Das Ende der Welt AG scheint in Sicht: Seit Wochen spielen die Märkte die Trennung von Daimler und Chrysler. Das dabei: Ein Verkauf der US-Sparte würde Daimler zum erstklassigen Übernahmeobjekt machen von Christiane Habrich-Böcker
Der Aufreger ist Tagesordnungspunkt 9a. Dort steht der Antrag des Profikritikers Ekkehard Wenger: Die DaimlerChrysler AG soll sich in Daimler-Benz AG zurückbenennen und zwar spätestens bis 31. Mai 2008. Vorstand wie Aufsichtsrat empfehlen freilich schon im Vorfeld, den Antrag bei der Hauptversammlungen am Mittwoch im Berliner ICC abzulehnen.
Bedeutet dieses Nein der Chefetage etwa, dass Chrysler nicht verkauft wird? Dass nicht geschieht, was die Märkte seit Wochen spielen, was Analysten und Fondsmanager fordern, weil sie nicht mehr an eine nachhaltige Sanierung von Chrysler glauben? Worauf Anleger spekulieren und was endlich Leben in einen jahrelang dahinsiechenden Aktienkurs gebracht hat? Sicher nicht.
Denn die Aussage der wegweisenden Ad-hoc-Mitteilung der Konzernführung vom 14. Februar ist eindeutig: Man prüfe bezüglich Chrysler alle Optionen. Der Verkauf ist eine. Seit DaimlerChrysler-Chef Dieter Zetsche die bis dahin als sakrosant geltende Auflösung der Welt AG nicht mehr ausschließt, rennt die Aktie. Seither ist der Kurs um 25 Prozent gestiegen. Das Unternehmen erzielt somit aktuell eine Marktkapitalisierung von 64 Milliarden Euro.
Die Kaufinteressenten für Chrysler stehen nach Medienberichten Schlange. Neben möglichen strategischen Kandidaten aus der Branche wie Magna International melden dem Vernehmen nach vor allem Finanzinvestoren Interesse am US-Autobauer Chrysler an.
Private-Equity-Gesellschaften wie Cerberus, wo gerade der ehemalige VW-Markenchef Wolfgang Bernhard anheuerte und die vor drei Tagen den US-Autozulieferer Tower Automotives übernahmen, oder Blackstone gemeinsam mit Centerbridge sind offenbar gerade in der verschärften Prüfung der DaimlerChrysler-Zahlen, der sogenannten Due-Dilligance-Phase.
Doch ob das alle Interessenten sind, ist nicht gesagt. Auffällig ist, das unter den gehandelten Kandidaten die US-Gesellschaft Ripplewood fehlt, die mit dem Ex-Daimler-Vorstand Thomas Stallkamp über einen Insider sowohl in der Branche als auch beim Thema Chrysler verfügt. Ripplewood kaufte erst im Februar den japanischen Zulieferer Asahi Tec. Auch das US-Investmenthaus Carlyle Group scheint nicht am Verhandlungstisch zu sitzen. Dabei kaufte Carlyle bereits kräftig in der Branche ein. So dealte es erfolgreich mit den Zulieferen Beru, Edscha und Honsel.
Analysten wie Horst Schneider von der Welt-LB schließen allerdings auch einen Zusammenschluss eines Käufers aus der Autobranche mit einem Finanzinvestor nicht aus. Wer auch immer gerade am Chrysler-Deal herumrechnet und welche Summe auch immer herauskommt – die Kernfrage ist, welche Idee hinter einem Kauf des drittgrößten amerikanischen Autoherstellers steht. Davon wiederum hängt der Bewertungsansatz ab. Ein kleiner Ausflug in die Welt der Methodik ist hier angebracht. Da gibt es die Ertragswertmethode, die die künftigen Ertragskraft anhand der durchschnittlichen Gewinne vergangener Perioden in den Vordergrund stellt. Das kann beim maroden Zustand von Chrysler nicht sinnvoll sein. Gleiches gilt für die Discounted-Cash-Flow-Methode, die nicht den Ertrag, sondern den zukünftigen Cash-Flow zu Grunde legt. Der zeigt an, wie viel eigen erwirtschaftetes Geld dem Unternehmen für Investitionen usw. zur Verfügung steht. Dann wäre da noch die Substanzwertmethode, die den Wert der einzelnen Vermögensgegenstände wie Grundstücke untersucht, oder aber eine Kombination aller Methoden. Letzteres läge im Fall Chrysler nahe an der Rechnung, die ein Insolvenzverwalter aufstellen würde. Und das Ergebnis ist Lichtjahre von den 36 Milliarden Dollar entfernt, die Daimler 1998 für die Fusion unter Gleichen eingesetzt hat. Gleichgültig, welche Methode die Interessenten bei ihrer Unternehmensbewertung annehmen, zwei Faktoren sprechen für sich: Chrysler machte im vergangenen Jahren 1,118 Milliarden Euro Verlust. Und der Konzern weist "ausländische Pensionsanwartschaften" in Höhe von 22,7 Milliarden Dollar aus, das ist in erster Linie Chrysler.
