Kolumne
Vergesst den Dax
von Wolfgang Münchau
Vergessen Sie die Aktienmärkte. Die
globale Finanzkrise, die in der letzten Woche ihren Anfang genommen hat, hat mit den Aktienmärkten nur peripher etwas zu tun.
Bewegungen in den Aktienindizes, wie wir sie in der letzten Woche erlebt haben, sind im Grunde genommen nichts Spektakuläres. Aber
wo es im Gebälk der Finanzmärkte momentan so richtig kracht, das sind die Kreditmärkte, insbesondere bei den Kreditderivativen, einem der faszinierendsten Segmente moderner Finanzmärkte.
Während sich in den letzten zwei Tagen die Aktienmärkte ein wenig beruhigten, hat es bei einigen Kreditderivaten extreme Einbrüche gegeben. Bei einem Kreditderivat handelt es sich um ein Instrument, mit dem sich ein Investor gegen ein Kreditrisiko absichert, etwa die Insolvenz eines Emittenten.
Besonders beliebte Instrumente sind Indexderivate wie der Itraxx Crossover Index, der wie folgt funktioniert. Der Itraxx sammelt eine Reihe von Wertpapieren mit schlechter Bonität, sogenannte Junk-Bonds. Der Itraxx Crossover Index hat momentan einen Wert von etwa 240 Basispunkten. Das bedeutet, dass man 240.000 Euro im Jahr bezahlen muss, um sich gegen den Verlust von 10 Mio. Euro bei Junk-Bonds abzusichern.
Rückkehr des Risikobewusstseins
Es ist sehr interessant, sich einmal den Verlauf des Itraxx Crossover Index anzusehen. Am 5. Februar notierte der Itraxx Crossover (fünf Jahre) bei 194 Basispunkten. Am 22. Februar erreichte dieser Index einen Tiefststand von 171. Die Absicherung wurde also billiger. Das heißt, die Verkäufer dieser Papiere wurden immer risikofreudiger und waren bereit, die Versicherungsleistung für eine geringere Prämie zu erbringen. Seitdem aber ist die Notierung des Itraxx in die Höhe geschnellt. Am Montag erreichte er die 240 Basispunkte. Das Risikobewusstsein kehrte in diesen Markt ganz plötzlich zurück.
Dem Itraxx liegen Junk-Bonds einer ausgewählten Gruppe von Unternehmen zugrunde. Es gibt aber einen Teil des Kreditmarkts - vorwiegend in den USA -, wo man sich nicht gegen den Ausfall von Junk-Bonds versichert, sondern
gegen den Ausfall von Junk-Hypotheken. Solche schlechten Hypotheken sind - in der Form, wie sie in den USA angeboten werden - in Deutschland rechtlich nicht möglich. Es handelt sich um sogenannte Sub-Prime Mortgages, Hypotheken mit einem Zinssatz unter dem Basiszinssatz der Zentralbank.
Warum bietet eine Bank eine derartige Hypothek an? Der Grund liegt darin, dass die Bank - und der Kreditnehmer - darauf spekuliert, dass der Wert des Hauses, auf welches die Hypothek ausgeschrieben ist, steigen wird. Sodass man die stetig steigende Schuld - denn nichts anderes bedeutet eine Sub-Prime Mortgage - mit dem Gewinn aus dem Hausverkauf abzahlt. Wenn der Hausmarkt wie zuletzt einbricht, dann platzt dieses wahnwitzige Pyramidenspiel der Banken.Das Resultat ist, dass eine große Reihe von Sub-Prime-Kreditinstituten in Schwierigkeiten ist. Man hört fast täglich neue Schreckensmeldungen aus diesem Sektor. Am Montag verkündete HSBC, eine der größten Banken der Welt, dass sie zwei Jahre bräuchte, um ihr Portfolio schlechter Hypotheken wieder in Ordnung zu bringen. Am gleichen Tag fielen die Aktien von New Century Financial, des drittgrößten Anbieters von Sub-Prime-Hypotheken, um 70 Prozent, nachdem bekannt wurde, dass die Staatsanwaltschaft dort ermittelt.
So wie der Itraxx eine Risikoabsicherung gegenüber Junk-Bonds ermöglicht, so erlaubt der "ABX BBB-"-Index eine Absicherung gegenüber Junk-Hypotheken. ("BBB-" ist der Code, den Ratingagenturen für Junk-Bonds vergeben.) Es sollte nicht überraschen, dass der ABX BBB- in den letzten Wochen eine rasante Talfahrt hinter sich gebracht hat.
Der Index fiel von einem Wert von 95 auf 60 im Februar. Das heißt, die Risikoabsicherung wurde erheblich teurer.
Mittlerweile greift aber die Unsicherheit auch auf die besseren Hypotheken über, bei denen es bislang noch keine konkreten Probleme gab. Aber auch dort entwickeln Investoren wieder eine natürliche Angst vor dem Risiko.
Hohe Ansteckungsgefahr
Die New Yorker Fachzeitschrift "Grant's Interest Rate Observer" machte in ihrer jüngsten Ausgabe eine interessante Beobachtung.
Wenn im Kreditmarkt ein kleiner Teil des Marktes zusammenbricht, dann funktionieren auch die mathematischen Modellrechnungen für die anderen Teile des Marktes nicht mehr, weil sich das Verhalten der Investoren ändert. Die
Risikoaversion ist größtenteils ein massenpsychologisches Phänomen, das starken Schwankungen unterliegt. Daher greifen Blasen in einem Teil des Marktes auf den Rest über - genauso wie jetzt bei den Hypotheken.
Warum sind die Kreditmärkte ein Problem für den Rest der Marktteilnehmer? Weil globale Investoren, die sich in einem Markt die Finger verbrennen, in Panik ihr Portfolio umschichten. Aus diesem Grunde haben wir in dieser Woche die hohen Verluste bei Gold oder Nickel beobachtet. Die Verluste an den Aktienmärkten hatten indes viel mehr mit dem wieder erstarkten Yen zu tun und dem gefährdeten Carry-Trade, der darin besteht, dass sich Investoren zu extrem niedrigen Zinsen in Yen verschulden und in anderen Märkten ihr Geld anlegen, in Aktien aber auch in Kreditderivaten.
Die
Aktienmärkte sind zwar meines Erachtens auch jetzt noch überbewertet, aber diese Überbewertung ist nicht unser eigentliches Problem.
Unser Problem ist, dass viele Marktteilnehmer verrückte Risiken eingegangen sind, die innerhalb weniger Wochen neu bewertet wurden - ein Prozess, der wohl noch einige Zeit anhalten wird.Wer wissen möchte, ob einem die Finanzmärkte - und damit letztlich auch die Weltkonjunktur - um die Ohren fliegt, der sollte sein Augenmerk daher weniger auf den Dax oder den Dow Jones richten, sondern vielmehr auf den ABX BBB- oder den Itraxx Crossover Index. Der Terror, dem die Finanzmärkte momentan ausgesetzt sind, steckt in diesen Instrumenten.
FTD
Wolfgang Münchau ist Kolumnist der FTD und der FT.
Chart des ABX-HE-BBB- 06-2Quelle:
http://www.markit.com/information/affiliations/abx