Auf der Couch: Markowitz' Fluch Börsen-Zeitung, 13.11.2008 Angeblich liegt ja ein Fluch auf dem Börsenmonat Oktober. Und das trifft in diesem Jahr wohl voll und ganz zu. Doch wer geglaubt hatte, dass am 10. des Monats das Schlimmste schon wieder überstanden sei, der wurde eines Besseren belehrt. Obwohl die typischen Ingredienzien für einen finalen Ausverkauf bereits gegeben waren: Panik, ein massiver Eintagesverlust plus ein hohes Handelsvolumen.
Was danach zunächst wie der Start zu einer veritablen Merkel-Rally (benannt nach dem gleichnamigen Rettungspaket) von knapp 25 % aussah, wurde schon nach zwei Tagen wieder ausgebremst. Stattdessen setzte abermals eine Verkaufswelle ein, und die riss in nur zwei Wochen die Kurse auf einen neuen Tiefpunkt herunter.
Doch in einer Hinsicht unterschied sich der zweite Ausverkauf vom ersten: Eine erneute Panik blieb aus. Stattdessen gab es teilweise sogar einen geordneten Rückzug, sprich systematische Verkäufe. Nicht nur beim Dax, sondern wieder einmal quer durch fast alle Anlageklassen.
Wer sein Portfolio im Sinne des Nobelpreisträgers Harry Markowitz aufgebaut und seine Risiken gestreut hatte, konnte erleben, was passiert, wenn die meisten Profis weltweit nach demselben Schema diversifizieren. Denn die Theorie, nach der die Streuung von Vermögen in verschiedene, möglichst wenig korrelierende Anlageklassen Verluste hätten abfedern können, wurde während der vergangenen Monate ad absurdum geführt. So hatte man bei aller wohlfeilen Theorie wieder einmal einen wichtigen Faktor vergessen: den Menschen, und der neigt nun mal dazu, das Verhalten anderer zu kopieren und sich damit zu regelrechten Herden zu organisieren. Was zur Folge hatte, dass Anlageklassen, die vorher kaum auf und miteinander reagierten, plötzlich ganz eng korreliert waren. Und als dann im Zuge der Immobilienkrise viele Akteure gleichzeitig ihr Geld zurückhaben wollten, mutierte die in der Theorie so vielversprechende Idee zum Fluch. Will sagen: Markowitz' Empfehlung kann letztlich - wie jede andere goldene Regel zum Geldverdienen auch - nur funktionieren, wenn Sie der Einzige bleiben, der sie anwendet.
Alles auf ein Pferd setzen
Trotzdem sollte der Diversifikationsgedanke nicht einfach ad acta gelegt werden. Denn wer in der Krise nur auf ein Pferd gesetzt hatte, konnte durchaus alles und in kurzer Zeit verlieren. Etwa als Leerverkäufer bei der VW-Aktie, die durch bisher nie da gewesene Kapriolen wie eine Rakete in den Börsenhimmel aufstieg. Und wieder sollten die bösen, aber durchaus rational agierenden "Shorties" an allem schuld gewesen sein!
Doch hatten sie dieses Mal nicht, wie ihnen oft und meist zu Unrecht unterstellt wird, den Sturz ins Bodenlose, sondern eben diesen beispiellosen Höhenflug verursacht. Eben weil ein Leerverkäufer irgendwann einmal seine Position glattstellen muss. Und zwar als Käufer, und dieses Mal zum Teil mit immensen Verlusten.
Ja, eines haben wir durch Porsche vorgeführt bekommen: ein durchaus zu diskutierendes Lehrstück darüber, wie Finanzmärkte in Extremsituationen tatsächlich funktionieren. Und dass man sich Rationalität (indem man etwa für stark überbewertet geltende Aktien verkauft) nur leisten kann, solange man, frei nach Keynes, solvent bleibt.
Aber das Husarenstück von Porsche und seine Folgen sind keineswegs irrational zu nennen. Vielmehr erinnerte die ganze Geschichte an die Gebrüder Hunt, die den Silbermarkt durch ihre massiven Aufkäufe und die letztlich fehlende Liquidität Anfang der achtziger Jahre in bis dahin ungeahnte und absurde Höhen getrieben hatten. Immerhin: Die Hunts konnten nur durch eine Regeländerung der Börsenaufsicht zur Liquidation ihrer Vorräte gezwungen werden. Die Begrenzung von Long-Positionen (!) in Silber führte letztlich sogar zur Pleite der Brüder.
An der Diversifikation von Geldvermögen führt also kein Weg vorbei. Nur sollte man sich darüber im Klaren sein, dass sich eine Methodik, die von allen Akteuren gleichermaßen und somit als Formel, als Marktnorm gelehrt und benutzt wird, zur "self-fulfilling destruction" führen muss. Es ist sicherlich menschlich, dass wir die Bestätigung durch die anderen suchen. Gerade in Zeiten der Unsicherheit.
So neigen wir unter dem Eindruck drohenden Kontrollverlusts gerne dazu, in die Vergangenheit zu blicken und die Geschichtsbücher zu konsultieren. Gerade nach dem Ausverkauf am 24. Oktober, als Vergleichbares kaum zu finden war, wurden selbst normalerweise durchaus besonnene Akteure esoterisch und suchten Trost und Rat im Verlauf der Elliott-Wellen oder bei den Sternen, nur um endlich deutliche Anzeichen dafür zu finden, dass dieses Datum den erlösenden Wendepunkt in der Finanzkrise markierte.
Wer lange genug suchte, fand die passenden Jahrestage, die Neuner- und Elferquersummen, auf die man angeblich besonders Acht zu geben hat. Aber bestätigen lässt sich solch fauler Zahlenzauber nur, wenn tatsächlich der Turnaround eintritt. Wie oft das nicht geschah, wird einfach vergessen. Auch vergleichen viele die heutige Krise mit dem Crash von 1929, um wenigstens eine gefühlte Kontrolle über das Geschehen zu bekommen. Doch schon heute zeichnet sich ab, wie wenig sich die Szenarien gleichen. Rezession, Depression und Deflation würden über uns kommen, so die düstere Prognose. Ja, der Bank von England wird Beifall gezollt, weil sie die Zinsen gleich um 150 Basispunkte auf einmal gesenkt hat. Wobei eigentlich klar sein sollte, dass ein solcher Schritt in einem desolaten Bankenumfeld bestenfalls eine psychologische Wirkung entfalten dürfte. Dies wissend, hätte man sich statt einer solch kräftigen Zinssenkung auf einen kleineren Schritt von 0,5 % bescheiden sollen. Mit der Option, wenn psychologisch nötig etwas nachlegen zu können. Dieses Pulver hält sich die zuletzt viel gescholtene EZB - trotz des neuen Referenzpunktes "150" aus England - trocken. Zumal eine Abkühlung der Inflation wahrscheinlich nur für ein, zwei oder drei Quartale zu erwarten ist. Man darf nicht die Gelddruckmaschinen vergessen, die vor allem die USA anwerfen müssen, wenn Hilfspakete und Konjunkturprogramme in Anspruch genommen werden sollten. Wer also die US-Notenbank für gutes Krisenmanagement lobt und Europa als lahme Ente schilt, sollte nicht vergessen: Die Ursachen für diese Krise sind "made in USA".
*) Der Autor ist Geschäftsführer der Cognitrend GmbH, Gesellschaft für verhaltensorientierte Kapitalmarktanalyse. Quelle: Börsenzeitung |