http://www.faz.net/artikel/C30923/energiewende-im-suedwesten-gruene-huegel-weisser-spargel-30487442.html Energiewende im Südwesten Grüne Hügel, weißer Spargel Es gibt Menschen, die sich über den Höhenzügen des Schwarzwalds Schöneres vorstellen können als Windräder - Himmel zum Beispiel. Nicht ohne Grund nennt Baden-Württembergs Umweltminister Untersteller seine Pläne „ambitioniert“. Von Rüdiger Soldt, Stuttgart Über allen Gipfeln – warte nur, balde: Windräder auf dem Rosskopf bei Freiburg 18. August 2011 2011-08-18 17:16:00 Im Glottertal haben sie neulich abgestimmt. Es ging um Wuspeneck, Brombeerkopf und Scheresköpfle. „Sind Sie mit der Errichtung von bedeutsamen Windkraftanlagen einverstanden?“, hieß es in einer unverbindlichen Bürgerumfrage. 641 stimmten mit Ja, 521 mit Nein. Dem Glottertaler Bürgermeister Eugen Jehle (CDU) ging das zu schnell. Mit dem Gemeinderat schloss er sich dem Votum der Bürger nicht an. Der Ausbau der Windkraftenergie spaltet die Bevölkerung in Baden-Württemberg in zwei Lager. Ähnliche Abstimmungen wie im Glottertal wird es bald überall im Land geben. Denn die „Energiewende“ verlangt einen derart schnellen Bau von Windkraftanlagen, wie er im Südwesten geradezu als ketzerisch galt. Die alte Landesregierung, vor allem die CDU, hatte den Ausbau von Windkraftanlagen gebremst. Die „Verspargelung“ der schönen Schwarzwaldhöhenzüge wollte man nicht. Im Südwesten sei es ohnehin zu windstill, lautete die Begründung. 2010 gerade mal acht neue Windräder Fukushima, der Atomausstieg, die Energiewende haben nun alles in Frage gestellt, was über Jahrzehnte behauptet wurde. 2010 sind in Baden-Württemberg gerade einmal acht neue Windkraftanlagen gebaut worden. Von den Flächenländern ist der Südweststaat das Land mit der geringsten Windenergieausbeute; weniger als ein Prozent des Strombedarfs wird mit Windkraftanlagen gewonnen. Der grüne Umweltminister Franz Untersteller will im Jahr 2020 zehn Prozent des Strombedarfs mit Windenergie decken. Das ist ein ehrgeiziges Ziel, viele Wanderer im Schwarzwald oder im Odenwald werden bald Windkraftparks sehen, wenn sie durchs Fernglas schauen. In 130 Meter Höhe werden die immer effizienter werdenden Rotoren im Wind rauschen. Untersteller muss, wenn er sein hochgestecktes Ziel erreichen will, etwa hundert Windräder pro Jahr bauen - und vorher müssen die Bürger überzeugt werden. Überall, wo für die Energiewende gebaut wird, soll es „runde Tische“ und, wenn nötig, auch „Mediationsverfahren“ geben, denn viele Bürger und Naturschützer wehren sich schon jetzt gegen neue Stromleitungen oder Windräder. Unterstellers ambitionierter Plan Im Hotzenwald lehnt die grüne Basis den Bau des Pumpspeicherwerks Atdorf ab. Am Dollenberg im Nordschwarzwald regt sich der einflussreiche Hotelier Meinrad Schmiederer gerade darüber auf, dass nur 900 Meter von seinem Hotel entfernt Windräder aufgestellt werden sollen. Vor ein paar Jahren hat Schmiederer noch eine kleine Kapelle bauen lassen, weil Bad Peterstal-Griesbach so ein idyllisches und lauschiges Plätzchen war. Nicht ohne Grund nennt der Minister nennt seine Pläne „ambitioniert“. Nach der Sommerpause sollen die gesetzlichen Voraussetzungen geschaffen sein, damit mit dem Windenergieausbau in diesem Maße überhaupt begonnen werden kann. 99 Prozent der Landesfläche sind derzeit „Ausschlussgebiete“, also Flächen, auf denen keine Windkraftanlagen gebaut werden dürfen. Nach dem Willen von Untersteller wird es, wenn das Landesplanungsgesetz im Herbst novelliert ist, künftig solche „Ausschlussgebiete“ nicht mehr geben. Die sogenannte Schwarz-Weiß-Regelung wird abgelöst durch eine „Weiß-Grau-Regelung“. Schwarzwaldverein ist dagegen Die Regionalverbände und auch die kommunalen Spitzenverbände sind skeptisch und beklagen sich darüber, dass sie von einer „Politik des Gehörtwerdens“ in dieser Frage bislang wenig gespürt hätten. „120 Windräder pro Jahr, das sind zwanzig Standorte, an denen sie das bei den Bürgern durchsetzen müssen, das