FinanzNachrichten.de, 11.12.2008 20:44:00
DJ Kommentar der Financial Times Deutschland zum Ölpreis - vorab 12.10.2008
Ende der Gewissheiten Auf dem Ölmarkt ist eine Ära zu Ende gegangen. Es gab eine Zeit, in der sich die Frage nach der Richtung des Ölpreises gar nicht mehr zu stellen schien, sondern nur noch, ob es überhaupt ein Limit für ihn gibt - und wenn, auf welcher Höhe. Das jetzige Eingeständnis der lange Zeit alarmistisch auftretenden Internationalen Energieagentur, dass die Nachfrage 2008 zum ersten Mal seit 25 Jahren wieder schrumpft, steht für einen beispiellosen Stimmungswechsel. Ließ ein Rekordpreis von 147 $ Mitte Juli Experten schon von Notierungen jenseits der 200 $ schwadronieren, so hat sich die Situation inzwischen in ihr Gegenteil verkehrt: Preise von 30 $, ja sogar 20 $ im kommenden Jahr scheinen angesichts der weltweiten Rezession möglich. Aus dem abrupten Meinungs- und Preisumschwung lässt sich nur eine Schlussfolgerung ziehen: Prognosen sind chronisch unzuverlässig. Den Ölpreis auf lange Sicht vorherzusagen ist in etwa so seriös wie ein Wurf mit dem Würfel. Die Gründe dafür liegen in der Struktur der Branche. Die Unberechenbarkeit des Ölmarkts hat viel damit zu tun, dass Angebot und Nachfrage auf Preisverschiebungen sehr unelastisch reagieren. Ein hoher Ölpreis führt erst mit deutlicher Verzögerung dazu, dass das Angebot ausgeweitet und der Verbrauch eingeschränkt wird. Denn Explorationsprojekte sind aufwendig und teuer. Auch der Konsum wird meist reichlich spät zurückgefahren und nur, wenn es unbedingt nötig ist. Die Periode zwischen 2002 und 2007 bietet dafür sehr gutes Anschauungsmaterial: Obwohl der Ölpreis um 88 Prozent zulegte, stieg der Verbrauch in den Vereinigten Staaten dennoch um jährlich 4,5 Prozent. Über den gleichen Zeitraum hinweg wuchs die US-Wirtschaft nur um 14,1 Prozent. Mit anderen Worten: Der Ölpreis neigt zur Unter- und Überreaktion, weil keine physische Anpassung erfolgt. Die strukturell bedingten gewaltigen Schwankungen des Ölpreises werden durch globale Ungleichgewichte und Spekulation dynamisch weiter verstärkt. In derselben Periode wurden Produzenten und Anleger durch niedrige Realzinsen dazu ermuntert, Öl zu horten. Die Ölkonzerne förderten es gar nicht, weil sich die Erträge aus Explorationsprojekten nicht anständig verzinsten. Die Anleger wiederum nahmen Ölfutures in ihr Portfolio auf und spekulierten auf steigende Preise. In der ersten Phase der Krise zwischen Juni 2007 und Juli 2008 führte das Zusammenspiel von struktureller Inelastizität mit der Kombination aus niedrigen realen Zinsen und Kapitalzuflüssen dann zu einer beispiellosen Rally, die den Preis auf das absurd anmutende Niveau von 147 $ trieb. In der zweiten Phase ab dem Sommer jedoch brach die strukturelle Komponente weg: Die Rezession warf ihre Schatten voraus, die Ölnachfrage kollabierte - und mit ihr der Ölpreis. Wenn also in Zukunft jemand nach einer Preisprognose für 2009 fragt, gibt es nur eine Antwort: Zwischen null und 200 $ oder mehr ist alles möglich. Christian Schütte - 030/22074161
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December 11, 2008 13:43 ET (18:43 GMT)
Quelle: Dow Jones News |