Technische Analysten prophezeien Kurseinbruch
Nasdaq-Index charttechnisch schwer angeschlagen - 20 Prozent Verlust möglich - Dax und Nemax im Schlepptau
Von Matthias Iken
Berlin - Sie kamen aus dem Nichts und trafen die Börsen der Welt mit Wucht: Drei "E" erregen, entnerven, ja, entsetzen die Aktionäre von Hochtechnologietiteln - der Euro, die Energiepreise und die Earnings, der englische Begriff für Gewinne. Vor allem die US-Technologieaktien, die nach dem Ausverkauf im Mai wieder in einen Aufwärtstrend zurückgefunden hatten, befinden sich plötzlich im freien Fall - der Nasdaq-Index büßte seit Anfang September zwölf Prozent ein. Besonders negativ: Am Montag durchbrach der Index die wichtige Widerstandsmarke bei gut 3800 Punkten. Die Verkäufe am Markt nahmen dabei mit dem Anstieg der Ölnotierung auf ein Zehnjahreshoch von 37 Dollar pro Barrel kontinuierlich zu. Steigende Ölpreise heizen nicht nur die Inflationsängste an, sondern drohen nun auch die Gewinne vieler Unternehmen zu schmälern. "Zum einen wirken sich die gestiegenen Energiepreise bei den Unternehmen direkt auf der Kostenseite aus, zum anderen könnte der Konsum zurückgehen und so indirekt das Wachstum abbremsen", sagt Thomas Liskamm, Stratege der Dresdner Bank. Bislang aber habe sich dies noch nicht nennenswert auf die Ergebnisse niedergeschlagen. So liegt die Zahl der Ertragsenttäuschungen in den USA auf dem Niveau des Vorjahres. Und: "Die letzten Gewinnwarnungen kamen fast nur aus der zweiten Reihe." Allerdings haben die US-Analysten im Durchschnitt ihre Schätzungen der Unternehmensgewinne für das dritte Quartal von 18,8 Prozent Anfang Juli auf nunmehr 17,3 Prozent zurückgenommen. Und vieles spricht dafür, dass das vierte Quartal deutlichere Bremsspuren zeigen wird. Vor allem der schwache Euro verhagelt den exportintensiven US-Multis das Geschäft. Deshalb riet die Investmentbank Morgan Stanley Dean Witter am Montag ihren Kunden, die Aktienbestände wegen der Gefahr verringerter Unternehmensgewinne etwas herunterzufahren.
Vor allem die technischen Analysten sind fast komplett ins Lager der Bären übergelaufen. "Mit dem aktuellen Bruch des mittelfristigen Aufwärtstrends hat die Dynamik nach unten deutlich zugenommen", sagt Michael Riesner, technischer Analyst Asset Management bei der DG Bank. Ihn stimmt skeptisch, dass in den USA die breite Mehrheit noch immer optimistisch gestimmt sei. "Außerdem wurde die Ölpreissteigerung an Aktien- wie Bondmärkten viel zu lange ignoriert." Nun werde der Nasdaq auf 3400 Punkte zurückfallen und dann vermutlich auch die 3000-Punkte-Marke testen. Eine deutliche Rückschlagsgefahr sieht er auch in Deutschland: Hier könne der Dax auf 6400 und der Nemax auf 4800 Punkte fallen. Schwarz sieht er vor allem für die Indexschwergewichte. "T-Online ist nach dem Bruch der 28-Euro-Marke in einem Trendkanal, der bis auf 18 bis 20 Euro zuläuft", sagt Riesner. Hohes Korrekturpotenzial sieht er auch bei den Biotech-Werten. Insgesamt rechnet der technische Analyst erst im November wieder mit einer Kurserholung.
Auch Carsten Jansing, Analyst bei Hornblower Fischer hält den US-Markt für kurzfristig angeschlagen. "Bei 3520 Punkten liegt die nächste Unterstützung. Sollte diese halten, könnte sich hier ein Boden ausbilden." Anderenfalls sei ein Absacken des Nasdaq bis auf 3100 Zähler möglich. Dennoch hält er den momentanen Stimmungswandel für übertrieben. "Die Marktschwäche ist vor allem psychologisch bedingt. Denn die Ölsensitivität der Volkswirtschaft habe in den vergangenen Jahren deutlich abgenommen." In diesem Zusammenhang warnt er die Regierungen, vor dem Druck der Straße einzuknicken. "Das würde die Märkte negativ beeinflussen und nur der Opec in die Hände spielen." Insgesamt blieben die fundamentalen Aussichten für Technologiewerte günstig. Vor diesem Hintergrund rät er Anlegern auch, bei Kursschwächen in Aktien von Unternehmen wie Commerce One, Amazon oder Ebay einzusteigen. Auch Liskamm sieht schon wieder erste Kaufkurse bei Blue-Chips wie Oracle, SAP, Microsoft, Amazon, AOL, Cisco, Sun oder Yahoo. "Die Sommermonate sind immer schwierig, doch die starken Quartale stehen noch bevor. Auch wenn viele im Augenblick nur die dunklen Wolken sehen: Der blaue Himmel dahinter zeichnet sich schon wieder ab."
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