Freenet-Chef droht die GeneralabrechnungUntreue-Vorwürfe. Aktionäre meutern gegen den Vorstand des Internet- und Mobilfunkanbieters Freenet. Sind Eckhard Spoerrs Tage als Vorstandschef gezählt?
Spitzenverdiener Spoerr: Im Visier von Staatsanwälten und Aufsichtsbehörden, Foto: APEckhard Spoerr erweckte den Eindruck, als ginge es nur um eine kleine Formalität. Gerade mal fünf Seiten enthielt die Tischvorlage des Freenet-Chefs zu Tagesordnungspunkt drei der Aufsichtsratssitzung am 30. Mai. Und auch der Inhalt war so formuliert, dass die Kontrolleure keinen Anstoß nahmen. Es sei nur ein „Bestätigungsbeschluss“ zu einem Aktienwertsteigerungsprogramm, über den der neue Aufsichtsrat nach der nun vollzogenen Verschmelzung von Freenet und Mobilcom aus formalen Gründen noch einmal abstimmen muss. Der Jahresabschluss 2006 und der Lagebericht gingen bereits von einer Wirksamkeit des Programms aus.
Was der Aufsichtsrat mit Helmut Thoma an der Spitze dann beschloss, wird heftige Debatten auf der Hauptversammlung am 20. Juli auslösen. Mit nur einer Gegenstimme segneten die neun anwesenden Kontrolleure ein Aktienwertsteigerungsprogramm ab, dass es in dieser Form in der deutschen Wirtschaft noch nicht gegeben hat. Barauszahlungen im Wert von bis zu 50 Millionen Euro erhalten Vorstände und Führungskräfte, allen voran Vorstandschef Spoerr und Finanzvorstand Axel Krieger, bis zum Ende der Laufzeit im Jahr 2010, wenn der Kurs der Freenet-Aktie auf mindestens 27 Euro steigt.
Spoerrs Gegner schlachten diesen und andere Fehltritte genüsslich aus. Große Aktionäre wollen das überdimensionierte Wertsteigerungsprogramm, den schwachen Geschäftsauftakt im ersten Quartal und die verlorenen Übernahmeschlachten um den Internet-Anbieter AOL und den Mobilfunkdienstleister Talkline auf der Hauptversammlung zur Sprache bringen. Und mit den geballten Vorwürfen ihre eigenen Interessen vorantreiben: Sie wollen ihre Anteile schnell versilbern und den Konzern in seine Bestandteile zerlegen. Wenige Wochen nach der mühsam vollendeten Verschmelzung mit Mobilcom und mit einem breit gestreuten Aktionärskreis ohne strategisch denkendem Mehrheitseigner, droht Freenet zum Spielball kurzfristig denkender Investoren und Spekulanten zu werden.
Mehr noch. Spoerr droht eine Generalabrechnung, in der die gesamte Entstehungsgeschichte von Freenet noch einmal aufgearbeitet wird. Denn am 1. Juni übergab der Wirtschaftsprüfer Marc Münch den Staatsanwälten in Hamburg und Kiel sowie diversen Aufsichtsbehörden, darunter der Finanzdienstleistungsaufsicht (BaFin) in Frankfurt und der US-Wertpapieraufsicht SEC in New York ein 940 Seiten starkes Dossier, das der WirtschaftsWoche vorliegt. Der ehemalige Leiter des Rechnungswesens von Freenet wirft dem Vorstand Betrug, Untreue, Insiderhandel und Geldwäsche vor.
Für die Spoerr-Gegner ist das ein gefundenes Fressen. Nur zu gern zeichnen sie das Bild eines Vorstands, der mehr an sein eigenes Wohl denkt als an das der Firma. Das gerade verabschiedete Aktienprogramm sei da nur der vorläufige Höhepunkt. Am Tag des Aufsichtsratsbeschlusses, am 30. Mai, schloss die Freenet-Aktie bei knapp 24 Euro. Eine Steigerung von gerade mal 13 Prozent reicht also aus, um Spoerr & Co. zu Spitzenverdienern zu machen. „Anreizorientierte Aktienwertsteigerungsprogramme sollten höhere Ziele enthalten“, schimpft ein ehemaliger Mobilcom-Manager.
