann man es lesen: Wichtige charttechnische Unterstützungslinien seien nach unten durchbrochen worden, weshalb der Börsenausblick dürftig ist. Liegt unser Schicksal etwa in den Händen von Strichziehern? Kann es sein, dass der Motor des kapitalistischen Wirtschaftssystems, nämlich die Aktien- und Devisenmärkte, tatsächlich von ein paar gezogenen Linien abhängt? Es ist fast nicht zu glauben, aber vieles deutet darauf hin. Zumindest kurzfristig. Ein Kapitalismuskritiker müsste sich an dieser Stelle eigentlich vor Lachen fast wegwerfen. Denn wenn die Preise in einem System freier Märkte sich tatsächlich nach einem derartigen Hokuspokus wie der Charttechnik richten, dann kann es mit der Rationalität dieses Systems in der Tat nicht weit her sein. Wenn Märkte allerdings rational sein sollten, dann dürfte die Charttechnik eigentlich nicht funktionieren, sondern dann müssten die fundamentalen Daten - oder besser die subjektiven Einschätzungen der fundamentalen Daten - den entscheidenden Ausschlag für die Marktbewegungen geben. Viele Untersuchungen zeigen auf, dass dies zumindest mittel- bis langfristig auch der Fall ist. Doch kurzfristig ist es natürlich völlig verständlich: Durchbricht eine einzelne Aktie oder ein wichtiger Aktienindex eine charttechnische Unterstützungsmarke, dann bekommen viele Marktteilnehmer plötzlich kalte Füße und handeln genau so, wie die Charttechnik es vorausgesagt hat. Womit die kurzfristige Gültigkeit der Charttechnik hauptsächlich auf Grund der Effekte einer sich selbst erfüllenden Prophezeiung erzielt wird. Doch lassen sich damit auch mittel- bis langfristig die Weichen stellen? Nein, ganz im Gegenteil: Es gibt kaum eine Aufwärtsbewegung am Aktienmarkt, in der nicht vorher die Charttechniker sinkende Kurse prophezeit haben. Denn genauso und nicht anders funktionieren Märkte: Erst müssen die zittrigen Hände aus dem Markt geworfen werden, und dann geht es aufwärts. Mir ist das ganz besonders deutlich geworden, als ich einmal für ein Buch einen Chart "erwürfelt" habe. Das heißt: Ich habe die sechs Seiten eines Würfels jeweils mit den Werten +3,+2,+1,-1,-2,-3 versehen, habe einen willkürlichen Startkurs gewählt und daraufhin den jeweils nächsten Kurs "erwürfelt". Was dabei herausgekommen ist, ist von keinem normalen Aktienchart zu unterscheiden und weist exakt dieselben Chartmuster auf. Aus dieser Tatsache, dass also anscheinend selbst der Zufall Gesetzmäßigkeiten aufweist, kann man eigentlich nur zwei mögliche Schlüsse ziehen: 1. Würfeln ist kein Zufallsprozess. 2. Die Gesetzmäßigkeiten der Charttechnik sind wertlos. Da der erste Schluss ganz offensichtlich sinnlos ist, muss man sich wohl mit dem zweiten vertraut machen. Die Gesetzmäßigkeiten der Charttechnik sind außerhalb des Bereichs der sich selbst erfüllenden Prophezeiung absolut nutzlos. Oder, etwas anders gesagt: Wenn der Zufall tatsächlich Gesetzen folgte, dann gäbe es diese Gesetzmäßigkeiten wiederum nur rein zufällig." quelle: http://www.spiegel.de/wirtschaft/0,1518,97361,00.html
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