Mobilfunk - Blühendes Leben (EurAmS) Finanzen.net
Daß Wachstum in der Mobilfunkbranche inzwischen ein rares Gut ist, wurde Vodafone-Chef Arun Sarin jüngst wieder sehr schmerzhaft bewußt. "Wir haben es mit einer Marktsättigung zu tun", mußte der Vorstand des nach Umsatz größten Mobilfunkbetreibers der Welt zugeben. Nur noch um sieben bis acht Prozent wird der Umsatz der erfolgsverwöhnten Briten in diesem Jahr zulegen, Tendenz fallend. Börsianer reagierten geschockt. Die Aktie fiel um mehr als zehn Prozent - der größte Kurseinbruch seit dreieinhalb Jahren. Wo wachsen? Das ist die bohrende Frage, die sich Mobilfunkmanager angesichts gesättigter Märkte im Westen stellen. In Europa, vor zehn Jahren noch das Eldorado der Funker, lassen sich außer unter Jugendlichen fast keine echten Neukunden mehr gewinnen. Beinahe jeder in Deutschland, Italien oder Großbritannien hat bereits ein Handy. Viele Neukunden müssen teuer von der Konkurrenz abgeworben werden. Um den Boommarkt Asien ist längst ein erbitterter Kampf entbrannt, in der Entwicklungsregion Lateinamerika zeigen die Wachstumsraten inzwischen deutlich nach unten (siehe Grafik). Doch wer lange genug sucht, der findet. In Afrika, dem von Hunger, Seuchen und Flüchtlingselend geprägten Armenhaus der Welt, finden die Funker neuerdings fruchtbaren Boden. Vodafone-Chef Sarin hat sein Feld bereits bestellt: Unlängst stockte der Brite den Anteil an der südafrikanischen Vodacom auf 50 Prozent auf. Das Investment war dem smarten Konzernchef immerhin ein Drittel des gesamten Akquisitionsvolumens der vergangenen sechs Monate wert. 16 Milliarden Rand, das sind umgerechnet über zwei Milliarden Euro, gab Sarin für weitere 15 Prozent am nach Kundenzahl größten Mobilfunker Afrikas aus. Zwar steckt das Handy-Geschäft auf dem Schwarzen Kontinent, der dreimal so groß ist wie Europa, noch in den Kinderschuhen. Doch langfristig lockt ein Absatzmarkt mit mehr als 900 Millionen Menschen. Mit hohem Tempo erobern Mobiltelefone den Kontinent. Seit 1995 wurden zwischen Kairo und dem Kap über 70 Netze installiert. Zum Vergleich: In Deutschland gibt es deren vier. Inzwischen kann man gar auf dem 6000 Meter hohen Kilimandscharo in Kenya seine Gipfelbilder per Handy verschicken. Die Bevölkerung nimmt den Einzug der kommunikativen Moderne dankend an. Die afrikanischen Festnetze gelten als marode, Ferngespräche sind in weiten Teilen des Kontinents reine Glückssache. Selbst lokale Verbindungen funktionieren in unterentwickelten Ländern wie Nigeria, Mozambique oder dem Kongo nur sporadisch. Die Mobilfunker haben in den vergangenen Jahren jährliche Steigerungen bei den Neukunden von über 40 Prozent eingefahren. Zwischen 1999 und 2004 verzehnfachte sich die Zahl der Handybenutzer zwischen Kairo und Kapstadt auf 75 Millionen. Daß das Wachstum weitergeht, bezweifelt niemand: Das britische Marktforschungsinstitut WCIS rechnet im Jahr 2010 mit 210 Millionen afrikanischen Handy-Besitzern.
Der geringen Kaufkraft großer Teile der Bevölkerung zollen HandyHersteller angesichts des Wachstumspotentials gerne Tribut. Denn nur wenige Afrikaner können sich die im Westen üblichen, mit allerlei Schnickschnack wie Kameras oder Musikspielern ausgestatteten Modelle für weit über 100 Dollar leisten. Die Nummer 2 im Weltmarkt, Motorola, verkündete im September, die Aktivitäten bei Billighandys künftig zu verstärken. Ein für Entwicklungsländer konzipiertes Modell, das Anfang nächsten Jahres auf den Markt kommt, soll um die 30 Dollar kosten. Das macht den Handy-Luxus auch für viele Afrikaner erschwinglich. Auch die Netzbetreiber stellen sich auf das niedrige Verdienstniveau ein. In Südafrika bieten die führenden Mobilfunker Vodacom und MTN Prepaid-Karten schon umgerechnet für 3,60 Euro an. Die Strategie ist klar: Kleine, aber billige Minutenkontingente locken auch Kunden mit dünnem Portemonnaie. Und anschließend dient das Handy auch als Vehikel, um die Menschen in den Townships etwa an Bankdienstleistungen heranzuführen. Die Zahl der Menschen mit eigenem Bankkonto ist in Südafrika seit dem Siegeszug der Mobiltelefone stark gestiegen.
