Spanien-Experte: Vieles deutet auf die ETA Walter Bernecker Die spanische Regierung verdächtigt die baskische Separatistenorganisation ETA, die verheerenden Bombenanschläge verübt zu haben. Über die Organisation, ihre Struktur und ihren Rückhalt sprach tagesschau.de mit dem Spanien-Experten Prof. Walter Bernecker von der Universität Nürnberg-Erlangen.
tagesschau.de: Eine Anschlagsserie mit Dutzenden Toten kurz vor der Parlamentswahl – der Verdacht liegt nahe, dass die baskische Separatistenorganisation ETA dahintersteckt.
Walter Bernecker: Es ist fast nicht vorstellbar, dass eine andere Organisation ein Attentat dieser Größenordnung durchführen würde. Für die ETA spricht vor allem, dass das Attentat genau so angelegt war wie ein versuchter Anschlag zu Weihnachten 2003. Damals sollte ein Fernzug von Burgos nach Madrid genau so explodieren wie der Zug heute. Damals konnten die Bomben entschärft werden.
tagesschau.de: Am Sonntag wird ein klarer Sieg der regierenden Volkspartei erwartet – welchen Kurs hat sie gegenüber der ETA verfolgt?
Bernecker: Die verschiedenen Regierungen in der spanischen Demokratie haben ja unterschiedliche Strategien gegen die ETA angewandt. Die Volkspartei hat von Anfang an einen harten Kurs gegenüber ETA verfolgt, sich nicht auf Verhandlungen eingelassen und auf eine polizeiliche Lösung des Problems gesetzt. Ihre Linie ist: Man kann und darf mit der ETA nicht verhandeln, man muss sie militärisch besiegen. Und in der Tat sind in den vergangenen Jahren so große Fortschritte bei der Bekämpfung erzielt worden, dass die öffentliche Meinung in Spanien davon ausging: Die ETA ist nicht mehr in der Lage, ein Attentat in dieser Größenordnung durchzuführen. Insofern kommt dieser Schlag überraschend. Man darf nicht vergessen: Ein Attentat in dieser Größenordnung hat die ETA noch nie durchgeführt.
tagesschau.de: Wie sind die Strukturen der Organisation?
Bernecker: Es ist eine immer kleinere Organisation mit zellenartigen Strukturen. Sie finanzieren sich durch Überfälle und die so genannte Revolutionssteuer, einer Art Schutzgeld, unter der noch sehr viele Unternehmer im Baskenland leiden. Sie stehlen Waffen und Dynamit. Die Mitgliederzahl der ETA geht aber inzwischen wahrscheinlich nicht einmal mehr in die Hunderte. In den letzten Jahren sind immer wieder so genannte Kommandos von der Polizei verhaftet worden. Ich vermute, dass die Gruppierung, die jetzt noch am Werk ist, eine der letzten ist, aber offenbar ist sie noch einsatzfähig.
tagesschau.de: Operieren diese Zellen unabhängig voneinander?
Bernecker: Es gibt eine Führung, die vermutlich in Südfrankreich sitzt. Es gibt aber auch Zellen, die relativ autonom agieren können. Bei dem heutigen Attentat ist aber davon auszugehen, dass die Zentrale das Kommando dazu gegeben hat.
tagesschau.de: Über welchen Rückhalt verfügt die ETA noch?
Bernecker: Der Rückhalt in der Bevölkerung hat ganz deutlich nachgelassen. Unter General Franco gab es einen sozialen Rückhalt, auch während des Übergangs zur Demokratie. Aber seit die Demokratie etabliert ist, hat der Rückhalt der ETA auch in der baskischen Bevölkerung immer weiter nachgelassen.
tagesschau.de: Der politische Arm der ETA, die baskische Partei Heri Batasuna, ist im August 2002 verboten worden – gibt es eine Nachfolgeorganisation?
Bernecker: Die Partei ist zwar verboten worden, die Abgeordneten sitzen aber nach wie vor im baskischen Parlament. Ihre Fraktion unterstützt die Regierung der baskischen Nationalisten. Der Parlamentspräsident hat sich bislang geweigert, die Fraktion aufzulösen, und deswegen können die Abgeordneten in der Öffentlichkeit ihre Politik vertreten.
tagesschau.de: Erweist die ETA aber nicht dem baskischen Nationalismus einen katastrophalen Dienst?
Bernecker: Die baskische Nationalistische Partei PNV hat sich inzwischen deutlich von der ETA distanziert. Früher war die Haltung ambivalent. Die PNV hatte sich von den Methoden der ETA abgegrenzt, aber die Ziele gutgeheißen, nämlich die Unabhängigkeit des Baskenlandes. Inzwischen ist die Abgrenzung deutlicher, aber die Abtrennung des Baskenlandes von Spanien und auch Frankreich ist auch das politische Ziel des gemäßigten baskischen Nationalismus. Der Ministerpräsident des Baskenlandes will seine Bevölkerung darüber abstimmen lassen, aber erst wenn es keinen Terror mehr gibt. Diese Bestrebungen werden - auch durch das heutige Attentat - durch die ETA verhindert.
tagesschau.de: Was aber verspricht sich die ETA von ihrer Bluttat?
Bernecker: Sie will zeigen, dass sie noch da ist. Was sie mit Blick auf die Wahl erreichen will, ist sehr schwer zu erraten. Man weiß ja nie, wie der Wähler reagiert. Gewiss ist mit der Handlung irgendeine politische Absicht verbunden. Welche es aber sein mag, ist schwer nachzuvollziehen. |