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10.10.2008 KRISENGEWINNER Sparer flüchten in sichere Geldanlagen Von Hasnain Kazim
Was Werber in jahrelanger Arbeit nicht geschafft haben, erledigt die Finanzkrise blitzschnell: Sie krempelt den Ruf von Sparkassen und Genossenschaftsbanken um. In den Langweilern von gestern sehen Kunden plötzlich die sichere Bank - die Bundesfinanzagentur verzeichnet sogar verzehnfachte Umsätze.
Hamburg - Wer sich bis vor ein paar Tagen öffentlich dazu bekannte, Bundeswertpapiere zu kaufen, erntete in der Regel mitleidige Blicke: Gibt sich mit zwei bis fünf Prozent zufrieden, der Arme. Der Clevere machte in Aktien, kaufte Zertifikate, zockte mit Optionsscheinen.
Sparkassenbuch: Die Langweiler von gestern sind plötzlich die sichere Bank
Doch die Zeiten haben sich radikal geändert. Die Aktienkurse sind innerhalb weniger Tage dahingeschmolzen. Manche Papiere sind rein gar nichts mehr wert - wer in Lehman-Zertifikate investierte, ist sein Geld womöglich komplett los. Und wer sich von der isländischen Kaupthing-Bank von hohen Zinssätzen locken ließ, muss jetzt hoffen, dass die isländische Regierung ihre Versprechen hält und die inzwischen verstaatlichte Bank die Guthaben freigibt.
Käufer von Bundeswertpapieren haben ihr Geld dagegen sicher - immer noch mit mickriger Verzinsung zwar, aber besser als nichts. Die Ratingagenturen Moody's und Standard & Poor's bewerten alle deutschen Bundesanleihen und Obligationen mit der höchsten Bonitätsnote. Denn immerhin bürgt der Staat mit seinem Vermögen - und der Staat kann bekanntlich nicht pleite gehen. Das Interesse an staatlichen Wertpapieren, insbesondere an Tagesanleihen des Bundes, hat ab der zweiten Septemberhälfte entsprechend stark zugenommen.
"Wurden bis dahin im Durchschnitt Anteile an der Tagesanleihe zwischen sechs und zehn Millionen Euro pro Tag verkauft, waren es im Durchschnitt der letzten 14 Tage rund 40 Millionen", teilte die Bundesfinanzagentur SPIEGEL ONLINE mit, bei der Privatkunden gebührenfrei Bundeswertpapiere kaufen und verwalten lassen können. Mit immer weiter abstürzenden Kursen an der Börse hat diese Entwicklung sich verschärft: "In den letzten zwei Tagen erreichten wir Absätze von jeweils rund hundert Millionen Euro pro Tag. Das entspricht einer Verzehnfachung des Aufkommens an gewöhnlichen Geschäftstagen."
Die Bundesagentur, ein Finanzdienstleistungsunternehmen des Bundes, musste daher ihre Serviceabteilung aufstocken und die "technischen Möglichkeiten auf ein Maximum hochfahren": Täglich versuchen derzeit 40.000 Menschen bei der Hotline anzurufen, treffen rund 5000 Service-Anfragen per Post oder per E-Mail ein. Die Erreichbarkeit der Finanzagentur sei daher "zuweilen stark eingeschränkt".
"Menschen vertrauen öffentlich-rechtlichen Instituten"
Auch die Sparkassen und Genossenschaftsbanken, die in der Vergangenheit Millionen in Werbung investierten, um ihr verstaubtes Image zu polieren, verzeichnen jetzt zusätzliche Einlagen - obwohl manche von ihnen kräftig beim Verkauf riskanter Papiere wie den von Lehman Brothers emittierten Papieren mitmachten. Die Sparkasse Köln-Bonn, zweitgrößte unter den derzeit 446 Instituten in Deutschland, nahm seit Mitte September 355 Millionen Euro mehr ein.
Die Düsseldorfer Sparkasse spricht von rund 200 Millionen Euro zusätzlicher Einlagen. Auch Sprecher der Sparkassen Nürnberg und Hannover bestätigen, dass die Kunden ihr Geld in niedriger verzinste, aber sichere Anlageformen umschichteten. "Wir registrieren aber auch einen Anstieg bei der Zahl der Neukunden", sagt der Sprecher in Nürnberg.
Ebenso melden die Volksbanken und Raiffeisenbanken, neben den Privatbanken und den kommunalen Sparkassen als genossenschaftliche Kreditinstitute die dritte Säule des deutschen Bankensystems, ein "sprunghaft gestiegenes Einlagevermögen". "Die Zahl der Kunden nimmt zu, hört man aus den einzelnen Filialen, auch wenn exakte Zahlen noch nicht vorliegen", sagt ein Sprecher des Bundesverbandes der Deutschen Volksbanken und Raiffeisenbanken.
Der Deutsche Sparkassen- und Giroverband teilt mit, man registriere bereits seit einem Jahr bundesweit eine Zunahme der Kundenzahl. "Die Menschen vertrauen den öffentlich-rechtlichen Kreditinstituten", sagt ein Sprecher. Das liege an der sogenannten Institutssicherung, die es auch bei den Genossenschaftsbanken gebe - diese schütze die Einlagen der Kunden zu 100 Prozent.
Mehr Sicherheit, weniger Rendite
Der Sprecher betonte aber, dass das bei den Privatbanken angelegte Geld ebenso sicher sei. "Schon in der Vergangenheit waren enorme Summen durch den Einlagensicherungsfonds geschützt. Jetzt kommt auch noch eine von Bundeskanzlerin Angela Merkel angekündigte, unbegrenzte staatliche Sicherung dazu." Als Krisengewinner sehe man sich deshalb auf keinen Fall.
Das sehen auch die Privatbanken so. Bei der Deutschen Bank, der Commerzbank und der von ihr übernommenen Dresdner Bank heißt es, man stelle keinen Kapitalabfluss fest - sehr wohl aber eine Umschichtung in Anlageformen mit weniger Rendite, dafür mit mehr Sicherheit.
Bankenexperte Wolfgang Gerke warnt davor, die Privatbanken als die unsichereren Kreditinstitute darzustellen. "Deutschland hat ein äußerst stabiles Bankensystem", sagt er. "In der jetzigen Krise beweist das Drei-Säulen-Modell, dass es nichts Besseres gibt." Dass aber Menschen ihr Geld nun zu den Sparkassen und den Genossenschaftsbanken tragen, könne er aus psychologischer Sicht gut nachvollziehen. |