Bei den Investoren löst das Programm einen Proteststurm aus. Großaktionäre wie Paschalis Choulidis, Vorstandssprecher beim Mobilfunkanbieter Drillisch, und Stephan Howaldt vom Finanzinvestor Hermes Focus Asset Management Europe wollen persönlich zur Hauptversammlung kommen, um mit Spoerr abzurechnen. „Die Vorstände bedienen sich selbst“, schimpft Drillisch-Chef Choulidis. „Aufsichtsräte, die dieses Programm durchgewinkt haben, sind für uns nicht mehr tragbar“.
Hermes-Geschäftsführer Howaldt hofft noch auf einen „freiwilligen Teilverzicht“ des Vorstands. Die Höhe und die leichte Erreichbarkeit des Optionsprogramms verstießen gegen alle Regeln einer guten Unternehmensverfassung, im Fachjargon Corporate Governance. Sein weiteres Vorgehen macht er von der Einsicht des Managements und den Entwicklungen im Vorfeld der Hauptversammlung abhängig. „Generell setzen wir auf minimal-invasive Chirurgie und gehen nicht mit dem Vorschlaghammer vor“, sagt Howaldt. Von dieser Linie könne man aber auch abweichen. Bei nachhaltigen Problemen bleibe manchmal keine andere Wahl, als dem Vorstand die Unterstützung zu entziehen und auch Gegenanträge zu stellen.
NEUSpoerr hält die Vorwürfe für ein „abgekartetes Spiel“. Bereits im März sei das Programm im Börsenprospekt veröffentlicht worden. Da habe niemand protestiert. Außerdem sei die Rechnung „absurd“. Der Aufsichtsrat habe gerade die Grenze von 27 Euro eingezogen, damit das Programm über die Laufzeit von sechs Jahren nicht ausufert. Das maximale Potenzial belaufe sich auf durchschnittlich 1,7 Millionen Euro pro Jahr für jedes Vorstandsmitglied.
Die Diskussion über das Programm erhöht den Druck auf Spoerr. Vehement hatte sich der Freenet-Chef in den vergangenen Wochen gegen alle Zerschlagungspläne gestemmt. Er habe nicht anderthalb Jahre für eine Fusion gekämpft, um das Unternehmen schon nach wenigen Monaten wieder aufzuspalten, betont er immer wieder. Jetzt kommt er seinen Kritikern entgegen. Vergangene Woche erhielt die Investmentbank Morgan Stanley den Auftrag, „uns bei der Prüfung strategischer Optionen für die Freenet AG in einem sich konsolidierenden Markt zu unterstützen“. Einen Verkauf schließt Spoerr damit ausdrücklich nicht mehr aus. „Freenet ist ein Übernahmekandidat“, urteilen die Analysten der HypoVereinsbank daraufhin und stuften die Aktie von „Halten“ auf „Kaufen“ hoch.
Einige Aktionäre halten Spoerrs scheinbares Entgegenkommen für eine „Nebelkerze“ und ein „Ablenkungsmanöver“, um seinen eigenen Kopf zu retten. Für den 39-jährigen Überflieger der deutschen Web-Szene ist eigentlich undenkbar, dass er sich von „seinem Baby Freenet“ (Spoerr) trennt. Mit frechen Werbesprüchen („Normal ist das nicht“) und grellen Farben (giftgrün) formte der ehemalige Unternehmensberater in nur acht Jahren aus dem kleinen Internet-Startup Freenet einen der größten Konkurrenten von Marktführer T-Online mit einem Jahresumsatz von rund zwei Milliarden Euro – und behielt sogar kühlen Kopf, als um ihn herum alles zusammenzubrechen drohte.
Die Beinahe-Insolvenz der Muttergesellschaft Mobilcom und den Rückzug seines Ziehvaters Gerhard Schmid überstand er unbeschadet. Auch den Machtkampf mit dem damaligen Mobilcom-Chef Thorsten Grenz gewann Spoerr und stieg zum Chef des fusionierten Unternehmens auf.
Vom Aufstieg hat vor allem Spoerr profitiert. Mit einem Jahresgehalt von 3,8 Millionen Euro gehörte der Freenet-Chef im vergangenen Jahr zu den Top-Verdienern in Deutschlands Vorstandsetagen – und zog damit sogar an Telekom-Chef René Obermann vorbei. Mehr als 70 Prozent der Bezüge stammen aus erfolgsabhängigen Options- und Aktienwertsteigerungsprogrammen. Seine Verkäufe haben schon Untersuchungen wegen Insiderhandel ausgelöst, Ermittlungsverfahren der Bundesanstalt für Finanzdienstleistungen (BaFin) und der Staatsanwaltschaft Hamburg laufen noch.
