"Es ist Krieg"
Veröffentlicht auf dieser Site: 23. Dezember 2004 Thema: Politik in Deutschland Rückblick 2004/ Ausblick 2005
Das neue Jahr beginnt symbolträchtig. Im kommenden Februar findet in München die alljährliche “Sicherheitskonferenz”, eine Kriegstagung, statt. Für den gleichen Monat erwartet das Ifo-Institut – zum ersten Mal seit 1932 – die Zahl von offiziell fünf Millionen Erwerbslosen in Deutschland. Kanzler Schröder will gleichzeitig Nationalismus nähren: “Den Menschen muss bewusst werden, dass Deutschland eine neue Rolle spielen muss.” Der verschärfte Konkurrenzkampf unter den Kapitalisten wird auch im neuen Jahr den zwischenimperialistischen Wettstreit – ökonomisch und militärisch – vertiefen, während der Arbeiterklasse in den jeweiligen Nationalstaaten die Daumenschrauben noch fester gedreht werden sollen.
2004 – Neue Armut Deutschland
“Fette Gewinne – sinkende Löhne” titelte Spiegel Online am 6. Dezember. Lohnkürzungen und Arbeitszeitverlängerungen, weniger Weihnachts- und Urlaubsgeld, mehr Arbeitshetze – für die abhängig Beschäftigten war 2004 ein schwarzes Jahr. Mit Hartz IV wird die Schröder-Regentschaft Hunderttausende ins Elend reißen. Kurz vor dem Jahreswechsel wurde der Armutsbericht der Bundesregierung bekannt (ursprünglich sollte er erst nach der nordrhein-westfälischen Landtagswahl Mitte 2005 veröffentlicht werden): Unter Rot-Grün stieg der Anteil der in Armut lebenden Haushalte von 12,1 auf 13,5 Prozent. Die Zahl der überschuldeten Haushalte nahm seit 1998 sogar um 13 Prozent auf 3,13 Millionen zu. Auf der anderen Seite erhöhte sich die Zahl der Millionäre von 510.000 auf 775.000!
Daimler, Opel, Karstadt...
In den letzten zwölf Monaten wurden in einem Betrieb nach dem anderen in der Vergangenheit erkämpfte tarifliche Rechte abgesenkt. Nachdem 2003, angefangen mit den Beamten, vor allem im Öffentlichen Dienst die Brechstange angesetzt wurde, sind seit der Metall-Tarifrunde im Februar 2004 in 84 Betrieben Arbeitszeiten verlängert oder Sonderzahlungen zusammengestrichen worden. Das gilt längst nicht mehr nur für Kleinbetriebe, sondern für Großkonzerne wie Siemens, DaimlerChrysler, Volkswagen und Opel oder im Einzelhandel Karstadt. Die meisten Verschlechterungen wurden unter dem Co-Management der Gewerkschafts- und Betriebsratsspitzen durchgezogen. Dabei diskreditierten sich nicht nur “Modernisten” wie IG-Metall-Vize Berthold Huber, sondern auch “Traditionalisten” wie IGM-Chef Jürgen Peters. Im Öffentlichen Dienst war gerade der in den bürgerlichen Medien als “linker Hardliner” verschrieene Frank Bsirkse bei der Verbetrieblichung und der damit verbundenen Zerfaserung des Flächentarifs federführend.
Aufschwung von Kämpfen
2004 war aber auch das Jahr des Wiederauflebens betrieblicher und sozialer Kämpfe. Ausgangspunkt war letztendlich die gegen den Willen der DGB-Führung von unten durchgesetzte Demonstration von 100.000 im 1. November 2003. Dieser Erfolg ermutigte viele und führte zu einer eindrucksvollen Kette von Mobilisierungen. Nachdem die Peters' und Bsirskes mit den drei Großdemos am 3. April die Initiative zurückgewinnen konnten, aber nur Dampf ablassen wollten, kam es zu einer weiteren Verlagerung der Auseinandersetzungen auf die betriebliche Ebene. Beim Daimler-Aktionstag am 15. Juli besetzten die seitdem als “Mettinger Rebellen” bezeichneten Kollegen die sechsspurige B 10 in Stuttgart. “Wir haben als IG Metall nicht zu irgendetwas aufgerufen”, so IGM-Bezirksleiter in NRW, Detlef Wetzel, zum Ausstand der Bochumer Opelaner. “Wir haben hier keine Aufrufe gestartet, wir stacheln nichts an, aber die Leute organisieren sich vollkommen selbst”; so Renate Gmoser, IGM-Verhandlungsführerin beim dreitägigen Märklin-Streik in Göppingen. In diesen Kämpfen verlor die Bürokratie des DGB zeitweilig die Kontrolle.
