SGL Carbon hat die Finanzkrise gut überstanden und steht nun vor neuen Chancen durch eine Kooperation mit BMW. Der Markt für Karbonfasern zieht an, der Wettbewerbsdruck steigt und Investitionen sind erforderlich. Ein spannender Markt, der schnell für Begeisterung sorgt, doch Sie müssen Ihre Begeisterung für das Produkt von einer etwaigen Begeisterung für die Aktie differenzieren. KARBONFASER REDUZIERT GEWICHT UND SPART SPRIT Früher wurden Autos aus Stahl gebaut. Audi brachte mit der Aluminiumkarosserie die Revolution in Gang. Nun will BMW an seinen Autos immer mehr Stahlteile durch Karbonfaser ersetzen. Ziel: Gewichtsreduzierung und dadurch weniger Spritverbrauch. Denn nach dem Kollaps des Solarmarktes wird eines offensichtlich: Egal ob Elektromotor, Brennstoffzelle oder sparsame Benziner und Diesel, die erforderliche Energie kommt letztlich noch immer zu einem großen Teil aus fossilen Quellen (Kohlekraftwerke), und wenn wir eine Verantwortung gegenüber der Umwelt übernehmen wollen, dann ist die Umstellung auf regenerative Energien nur einer von zwei Schritten. Der zweite Schritt ist die Reduzierung des Energieverbrauchs. Im Jahr 2010 sind die Staatsschulden ausgeufert, einige Staaten schlürften knapp an der Insolvenz vorbei, andere sprangen mit Milliardenbeträgen zu Hilfe. So richtig leisten will sich nun kaum noch ein Land die teuren Subventionen der erneuerbaren Energien, zumal deren Wirksamkeit inzwischen nachgelassen hat. Die Starthilfe ist erfolgreich gewesen, nun müssen sich sinnvolle Strukturen ohne Subventionen für erneuerbare Energien entwickeln. So ist meines Erachtens im Jahr 2011 mit erneuerbaren Energien an der Börse kein Blumentopf zu gewinnen. Zu viele Investoren haben sich eine blutige Nase geholt, zu wenig Phantasie kommt derzeit neu in den Markt hinein. Stattdessen werden sich Anleger anderen Themen zuwenden, und ein Thema davon wird die Effizienzsteigerung bei etablierten Technologien sein. Was heute schon gut ist, kann also noch ein bisschen besser gemacht werden. Bei Autos heißt das, dass geeignete Bauteile künftig durch Karbonfaserteile ersetzt werden. Karbonfaser ist sehr leicht und erreicht, wenn die Verarbeitung auf das Einsatzgebiet abgestimmt ist, die gleiche Festigkeit wie Stahl oder Aluminium. Das Gewicht beträgt aber nur einen Bruchteil des Stahls. Während in Autos also immer mehr Kabelstränge und Kleinstmotoren (Fensterheber, Klimaanlage, ...) für eine ständige Gewichtszunahme sorgen, soll durch Leichtbaumaterialien an Karosserieteilen wieder etwas an Gewicht eingespart werden. WINDRÄDER, FLUGZEUGE UND AUTOS Derzeit werden Karbonfaserstoffe insbesondere bei Rotoren von Windrädern verwendet. Die extrem langen Rotorblätter müssen sehr steif sein, um dem Wind eine feste Angriffsfläche zu bieten, doch gleichzeitig dürfen sie nichts wiegen, um den Reibungswiderstand niedrig zu halten. Ein ideales Einsatzgebiet für Karbonfaser. Vermutlich inspiriert von den Rotorblättern, werden Boeing und Airbus ihre neuen Langstreckenflugzeuge mit einem großen Anteil an Karbonfasern ausstatten. Das Gewicht der Flügel und des Flugzeugbauches reduziert sich damit beträchtlich, der Spritverbrauch soll hierdurch erheblich gemindert werden. Ich verschone Sie hier mit Zahlen, da ich eine Menge widersprüchliche Rechnungen gefunden habe. Wie bei allen neuen Technologien ist Karbonfaser in seinen derzeit noch jungen Jahren sehr teuer. 