Das Münch-Dossier löst jetzt weitere Ermittlungen aus. Mit internen Dokumenten versucht der Ex-Buchhalter zu belegen, dass der Freenet-Vorstand selbst oder über ein Geflecht von Beteiligungen in die eigene und andere Taschen gewirtschaftet und dem Unternehmen so einen Schaden in zweistelliger Millionenhöhe zugefügt hat. Die Staatsanwaltschaften Hamburg (Aktenzeichen 5650 Js 42/07) und Kiel (Aktenzeichen 545 Js 30428/07) haben Ermittlungsverfahren eingeleitet. „Jedes Mal, wenn man mich schwächen will, werden diesen alten Vorwürfe wieder gegen mich instrumentalisiert“, weist Spoerr die Anschuldigungen zurück. Sie seien allesamt falsch. Die Staatsanwaltschaft München habe, so Spoerr, ein entsprechendes Verfahren bereits eingestellt.
Die dubiosen Geschäftspraktiken begannen bereits bei der Gründung von Freenet.de: Im Sommer 1999 startete die Mobilcom AG die Internet-Aktivitäten unter dem Projektnamen Top-World, um sie später separat an die Börse zu bringen. Die Tochter sollte den Namen Freenet.de bekommen, der sich aber zu diesem Zeitpunkt noch in Besitz einer Privatperson befand. Spoerr selbst erwarb die Domain für 25.000 Mark, um sie zwei Monate später, im November 1999, für 100.000 Mark an die Freenet.de AG zu verkaufen. Zu diesem Zeitpunkt war er schon Vorstandschef. Der damalige Aufsichtsratsvorsitzende Gerhard Schmid zeichnete den Kaufpreis als Prämie für Spoerr ab.
Ein deutlich höherer Schaden entstand beim Kauf von Beteiligungsgesellschaften, die zusammen mit der in der Schweiz ansässigen IWorxx AG gegründet wurden. Christoph Bergner, ein Freund Eckhard » Spoerrs, hatte, so Münchs Vorwurf, dieses Unternehmen allein mit dem Ziel gegründet, um sich zusammen mit Freenet an mehreren Internet-Gesellschaften wie der Absolutfilm GmbH und der Vitrado GmbH zu beteiligen. Obwohl diese Gesellschaften einen Großteil ihres (Schein-)Umsatzes mit Freenet und Mobilcom machten, übernahm Spoerr die Firmen später zu deutlich überhöhten Preisen. iWorxx hat von Freenet mehr als fünf Millionen Euro in bar erhalten und über drei Millionen Freenet-Aktien, die heute einen Wert von mehr als 70 Millionen Euro haben, heißt es in Münchs Dossier für die Staatsanwaltschaft.
Die Vorwürfe sind nicht neu. Bereits am 5. Mai 2002 hatte Münch, damals noch bei Freenet beschäftigt, in einem Schreiben an den damaligen Aufsichtsrat Gerhard Picot dem Vorstand Geldwäsche, Betrug und Veruntreuung vorgeworfen. Münch wurde von Freenet Ende 2002 gekündigt.
Eine damals vom Aufsichtsrat in Auftrag gegebene Untersuchung der Wirtschaftsprüfungsgesellschaft Pricewaterhouse Coopers (PwC) kam in ihrem Abschlussbericht allerdings zu dem Ergebnis, dass „keine Anhaltspunkte für pflichtwidrige und strafbare Handlungen vorliegen“. Allerdings haben Freenet und Mobilcom den Untersuchungsbericht nie veröffentlicht.
Insider zweifeln am Wert des Gutachtens. „Als Abschlussprüfer bei Freenet hatte PwC gar kein Interesse an einer echten Prüfung“, sagt ein Ex-Manager. Drillisch-Chef Choulidis hält deshalb eine unabhängige Sonderprüfung „für durchaus sinnvoll, wenn Herr Spoerr weiterhin versucht, alle Vorwürfe unter den Teppich zu kehren“. Er behält sich vor, einen entsprechenden Antrag auf der Hauptversammlung zu stellen.
Ohnehin plädiert Choulidis dafür, den Aufsichtsrat neu zu besetzen. „Unser Eindruck ist, dass nicht der Aufsichtsrat den Vorstand kontrolliert, sondern umgekehrt der Vorstand den Aufsichtsrat.“
(Quelle:WiWo11.07.2007] jürgen.berke@wiwo.de Aus der WirtschaftsWoche 28/2007. |