ist eine Herausforderung. Die Naturschutzverbände und der Schwarzwaldverein sind dagegen“, sagt der CDU-Landtagsabgeordnete und Energiefachmann Paul Nemeth. Außerdem gebe es im Schwarzwald nur 2000 Windstunden im Jahr, an der Nordsee 4000. Gäbe es den Dauerkonflikt um den Bahnhofsbau nicht, wäre der 1957 im Saarland geborene Umweltminister Untersteller neben Kultusministerin Gabriele Warminski-Leitheußer (SPD), die an der Einführung der Gemeinschaftsschule arbeitet, sicher das gefragteste Kabinettsmitglied. Untersteller hat für grüne Verhältnisse eher ein technokratisches Politikverständnis. Manche sagen, er sei ein Fachpolitiker. Bisher war Baden-Württemberg ein Atomenergieland Untersteller hat klare Vorstellungen, die CDU-Politiker schätzen ihn, mit dem jetzigen EU-Kommissar Günther Oettinger versteht er sich gut. Untersteller hat schon immer auf Solidität gesetzt. Beim Umbau seiner Ministeriums ist er umsichtig vorgegangen, er holte sich wenige, qualifizierte Leute in sein Ministerium. „Mein Ziel ist es, soviel Energie wie möglich im Land zu erzeugen, denn Energie, die wir über weite Strecken etwa aus Offshore-Windparks transportieren müssen, wird teuer“, sagt Untersteller. Weil die Konzessionen für die lokalen Netze auslaufen und die Städte auf Rendite setzen, muss Untersteller in den nächsten Monaten verhindern, dass es zu einer anarchischen Rekommunalisierung kommt. Möglich wäre ein Netzdienstleistungsunternehmen unter einer Beteiligung der Kommunen sowie der ENBW. Überall im Land wittern Investoren nun Verdienstmöglichkeiten. Fünfzig Anträge für Windkraftanlagen liegen für landeseigene Flächen der Landesforstverwaltung vor. Viele große Industrieunternehmen des Landes - Bosch, Liebherr oder auch ZF - wollen an der Energiewende mitverdienen. Baden-Württemberg ist bislang ein Atomenergieland gewesen. 52,3 Prozent des Strombedarfs stammt aus der Kernergie, 23,2 Prozent aus der Steinkohle, 15 Prozent aus erneuerbaren Energien, 5,3 Prozent aus Erdgas und 3,6 Prozent steuern sonstige Energieträger bei. Bisher haben die Landkreise von ENBW-Ausschüttungen profitiert Damit die Energiewende gelingen kann, sollen auch Wasserkraft und Photovoltaik deutlich ausgebaut werden. Diesen Umbau zu steuern gleicht einer Mammutaufgabe. Neue Windräder und Solarzellen auf den Dächern nutzen wenig, wenn das Netze nicht auf eine dezentrale Einspeisung vorbereitet werden und wenn Gaskraftwerke gebaut werden, die zur Versorgungssicherheit beitragen. Dazu braucht die Landesregierung die ENBW und vor allem die Kommunen mit ihren Stadtwerken. Der Umweltminister gehört dem Aufsichtsrat der ENBW nicht an, entsprechende Konzepte zum Umbau des Energiekonzerns werden derzeit im Staatsministerium und vom Koalitionspartner SPD im Wirtschaftsministerium geschrieben. Hier liegt für die rot-grüne Landesregierung eine der schwierigsten Klippen. „Wenn die neue Landesregierung den Energiekonzern umbauen will, braucht sie die Oberschwäbischen Elektrizitätswerke (OEW), die im Besitz der oberschwäbischen Landkreise sind“, sagt Nemeth. Bisher haben die Landkreise prima von der ENBW und den Ausschüttungen gelebt. Jetzt macht der Konzern Verlust und hat kein Geld, um in den Ausbau der erneuerbaren Energieerzeugung zu investieren. Im ersten Halbjahr dieses Jahres sind es mehr als 500 Millionen Euro Verlust. Dass sich die alte Landesregierung mit 45 Prozent an der ENBW beteiligte, erleichtert die Energiewende nicht. Die Dividende wird wohl nicht ausreichen, um die Zinsen für die Kredite zu zahlen. Die ENBW braucht viel Geld, weil sie neue Kohle- oder Gaskraftwerke bauen muss - anders lässt sich das Abschalten der vier Kraftwerksblöcke nicht kompensieren. Untersteller braucht also auch die Unterstützung der CDU-Landräte in Oberschwaben, die über die Geschicke der OEW und damit ENBW bestimmen. Ministerpräsident Kretschmann formulierte es in dieser Woche so: „Wir müssen ein wirklich neues Unternehmen machen.“ Text: F.A.Z. Bildmaterial: dapd |