15 Euro das Kilo muss man etwa zahlen, je nach Verarbeitung auch deutlich mehr. Doch je breiter die Einsatzmöglichkeiten für den neuen Stoff, desto größer werden die Produktionsanlagen und desto günstiger wird dann letztlich der Kilopreis. Wenn also heute das „teure“ Karbon den breiten Einsatz noch nicht lohnt, so wird sich die Verwendung meines Erachtens weiter ausbreiten, der Preis wird parallel dazu fallen und immer mehr Anwendungsgebiete werden erschlossen. BMW hat für das Jahr 2013 das erste Serienfahrzeug mit einem Karbon-Cockpit angekündigt: Den „Megacity“. Partner von BMW für dieses Projekt ist SGL Carbon. Susanne Klatten, mit ihrer Familie (Quandt) Mehrheitseignerin von BMW, besitzt 22,25% an SGL Carbon. Sie hat eine klare Entwicklungsrichtung ausgerufen: BMW setzt auf Karbonfaser. So scheint es für SGL Carbon eine sichere Sache, dass der Umsatz in den nächsten Jahren kräftig anspringt. Mit BMW im Boot kann doch kaum noch etwas schiefgehen, oder? STEIGENDER WETTBEWERB, SINKENDE PREISE Nun, es ist nicht leicht, ein profitables Unternehmen in einem Wachstumsmarkt zu sein. Schnell investiert man zu viel, schafft kurzzeitig Überkapazitäten und kann später notwendige Investitionen dann nicht mehr tätigen, man gerät ins Hintertreffen. Oder man investiert zu wenig und verliert Marktanteile, sieht zu, wie die Konkurrenz sich breit macht. So hat Mercedes nun auch den Schwenk zu Karbonfasern geschafft, Daimler wird mit dem japanischen Kohlefaserspezialisten Toray (derzeit weltweit die Nr. 1 im Karbonfasermarkt) in Deutschland (Esslingen) eine Karbonfaserfabrik aufbauen. Auch das neue Gemeinschaftsunternehmen wird bei Airbus und bei Vestas anklopfen und fragen, ob dort nicht günstigere Karbonstoffe gewünscht werden, als sie derzeit von SGL Carbon angeboten werden. Und natürlich werden bei einer steigenden Anzahl an Wettbewerbern auch die Preise purzeln, die Bruttorendite von 13-19%, die SGL Carbon in den Boomjahren 2007 und 2008 erzielen konnte, wird so leicht nicht mehr möglich sein. Nach 3% im Jahr 2009 und geschätzten 10% im Jahr 2010 wird dem Analyst Marc Gabriel vom Bankhaus Lampe zufolge erst 2013 wieder die 13% Marge erreicht werden können. BETRACHTUNG AUS ANLEGERSICHT Es ist leicht, Begeisterung für diesen neuen Werkstoff zu entwickeln. Und über die rosigen Aussichten verkennt man schnell einmal die Gefahren, die in so jungen Branchen nun einmal stecken. Für SGL Carbon werden die nächsten Jahre meines Erachtens trotz des verlässlichen und finanzkräftigen Partners BMW nicht leicht. Die Innovation in der Materialverarbeitung bei gleichzeitigem Ausbau des Produktionsvolumens muss mit der Konkurrenz Schritt halten. Doch wenn man einen so wichtigen Kunden wie BMW im Aufsichtsrat sitzen hat, werden die Unternehmensziele von SGL Carbon im Zweifel mit den Zielen von BMW gleichgeschaltet. Als Kleinaktionär möchten wir jedoch lieber in Unternehmen investieren, die viele Kunden haben und wo keine Gefahr besteht, in Abhängigkeit von einem Kunden zu geraten. So viel Sicherheit BMW SGL Carbon in diesen jungen Wachstumsjahren geben kann, so gefährlich könnte diese Allianz später einmal für die Innovationskraft werden. BMW und Mercedes müssen sich beide auf den Weltmärkten behaupten, und wenn es zu sinnvollen Konditionen möglich gewesen wäre, dann hätte Mercedes eine Kooperation mit BMW / SGL Carbon gesucht und wäre nicht nach Japan