2005 – Bittere Abwehrkämpfe zu erwarten
Mit Hartz IV kommt die eigentliche Bescherung unmittelbar nach Weihnachten. Da das Gesetz am 1. Januar in Kraft getreten ist, ist von keiner Neuauflage der Anti-Hartz-Bewegung vom Frühherbst 2004 auszugehen. Trotzdem waren die spontan initiierten Montagsdemos nicht umsonst. Sie waren in Ostdeutschland die größten Massenproteste seit 1989. Damit wurde die bis dahin vorherrschende Passivität größerer Schichten von Erwerbslosen und Beschäftigten aufgebrochen. Ottmar Zwiebelhofer, Präsident des baden-württembergischen Metallarbeitgeberverbands, stellte jüngst die für März beschlossene Entgelterhöhung von 2,7 Prozent in Frage und führte die wirtschaftliche Stagnation an: “Wir sind davon ausgegangen, dass sich 2005 der Silberstreifen am Horizont in ganzer Breite zeigt – darin haben wir uns gründlich getäuscht.” Der Ausverkauf von Arbeiterrechten wird sich 2005 fortsetzen. Damit sind aber auch neue Konflikte wie bei Opel-Bochum vorprogrammiert. Opel Bochum dient auch als Vorbild für Beschäftigte in anderen Bereichen, wie bei den Hamburger ErzieherInnen: “Es geht hier um bis zu 3.000 Arbeitsplätze – das sind Dimensionen, wie sie beim Bochumer Opel-Werk diskutiert werden”, erläutert Ronald Prieß vom “Bündnis der Hamburger Kita-Beschäftigten” (...) Zwar gebe es anders als beim Opel-Konflikt für die auf viele hundert Arbeitsstätten verteilten Kita-Beschäftigten kein zentrales Werkstor, an dem sie ihren Protestausdrücken könnten” (taz vom 6. Dezember), trotzdem sind für Februar Streiks geplant. Im Jahr 2005 drohen auch Angriffe auf das Streikrecht, die Mitbestimmung und den Kündigungsschutz. Das wollen die Herrschenden ganz gezielt zu diesem Zeitpunkt ins Visier nehmen, um den einsetzenden Widerstand zu erschweren. Im neuen Jahr sind neue Streiks von unten, wenn nicht gar Betriebsbesetzungen zu erwarten. Falls es zu einem Großkonflikt oder einer Streikwelle kommen sollte, ist es möglich, dass die DGB-Führung sich zur Organisierung von Massenstreiks gezwungen sieht, um die Kontrolle über die Bewegung wiederzuerlangen. “Es ist Krieg” hieß es auf einem Transparent von Daimler-Kollegen letzten Sommer. Das werden in den anstehenden Konflikten immer mehr erkennen. In diesen Auseinandersetzungen wird eine neue Schicht von AktivistInnen ihre Erfahrungen machen. Sie werden lernen, sich gegen die Gewerkschaftsbürokratie zusammentun zu müssen, um einen Kurswechsel im DGB zu erreichen. Es wird auch darum gehen, die Chancen zu nutzen, die sich aus der WASG ergeben. Die Parteigründung markiert den Beginn des Bruchs der Gewerkschaften mit der SPD. Jetzt gilt es, in der neuen Partei dafür zu kämpfen, dass sie - im Krieg mit den Unternehmern und ihren Parteien – eine brauchbare Waffe für die arbeitende Bevölkerung wird.
von Aron Amm, Berlin |