Öl im Sand Von Hans Jörg Müllenmeister Donnerstag, 17. Juli 2008 Weltreserve-Tanks: Ölsand- und Schiefer. In kanadischen Ölsand investiert man gegenwärtig mehr als 100 Mrd. USD. Das schwarze Blut der Wirtschaft strömt von einem Preisgipfel zum anderen. Unaufhaltsam. Die überquellende Erdbevölkerung und damit die starke Rohölnachfrage aus aufstrebenden Wirtschaftsräumen wie Indien und China wächst bei schwindendem Angebot. Zwangsläufig steigen damit auch die Nahrungsmittelpreise - selbst in jedem Bananenpreis steckt auch ein Ölanteil. Die abstruse Mais-Methan-Lobby der USA vergeudet zu allem Übel Nahrungsmittel für das Herstellen von Kraftstoffen. Die Nahrungsmittel verteuern sich durch diesen Verknappungseffekt. Allein das führt weltweit zu Unruhen in den Ländern der dritten Welt. Die Erschöpfung der Erdölreserven wird im nächsten Jahrzehnt eine bittere Erkenntnis sein. Die Welt verbraucht 26 Mrd. Barrel pro Jahr. Mit Ghawar, Burgan und Cantarell haben die drei weltweit größten Ölfelder ihren Zenit überschritten. Die globalen Vorkommen aus weltweit 45.000 Ölfeldern schätzt man auf 900 Mrd. Barrel, davon sind heute etwa 90% bekannt. Die Hälfte der Erdölvorkommen sind bereits ausgebeutet. Von den weltweit täglich verbrauchten 80 Mio. Barrel Rohöl - das sind 500.000 angefüllte Olympiaschwimmbecken - beanspruchen allein die USA 25%, die aber nur 5% der Weltbevölkerung stellen. Ungeachtet dieser Dramaturgie wird durch ein weltweites Wirtschaftswachstum der globale Durst nach Rohöl auf über 120 Mio. Barrel pro Tag steigen.
Und so stellt sich die angespannte Situation dar: Gespickt mit Ressourcen-Kriegen, wird unser 21. Jahrhundert in die Geschichte eingehen. Dramatisch schwinden die globalen Ölvorräte. Vielfach ist das Ölfördermaximum längst überschritten. Ziel der USA ist die totale Kontrolle über die Ölfelder im Nahen Osten. Die Ölpiraten Bush & Cheney wollen ihren Heattrick Afghanistan, Irak, Iran vor der Präsidentenwahl mit der Shopping-Seatour im Iran vollenden. Es geht um den schlummernden Energieschatz im Erdreich, den die Natur in Jahrmillionen schuf und den die Menschheit in einem guten Jahrhundert rücksichtslos ausplündert und vergeuden wird.
Bei der verzweifelten Suche nach Rohöllagerstätten stieß man auf Ölsande und Ölschiefer in schier gigantischen Vorräten. Allein die weltweiten Ölressourcen aus Ölsanden sind durch einen mächtigen Würfel von 8 km Kantenlänge vorstellbar. Indes ist der Abbau problematisch, zunächst was die Kostenseite betrifft, aber auch die ökologische Seite ist nicht unproblematisch.
Beginnen wir beim Ölschiefer, der so heißt, weil er weder aus Öl noch aus Schiefergestein besteht, ähnlich dem „Bayrischen Leberkäs“, der bekanntlich weder Leber noch Käse enthält. Doch was ist Ölschiefer? Es ist ein Mergelgestein, das aus Kalk und Ton besteht. In früheren Zeiten brachte man den Mergel als Düngemittel auf die Felder. Doch Pflanzen ernähren sich nicht vom Kalk allein, sie benötigen auch andere Mineralien als Düngerbeigaben. Die so behandelten Felder laugten den Boden aus, daher stammt übrigens die Redewendung vom „Ausmergeln“.
Der Begriff Ölschiefer ist also petrographisch irreführend. Ölschiefer sind reich an organischem Kohlenstoff und manchmal in der Tat schieferig aufblätternd. Der organische Kohlenstoff kann aus Meeres- oder Süßwasseralgen, aber auch aus anderen planktonischen Organismen und Bakterien gebildet sein. Diese Biomasse besteht aus Eiweißen, Kohlehydraten und Fetten.
Nach ihrem Absterben sanken die Kleinstlebewesen auf den Meeres- oder Seeboden. Diese Biomasse zersetzte sich vollständig; nur die Hartteile blieben als Fossilien im Sediment erhalten. Sanken die Organismen aber auf einen sauerstoffarmen Meeresboden, verzögerte sich der bakterielle Abbau von Biomasse. Ähnlich wie im Steinkohlewald, kam es in den tieferen Meeresregionen durch den Sauerstoffmangel zu keiner Verwesung.
Eiweiße und Kohlehydrate spalten sich zunächst in ihre Einzelbausteine auf. Fett bleibt als Fett erhalten. Die Einzelbausteine und das Fett vereinen sich im lockeren Sediment zu einer neuen Substanz, dem sogenannten Kerogen. Man kann nachweisen, dass es aus abgestorbenem Plankton entstanden sein muss. Bei chromatographischen Untersuchungen lassen sich Aminosäuren und Chlorophyll-Abbauprodukte feststellen. Kerogen ist eine wasserunlösliche Substanz, die fein im Sediment und, nach dessen Verfestigung, schließlich im Sedimentgestein verteilt ist. Ölschiefer enthält also kein Öl, sondern Kerogen das erst in geologischer Zeit bei zunehmender Versenkung und Wärme Öl bilden kann. Ölschiefer zeichnen sich gegenüber den reinen Öllagerstätten durch einen geringeren Wasserstoff- und einen höheren Sauerstoffanteil aus.