Die Verpflichtungen hängen wie ein Mühlstein am Hals. Die Gewerkschaft United Auto Workers zeigt sich bei den Verhandlungen darüber bislang hartleibig. Bei den US-Konkurrenten GM, Ford und Delphi war das anders. Dort lenkten die Organisationen ein, als es haarig wurde. Die Arbeitnehmervertreter im Aufsichtsrat kündigten auch schon ihren Widerstand gegen einen Verkauf an einen Finanzinvestoren an. Sie stellen in dem Gremium zwar nicht die Mehrheit. Doch bislang galt die Praxis, sich nicht gegen die Stimmen der Arbeitnehmer zu stellen. Zurück zur Rechnerei. Als wertmindernd dürften auch die Überkapazitäten der Daimler-Dependance gelten. Chrysler verkaufte im vergangenen Jahr 2654700 Fahrzeuge.
Produziert wurden 2548 800 Stück (inklusive Trucks und Fremdaufträge von 4500 Einheiten), dazu addieren sich Altbestände bei den Händlern von 539100 Stück (Stand Ende 2006). Das ergibt einen Kapazitätsüberhang von rund 20 Prozent. Dazu kommt der Absatzrückgang auf dem Hauptmarkt USA, der vergangenes Jahr neun Prozent betrug. Alle US-Hersteller litten an Verkaufsschwund. Folge: eine Rabattschlacht und damit eine Senkung des Nettoverkaufswerts. Der Rückgang wird in diesem Jahr nicht zu stoppen sein, da der amerikanische Markt im günstigsten Fall stagniert und somit der Verdrängungskampf noch an Schärfe zunehmen wird. Und eins wird sicher in die Überlegungen – zumindest auf Daimlers Seite – einfließen: Fällt Chrysler weg, immerhin das zweitgrößte Geschäftsfeld im Konzern, ist das Unternehmen zwar einer der profitabelsten Autohersteller der Welt, doch damit auch ein begehrter Übernahmekandidat. Nach Berechnungen von HVB-Analyst Georg Stürzer wäre ein Daimler-Kurs ohne Chrysler von 79 Euro berechtigt. Das entspräche einer Marktkapitalisierung von rund 75 Milliarden Euro (derzeit sind es rund 64 Milliarden). Ein hoher Preis, der potente Investoren wie Blackstone aber nicht schreckt. Denn der Rest-Konzern wäre problemlos zerlegbar, etwa in Premiumautos und Truck-Geschäft. Ohne Großaktionär im Rücken wie im Fall VW mit Porsche oder BMW mit der Familie Quandt wäre Daimler also vogelfrei. Davor schützt den Konzern paradoxerweise ausgerechnet der Sanierungsfall Chrysler.
Ein Chrysler-Käufer würde Pensionsverpflichtungen, Abfindungen und Gesundheitskosten vom Kauf ausschließen. Ähnlich wie bei der Trennung von BMW und Rover im Jahr 2000. Die Bayern hatten das Risiko seinerzeit mit 3,1 Milliarden Euro als Rückstellung bewertet. Dank geschickter Verhandlungsstrategie kamen sie mit einer Ablöse von 1,7 Milliarden Euro und Mini im Gepäck davon. Bei Chrysler beträgt die Belastung das 7,5-Fache. BMW erhielt damals vom Phoenix-Konsortium einen symbolischen Preis von zehn britischen Pfund für Rover. Im Fall Chrysler geistern vier bis sechs Milliarden Dollar herum – allerdings nicht als echter Preis, sondern als theoretische Grundlage für einen Bieterwettbewerb. Wenn er denn stattfindet.
Doch was geschieht mit dem Aktienkurs, sollte Dieter Zetsche nicht im Bälde den von Außenstehenden favorisierten Verkauf Chryslers verkünden, sondern an den Amis festhalten? Ganz einfach: Die Folge dürfte ein Kursrutsch in zweistelliger Prozenthöhe sein. Dabei könnten die Aufwendungen für eine Trennung auch in den Sanierungsplan namens "Recovery and Transformation Plan" gesteckt werden. An der Ausführung wird, Verkauf hin oder her, heftig gearbeitet. In den nächsten drei Jahren soll das Programm durchgezogen und Chrysler wieder profitabel werden.
