wie mit Trump hart ins Gericht https://www.welt.de/kultur/plus211447031/...ktivist-interessiert.html ..... Wir Amerikaner denken über Reformen ganz anders nach als Sie das in Europa tun, mit den Unterscheidungen in Linke und Rechte. Amerikaner denken moralisch – das heißt, sie denken nicht nur in moralischen Kategorien oder ob das Ergebnis einer Handlung moralisch ist, sondern sie rechnen immer mit der Moralität eines Individuums, andere zu bekehren – auf dass sie ihre Sünden beichten und sich zu einem neuen Evangelium bekennen. Für mich zeigt diese Zeit heute eine Rückkehr ins 19. Jahrhundert. Die amerikanische Gesellschaft ist am Ende des 20. Jahrhunderts ins 19. Jahrhundert zurückgekehrt – denken Sie an die neue Klasse der Plutokraten, korrupte Populisten, moralisch-religiösen Fanatismus und den Druck, der auf Denkern und Künstlern lastet, sich konform zu verhalten. Und wir haben denselben zensurhungrigen Geist, der feindlich dem freiheitlichen Denken und der Kunst gegenüber steht.
WELT: Sie stellen fest, es gäbe eine Tendenz, „komplexe politische Fragen in einer blendenden moralischen Gewissheit“ aufzulösen. Geht es hier auch um einen Unterschied zwischen Generationen? Viele der aktuellen Empfindlichkeiten werden der „Generation Snowflake“ zur Last gelegt? Welche Rolle spielt das Alter hier?
Lilla: Nun, ich habe dieses Phänomen zu verschiedenen Zeiten meines Lebens beobachten können. Und ja, oft stecken junge Leute dahinter. Die Tendenz, die wir hier sehen, sich symbolischer Gesten zu bedienen als ein Mechanismus des virtue signaling, ist eine ganz alte amerikanische Praxis. Genauso wie zu glauben, dass es genügt, seinen Willen zu erklären und seine Ideale auszusprechen; dass es genügt, andere dazu zu bringen, es einem gleichzutun, um die Welt zu verändern. Wir beschäftigen uns mit moralischen Fragen, statt denen, die praktisches Denken erfordern würden. .... Lilla: Was tun wir denn eigentlich: Wie verhalten wir uns gegenüber der Polizei in armen Vierteln, wo nicht nur die Mehrzahl der Gefängnisinsassen Afroamerikaner, sondern auch die Opfer der Verbrechen unverhältnismäßig viele Afroamerikaner sind. Das ist ein echtes Problem. Innerhalb der afroamerikanischen Community haben die Menschen zwei Interessen. Um damit fertig zu werden, ist eine Menge Denkarbeit erforderlich: Man muss überlegen, was eigentlich Polizeiarbeit bedeutet und bedeuten soll, welche anderen Institutionen helfen könnten, Lücken zu füllen.
Nur: Sobald man über solche Details spricht, werden die Augen der Aktivisten glasig, und sie sind einfach nicht mehr interessiert. Wenn man nicht offen über diese Dinge redet, ändert sich aber nichts. Und wenn man nicht genau darüber nachdenkt, welche politischen Siege es braucht, um Reformen anzustoßen, kommt nichts dabei heraus.
WELT: Das heißt?
Lilla: Es wird keine größere Polizeireform in den USA geben, wenn etwas weniger als die Hälfte unserer Staaten von den Republikanern dominiert wird. Denn die Bürgermeister sind Republikaner, die Bezirkskommissare sind republikanisch, die sich um die Einstellung von Polizisten kümmern. Die Generalstaatsanwälte sind republikanisch, und die Staatsanwälte sind es, die Polizisten verfolgen, die Verbrechen begangen haben. Wenn Sie in diesen Regionen keine Wahlen gewinnen können, werden Sie keine Reformen erleben. Und der neue Typ von Aktivist hat kein Interesse daran – der interessiert sich für die tugendhaften Gesten und ansonsten für Straßentheater.
WELT: Wie sieht dieser neue Aktivist für Sie aus? Ist er oder sie Millennial? Und ein Dekadenzphänomen?
Lilla: Naja, eins hat sich ganz sicher verändert: Früher war Aktivismus mit Arbeit verbunden. Aus dem einfachen Grund, dass es schwer war, mit Leuten Kontakt aufzunehmen. Das Internet hat das verändert. Viele junge Leute heute denken, dass „Senden“ auf dem Computer zu klicken, ein politischer Akt sei. Ist es aber nicht. Diese Leute leben in einer Welt der symbolischen Gesten und der symbolischen Sprache, die nicht viel mit der sozialen Wirklichkeit zu tun hat. Natürlich hat das Internet auch sein Gutes, für die „Black Lives Matter“-Demonstrationen zum Beispiel war es sehr wichtig. Ich glaube nur nicht, dass es eine gesunde, nachhaltige politische Kultur fördert; man wird sich zu schwer einig.
WELT: Was meinen Sie genau mit Symbolsprache?
Lilla: Die Fixierung auf Begriffe. Oder die Frage, ob man die richtigen Pronomina verwendet, ob man weiß, welche Initialen auf welche Gruppen zutreffen, wann man schwul, lesbisch, trans sagt. Der Frage, was die richtigen Wörter sind und ob man die richtig verwendet, wird ein enormes Gewicht beigemessen. Ein Beispiel: Dass man nun nicht mehr „Vater und Mutter“ sagen soll, sondern neutral von „Eltern“ sprechen. Es geht darum, unsere Sprache so zu verändern, dass sie in ihr Bild von der Welt passt. |