ausgewichen. Doch so wird eine starke Konkurrenz ins eigene Land geholt und SGL Carbon wird den Wettbewerbsdruck zu spüren bekommen. So ist ein KGV nördlich von 40, wie es kürzlich noch für SGL Carbon bezahlt wurde, heute nicht mehr möglich. SGL Carbon ist nicht mehr alleine und wenngleich das Unternehmen in Deutschland noch einige Zeit lang Marktführer bleiben wird, so wird doch auch diese Position durch finanzkräftige Wettbewerber angegriffen werden. Einen Aufschlag aufgrund seiner Marktposition erhält SGL Carbon also leider nicht mehr. BEWERTUNGSNIVEAU VERNÜNFTIG So notiert die Aktie derzeit auf einem KGV 2011e von 21. Das erwartete Umsatzwachstum beträgt 14%, im Jahr danach nur noch 10%. Für meinen Geschmack ist die Aktie von SGL Carbon auf diesem Niveau fair bewertet. Wenn das Geschäft im laufenden Jahr den Erwartungen zufolge tatsächlich um 14% ansteigt, dann kann auch der Aktienkurs meines Erachtens noch um einen ähnlichen Prozentsatz anziehen. Von aktuell 27,41 Euro ergibt sich somit ein Kursziel etwas über 31 Euro. Eine Dividende wird nicht ausgezahlt. Bei 1,5 Mrd. Euro Jahresumsatz ist der Stand langfristiger Schulden mit 443 Mio. Euro in Ordnung. Es zeigt sich an diesen Kennzahlen, wie kapitalintensiv das Geschäft derzeit ist. Eine Rückführung der Schulden steht derzeit nicht auf dem Programm. Auch die Eigenkapitalquote von 40% ist in Ordnung, aber nicht herausragend. KURSENTWICKLUNG ENTSPRECHEND DER KONJUNKTUR Die Finanzkrise, die fast in eine Weltwirtschaftskrise ausgeartet wäre, forderte auch bei dem stark von Finanzierungen abhängigen Geschäft von SGL Carbon seinen Tribut, die Aktie stürzte von 50 im Sommer 2008 auf 10 Euro im Herbst 2008. Seither folgt eine kontinuierliche Erholung, verzerrt durch den Einstieg von Frau Klatten Mitte 2009. Das gute Quartalsergebnis im vergangenen Oktober sorgte dafür, dass die Analysten ihre Erwartungen nach oben schraubten, der Kurs zog entsprechend von 25 auf fast 30 Euro an. Doch seither bleiben neue positive Überraschungen aus, so dass der Kurs in einer Spanne zwischen 26,50 und 29 Euro seitwärts läuft. Im weiteren Verlauf des Jahres würde ich einen Ausbruch aus dieser Spanne nach oben erwarten, als Kursziel sehe ich dann die oben errechneten 31 Euro. FAZIT: ORDENTLICHE AKTIE OHNE VORSCHUSSLORBEEREN IN ATTRAKTIVEM MARKT SGL Carbon notiert also auf einem fairen Niveau. Das Unternehmen hat keinen First-Mover-Advantage mehr, sondern muss sich gegen den zunehmenden Wettbewerb behaupten. Dadurch werden die Bäume der Gewinnmargen nicht in den Himmel wachsen, es bleibt ein solides, berechenbares Geschäft, das stark konjunkturabhängig ist. Ein mittelfristiger Katalysator könnten konkrete Zahlen zum BMW Projekt Megacity sein, wenn die Bedarfsmengen an Karbonfaser bekannt werden. Diese Zahlen könnten, so munkelt man, höher ausfallen, als dies derzeit in den Umsatzerwartungen für SGL Carbon enthalten ist, und somit würde die Aktie dadurch dann anziehen. Wer die Aktien kaufen möchte, sollte auf diese Entwicklung setzen und entsprechende Meldungen beobachten. Das ist eine schöne Aussicht, aber für meinen Geschmack ist das nicht genug, um in ein kleines Portfolio zu gelangen. Da gibt es aussichtsreichere Aktien im Bereich der Automobilbranche als auch im Bereich der Energie- Effizienzsteigerungsthemen. Wer diese Aktie im Depot hat, muss ein Auge auf den Wettbewerb haben. Heibel Ticker 11/05 |