Die Werke werden bereits auf Flexibilität zu getrimmt. Die Fabrik in Belvidere, Illinois, die den Caliber produziert, wurde auf kostensparende Roboter umgestellt. In Dundee, Michigan, werden nun gemeinsam mit Honda und Mitsubishi Motoren gebaut. Der renommierte "Harbour Report", die Bibel der Produktverantwortlichen, bescheinigt Chrysler eine Effizienzsteigerung von sechs Prozent. Das Minivan-Werk in St. Louis war mit einer Fertigungszeit von 20,84 Stunden sogar Spitze.
Darüber hinaus sollen in Laufe der nächsten zwei Jahre 13000 Mitarbeiter gehen. Das Produktportfolio wird auf kleine und verbrauchsärmere Fahrzeuge umgestellt. Die Expansion im Ausland wird forciert, um die Abhängigkeit vom Heimatmarkt zu schmälern. Alleine Chryslers Marke Dodge erweitert in Europa die Modellpalette nach dem Erfolg des Caliber um den günstigen Geländewagen Nitro für rund 26 000 Euro. Die Limousine Avenger wird es im dritten Quartal ab 21990 Euro geben. Zeitgleich senkt man die Produktionskapazität um 20 Prozent, sprich 400000 Fahrzeuge. Die Materialkosten sollen um 1,15 Milliarden Euro reduziert werden. Dabei sollen auch Partnerschaften und der Ausbau von Allianzen, wie jüngst das Joint Venture mit dem chinesischen Hersteller Chery zum Bau eines Kleinwagens beitragen. Das Maßnahmenbündel soll 3,5 Milliarden Euro Ersparnis bringen. Für die Sanierung werden Aufwendungen von einer Milliarde angesetzt, plus einem Investitionsprogramm für neue Fahrzeugkomponenten von 2,3 Milliarden. So wird die Braut Chrysler schön gemacht. Das Etappenziel bis 2008 soll laut Zetsche die Gewinnzone sein. Klappt das, wird Chrysler zum Tafelsilber, das man dann gewinnbringend veräußern könnte oder das gar im Konzern verbleibt. Entscheidend für das Gelingen ist nicht nur die Kostenseite, sondern ob Chrysler Modelle baut, die auch gekauft werden. Und die Aktie? Für eine erfolgreiche Sanierung errechnet Analyst Stürzer immerhin Kurse zwischen 69 und 79 Euro.
Doch es bleibt noch eine dritte Möglichkeit für Chrysler. Porsche und VW haben es vorgemacht – die strategische Partnerschaft. So sieht eine wirkungsvolle Strategie aus, um sich vor Übernahmen zu schützen. Dieser Weg wäre eine echte Option für Magna International, Kanadas größter Hersteller von Autoteilen. Das Angebot von Magna-Chef Georg Stronach, einem Austro-Kanadier, in Höhe von vier Milliarden Euro soll vorliegen (siehe ?uro am Sonntag, Ausgabe 12), die dann in eine Beteligung an Chrysler münden soll. Die Summe will Magna mit einem Investor stemmen. Die Kanadier arbeiten schon lange mit Chrysler zusammen, beide würden sich nicht kannibalisieren. Es wird gar kolportiert, dass Zetsche Stronach zur Abgabe des Angebots gedrängt hat. Auch GM wird nach wie vor als Interessent für eine Partnerschaft gespielt. Doch der größte US-Autobauer will offenbar abwarten, wie hoch die erste Gebote sein werden. Dann, heißt es in Detroit, entscheidet Chef Rick Wagoner, ob GM selbst als Kandidat auftritt oder mit späteren Eigentümern über Teile von Chrysler verhandelt. Auch chinesische Hersteller wären möglich. So hätten die Großen aus China wie FAW auf einen Schlag den Fuß im US-Markt. Das wäre allerdings ein Dolchstoß für die amerikansiche Seele. Darum müsste der Deal wohl über ein Private-Equity-Gesellschft laufen. Die Überkreuzbeteiligung würde die Partner in der derzeitigen Konsolidierungsphase schützen. Und die Daimler-Aktie würde nach einem Rückschlag wieder auf das hohe Niveau zwischen 69 und 79 klettern.
Tagesordnungspunkt 9a wird jedenfalls spannend. (Qelle:Finanzen.net) |