statt sie zu kritisieren. 8. November 2006, Neue Zürcher Zeitung Das Urteil gegen Saddam - ein FortschrittUrteil ja, Strafe nein? Noch hat der Tyrann von Bagdad sein Leben nicht ausgehaucht, da melden sich Bedenkenträger. Das Echo in der arabischen Welt ist bemerkenswert, aber nicht überraschend, denn der Irak ist der erste Staat des Mittleren Ostens, der in der Neuzeit versucht, auf der Basis des Rechts mit einer blutrünstigen Diktatur abzurechnen. Befürchtet man in diesem autokratischen Kosmos das Einreissen unguter Sitten? Denn sogar die Europäische Union erklärt in einer vernünftigen Stellungnahme, dass das Etablieren der Wahrheit und der Verantwortung für begangene Verbrechen zur nationalen Versöhnung und zum Dialog in der Zukunft beitragen werde. Dass die EU daran erinnert, sie sei prinzipiell gegen die Todesstrafe und diese solle auch in diesem Fall nicht vollstreckt werden, ist der politisch korrekte Nachsatz. Er ist aber zurückhaltend und nüchtern formuliert. BELEHRUNGEN UNERWÜNSCHT In Bagdad wird man sich ohnehin nicht an Belehrungen aus Europa oder von sonstwo halten. Die Bedingungen, unter denen der Prozess durchgeführt werden musste, waren schwierig genug - andauernde Einschüchterungsversuche und Drohungen, eine Serie von Terror-Anschlägen. Die Rechtmässigkeit des Verfahrens wurde durch Grössen der Vergangenheit wie Ramsey Clark, der zu den amerikanischen «Gastverteidigern» zählt, wiederholt in Frage gestellt. Für Diktatoren und deren «notwendiges Handwerk» bringt Clark nicht selten Verständnis auf. Tatsache ist, dass der souveräne Staat Irak den Vorrang der nationalen Gerichtsbarkeit mit diesem Verfahren in Anspruch genommen und auf die unsichere internationale Variante verzichtet hat. Das ist ein Indiz des Willens, die Vergangenheitsbewältigung selber in Angriff zu nehmen. Wie man mit Tyrannen verfährt, ob und wie man zwischen normalen Kriminellen und mörderischen Staatenlenkern differenziert, ist keine klare oder einfache Angelegenheit. Die damalige serbische Regierung - hauptsächlich der später ermordete Ministerpräsident Djindjic - entschied sich dafür, Milosevic nach Den Haag auszuliefern. Dafür gab und gibt es das Uno-Sondertribunal für die Kriegsverbrechen im ehemaligen Jugoslawien. Dies geschah sicher unter Druck der Westmächte, doch auch im Bewusstsein, dass ein Prozess in Belgrad gar nicht möglich gewesen wäre. Hitler wäre vermutlich mit oder ohne Verfahren gehenkt oder erschossen worden, wenn ihn die Rote Armee lebend vorgefunden hätte. Stalin starb im Bett, Mao ebenso, bevor ihnen der Prozess gemacht wurde. Das nicht unbedingt zum Vorteil der Nachwelt, denn künftige skrupellose Alleinherrscher können sich so freier fühlen. Mit dem düsteren Georgier wurde immerhin postum abgerechnet, und die meisten seiner Statuen wurden geschleift, doch der Stalin-Kult ist nie ganz ausgestorben. Nur Lenin harrt noch seiner Entehrung - falls sie denn je kommen wird. Mao dagegen, der in seiner Ruchlosigkeit sämtliche grossen Massenmörder in den Schatten stellt, bleibt ungeschoren. Er wird vom Regime in Peking noch gebraucht. Die Antwort auf die Frage nach dem «Wozu» kontrastiert doch sehr stark mit den Vorstellungen, die im Westen über die reformerische Wirtschaftsmacht China zurzeit kursieren. Doch das Problem wird sich in der Zukunft stellen. POLITISCHE VERFAHREN Prozesse dieser Art sind politische Verfahren, sie sind oft auch Siegerjustiz - obwohl im Falle des Iraks der Sieg ja nicht feststeht und gerade von jenen angezweifelt wird, die diesen Begriff nun verwenden. Der Aufstand wird, auch im Namen Saddam Husseins, wohl weitergehen, bis eine Strategie gefunden wird und die Mittel zu ihrer Verwirklichung eingesetzt werden, damit er niedergeschlagen wird und das Land zur Ruhe kommt. Ein überstürzter amerikanischer Abzug wäre dafür kaum das richtige Vorgehen. «Politisch» heisst, dass das Urteil und seine Vollstreckung dazu beitragen sollen, mit der Vergangenheit abzurechnen und sie dann ruhen zu lassen, damit der Aufbruch zu Neuem gelingen kann. Dass die erste Etappe - es werden weitere Verfahren folgen, und die Berufung zu diesem Urteil ist automatisch - zu Ende gebracht werden konnte, ist für die Iraker ein Erfolg. Man sollte sie dazu beglückwünschen, statt sie zu kritisieren. H. K. |