Öl wird aus Ölschiefer aber nur in einem bestimmten, relativ eng umgrenzten Temperaturbereich von 60 bis 120°C gebildet. Der Temperaturbereich ist abhängig von der Zusammensetzung des Kerogens. Bei zu niedrigen Temperaturen wird kein Öl erzeugt, bei höheren Temperaturen meist nur noch Erdgas. In der Natur wird Öl erst gebildet, wenn der Ölschiefer durch Erdfaltung in etwa 2 km Erdtiefe versenkt ist. Fehlt aber ein Speichergestein, das Öl wie ein Schwamm aufsaugt, kann sich das Öl erst gar nicht ansammeln. Eine Erdöllagerstätte entsteht erst dann, wenn das aufsteigende Öl von einer undurchlässigen Gesteinsschicht aufgehalten wird.
Wie läßt sich aber aus "Ölschiefer" Öl gewinnen? Dazu muß der Mensch die in der Natur auftretenden Vorgänge mit Energieeinsatz beschleunigend „nachbilden“. Der künstliche Prozess besteht aus Erhitzen des Kerogens auf über 300°C, der Verschwelung, und der Abkühlung auf unter 30 bis 50°C. Dabei wird das Kerogen in ein Gasgemisch umgewandelt, aus dem man das Öl herausdestilliert. Dazu ist neben Energie auch eine erhebliche Menge an Kühlwasser notwendig.
Der eigentliche Hoffnungsträger ist der Ölsand, der in Riesenmengen im kanadischen Boden lagert. Ölsand ist hydrophil, das heißt zwischen dem Sandkorn und dessen Ummantelung aus Kohlenwasserstoffen befindet sich ein feiner Wasserfilm. Der Kohlenwasserstoffanteil in den Sanden beträgt zwischen 1 und 18%: vom langkettigen Bitumen bis hin zum Rohöl. Im Durchschnitt benötigt man zwei Tonnen Ölsand, um ein Barrel, also 159 Liter, Rohöl herzustellen. Nach dem Abtrennen von Sand und Wasser wird der Kohlenwasserstoff-Anteil thermisch gecrackt, hydriert, entschwefelt und zu synthetischem Rohöl weiterverarbeitet. Das entstandene, schwefelarme „sweet crude-oil“ ist leicht weiterzuverarbeiten. Angereichert mit Wasserstoff, taugt es zur Benzinherstellung. Diesen Wasserstoff bezieht man aus Erdgas, Kanada besitzt davon fast 1% der weltweiten Reserven.
Bereits im Jahr 2004 wurden täglich 1 Mio. Barrel Bitumen aus Ölsand gewonnen. Das sind 160.000 Kubikmeter. Die dazu nötige Dampfenergie stammt größtenteils aus der Verbrennung von Erdgas: für das Umwandeln eines Barrels Bitumen in transportfähiges Öl müssen etwa 28 Kubikmeter Erdgas verheizt werden. Energetisch heißt das: 1 Gigajoule sind aufzuwenden, um daraus ein Barrel Öl mit etwa 6 Gigajoule zu gewinnen. Die Kohlendioxid-Emission ist mehr als dreimal so hoch wie bei der herkömmlichen Rohölförderung. Etwa ein Drittel des weltweiten Ölsands von 1,7 Billionen Barrel, also etwa 270 Kubikkilometer, lagern als Athabasca-Ölsand in Kanada. Das entspricht einer geschätzen Fördermenge von 180 Mrd. Barrel Erdöl.
In kanadischen Ölsand investiert man gegenwärtig mehr als 100 Mrd. US-D. Die durchschnittlichen Förderkosten liegen bei knapp über 15 US-D pro Barrel, mit dem notwendigen Umwandeln des Bitumens in synthetisches Rohöl klettert der Preis auf etwa 35 US-D.
Unternehmen wie Suncor, Syncrude, Albian Sands, Canadian Natural Resources und Nexen wenden zwei Verfahren an. Beim ersten wird heißer Wasserdampf in die Lagerstätte gepumpt, der das Bitumen flüssiger macht, so dass man es abzapfen kann. Beim in-situs-Verfahren im Tagebau versetzt man den Ölsand mit heißem Wasser und Natron. Das Bitumen löst sich aus dem Sand, wird verbessert und kommt als synthetisches Rohöl auf den Markt. Die Gewinnung von Öl aus Ölsand soll bis 2015 von den heutigen etwas mehr als eine Mio. Barrel auf über drei Mio. Barrel täglich gesteigert werden.
Die Problematik aus Ölsanden Öl zu gewinnen, wird mit • einem hohen Energieaufwand erkauft, • ökologischen Schäden um die Ölsand-Lagerstätten, • extrem hohen Wasserverbrauch. • Vor allem aber hinterläßt der Ölsandboom im sozialen Gefüge Kanadas seine häßliche Spuren.
Das hohe Tempo beim Ausbeuten der Ölsand-Vorkommen führte in Alberta zu Engpässen bei den Fachkräften, denn die wandern wegen der besseren Bezahlung aus anderen Unternehmen ab. Bis 2010 rechnet man in Alberta mit 400.000 Jobs, die nicht besetzt sind. ----------- "Es gibt nichts, was so verheerend ist, wie ein rationales Anlageverhalten in einer irrationalen Welt. |