Im Land an der Südspitze des Kontinents treffen zwei afrikanische Branchenriesen direkt aufeinander. Die Vodafone-Beteiligung Vodacom, deren andere Hälfte dem südafrikanischen Festnetzbetreiber Telkom gehört, steigerte die Zahl der Klienten seit September vergangenen Jahres um fast 50 Prozent auf jetzt über 20 Millionen. Erzrivale MTN, ebenfalls mit Firmensitz in Südafrika, hält dagegen. Das Unternehmen wird nach Schätzungen der US-Investmentbank Merrill Lynch seine Kundenbasis bis März kommenden Jahres um knapp die Hälfte auf deutlich über 20 Millionen ausweiten. Um Preiskämpfe zu vermeiden, gehen sich die Rivalen außerhalb der Handy-Hochburg am Kap aus dem Weg. Vodacom betreibt Netze in Tansania, Lesotho und dem Kongo. MTN wiederum bedient Handy-Nutzer in acht anderen Staaten im Westen Afrikas, unter anderem in Nigeria.
Das friedliche Nebeneinander in der Provinz dürfte sich im bevölkerungsreichsten Staat des Kontinents jedoch nicht fortsetzen. Nigeria lockt mit Öl, wirtschaftlichem Wachstum und einer sich deshalb gut entwickelnden Kaufkraft seiner 137 Millionen Einwohner. Bis 2009 soll laut Schätzungen die Zahl der Handynutzer von derzeit rund neun Millionen auf rund 38 Millionen steigen.
Trotz der Verlockung des Marktes ist das Risiko für Investoren in Staaten wie Nigeria nicht eben gering. Das politische System ist instabil, Rechtssicherheit ein Fremdwort. "Diese Länder sind teils sehr korrupt. Vor allem westliche Unternehmen müssen erst einmal die Mentalität der afrikanischen Kunden verstehen", sagt Martin Gutberlet. Mobilfunk-Experte der Gartner Group. Noch vor drei Jahren hatte sich Südafrikas Vodacom wegen der Korruption aus dem Land zurückgezogen. Doch derzeit überwiegt der Hunger nach Wachstumsraten die Vorsicht. Die Mehrheit an Nigerias drittgrößtem Mobilfunker, Vmobile, steht zum Verkauf. Sowohl MTN als auch Vodacom haben bereits Interesse signalisiert. "Der nigerianische Markt ist zu groß und wichtig, um außen vor zu bleiben", sagt Vodacom-Chef Alan Knott-Craig. Für ein 51-Prozent-Paket, derzeit noch in Staatsbesitz, bietet Knott-Craig 750 Millionen Dollar. Noch ist nichts entschieden. Zumal auch Investoren aus dem arabischen Raum, wie die kuwaitische Telekom MTC, dagegen halten.
Durch das Engagement der britischen Vodafone bekommt die Konkurrenz der beiden Mobilfunker jetzt eine vollkommen neue Note: Beide sitzen, was die Bewertung in den Augen internationaler Investoren angeht, im selben Boot. Kurz nachdem die Zwei-Milliarden-Investition der Briten in Vodacom bekannt wurde, stieg der Börsenkurs der MTN kräftig an. "Inzwischen ist auch MTN als natürliches Übernahmeziel für Investoren aus Europa, Asien und dem Mittleren Osten zu betrachten", sagt Meloy Horn, Analystin bei Merrill Lynch in Johannesburg. Vodafone-Chef Arun Sarin wird es nicht trösten, dem Rivalen am Kap soviel Gutes getan zu haben. Der Börsenkurs des britischen Mobilfunkriesen hat sich immer noch nicht vom letzten Schock erholt. Diese Seite drucken Quelle: Finanzen.net 27.11.2005 11:23:00 |