Bundestag verabschiedet Neuregelung des Delisting
Der Bundestag hat in seiner Sitzung am 1.10.2015 den Gesetzentwurf zur Umsetzung der Transparenzrichtlinie-Änderungsrichtlinie in der nach Anhörung im Bundestag-Finanzausschuss überarbeiteten Fassung vom 30.9.2015 mit der Mehrheit der Koalitionsfraktionen nach zweiter und dritter Lesung angenommen. Als ein Sachverständiger war unser Partner Prof. Dr. Christoph H. Seibt am Gesetzgebungsverfahren beteiligt. Der überarbeitete Gesetzentwurf enthält eine Neuregelung des Delisting durch entsprechende Änderungen des Börsengesetzes. Künftig ist beim Rückzug von der Börse ein Abfindungsangebot zu veröffentlichen. Die Höhe der Abfindung bemisst sich nach dem durchschnittlichen Börsenkurs der letzten sechs Monate bzw. am festzustellenden Unternehmenswert, wenn der Börsenkurs aufgrund von falschen Ad-hoc-Informationen oder Marktmanipulationen nicht aussagekräftig ist. Ein Abfindungsangebot soll immer, also auch nach vorangegangenem Übernahmeangebot, erforderlich sein.
Es wird damit gerechnet, dass der Bundesrat zeitnah das Gesetz behandelt und dieses rechtzeitig vor Ablauf der Umsetzungsfrist der Transparenzrichtlinie-Änderungsrichtlinie (2013/50/EU) am 27.11.2015 in Kraft treten wird.
Neuregelung des Delisting nach Frosta-Entscheidung des BGH erforderlich Hintergrund
Die sog. „Frosta“-Entscheidung des BGH (Urt. v. 8.10.2013, II ZB 26/12) zum Rechtsschutz der Aktionäre bei einem Widerruf der Zulassung der Aktien zum Handel im regulierten Markt (sog. Delisting) wurde in Presse und juristischer Literatur kontrovers diskutiert. Mit dieser Entscheidung hatte der BGH seine „Macrotron“-Rechtsprechung aus dem Jahr 2002 aufgegeben (Urt. v. 25.11.2002, II ZR 133/01), die für den vollständigen Rückzug aus dem amtlichen oder geregelten (jetzt: regulierten) Markt einen mit einfacher Mehrheit der abgegebenen Stimmen gefassten Hauptversammlungsbeschluss und ein Pflichtangebot über den Kauf der Aktien durch die Gesellschaft oder ihren Großaktionär verlangte; als Rechtsweg stand den Aktionären die Anfechtungsklage und das Spruchverfahren offen.
In der Frosta-Entscheidung legte der BGH hingegen dar, dass seiner bisherigen Rechtsprechung zum Delisting durch die Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts vom 11.7.2012 die verfassungsrechtliche Begründung entzogen sei (Az. 1 BvR 3142/07, 1 BvR 1569/08). Das Bundesverfassungsgericht hatte in dieser Entscheidung nämlich festgestellt, dass der Widerruf der Börsenzulassung für den regulierten Markt dem Aktionär keine Rechtsposition nimmt und die Substanz des durch Art. 14 GG geschützten Anteilseigentums in seinem mitgliedschafts- und vermögensrechtlichen Element unbeeinträchtigt lässt. Dementsprechend hatte der BGH entschieden, dass für ein Delisting weder ein Beschluss der Hauptversammlung noch ein im Spruchverfahren überprüfbares Barabfindungsangebot erforderlich ist; der Anlegerschutz werde durch die börsenrechtlichen Regelungen sichergestellt.
Rechtslage nach Frosta
Beim Rückzug von der Börse ebenso wie beim Downlisting in den Entry Standard oder Open Market des Freiverkehrs gelten seit der Frosta-Entscheidung ausschließlich die Voraussetzungen der jeweiligen Börsenordnungen an den Börsen, an denen die Aktien gehandelt werden, die § 39 Abs. 2 Börsengesetz ergänzen. Die regionalen Börsenordnungen sehen für ein Delisting überwiegend eine Fristenlösung vor (Ablauf einer mehrmonatigen Frist zwischen Entscheidung der Börse über den Antrag und Wirksamwerden des Delisting); nur die Börse Düsseldorf hatte an den „Macrotron“-Voraussetzungen festgehalten.
Seit Veröffentlichung der Frosta-Entscheidung hat es zahlreiche Fälle gegeben, in denen sich Unternehmen ganz von der Börse verabschiedeten (klassisches Delisting), in den nur eingeschränkt kapitalmarktrechtlichen Regeln unterliegenden (qualifizierten) Freiverkehr wechselten (Downlisting) oder einzelne Börsennotierungen aufgaben (Teil-Delisting). Diese Praxis hatte zu heftiger Kritik an der Frosta-Entscheidung des BGH und der Praxis der Börsen geführt, die wegen Börsenkursreduktionen betroffener Unternehmen eine Schutzlücke im Anlegerrecht sah. Vor diesem Hintergrund sah sich die Regierungskoalition zu einer gesetzlichen Neuregelung des Delisting veranlasst.
Inhalt der geplanten Neuregelung des Delisting Abfindungsangebot
Dem Antrag eines Emittenten auf Widerruf der Börsenzulassung darf künftig bei Wertpapieren im Sinne des § 2 Abs. 2 des Wertpapiererwerbs- und Übernahmegesetzes (WpÜG) nur entsprochen werden, wenn zuvor ein Angebot zum Erwerb aller Wertpapiere, die Gegenstand des Antrags sind, nach den WpÜG-Vorschriften veröffentlicht wurde. Es ist also eine formale Angebotsunterlage zu erstellen und der BaFin zur Billigung vorzulegen; Teilangebote sind unzulässig. Des Weiteren ist eine Finanzierungsbestätigung beizubringen. Das Abfindungsangebot ist nur entbehrlich, wenn die Wertpapiere weiterhin an einer inländischen Börse zum Handel im regulierten Markt oder in einem anderen EU- oder EWR-Mitgliedstaat zum Handel in einem organisierten Markt zugelassen sind und dort entsprechende Voraussetzungen für ein Delisting gelten.
Das Abfindungsangebot darf nicht von Bedingungen (z.B. Mindestannahmequote, Gesellschafterbeschluss des Bieters) abhängig gemacht werden. Die Angebotsunterlage muss einen Hinweis auf mögliche Einschränkungen der Handelbarkeit der betroffenen Wertpapiere als Folge der Widerrufs und die damit einhergehende Möglichkeit von Kursverlusten enthalten. Insoweit sieht das Gesetz zusätzlich eine Ergänzung der WpÜG-Angebotsverordnung vor.
Höhe der Gegenleistung
Es ist nur ein Barangebot in Euro zulässig. Dabei muss die Gegenleistung im Grundsatz mindestens dem gewichteten durchschnittlichen inländischen Börsenkurs der Wertpapiere während des letzten halben Jahres vor der Veröffentlichung der Entscheidung zur Veröffentlichung des Erwerbsangebots (§§ 10 Abs. 1, 35 WpÜG) entsprechen; Vorerwerbe sind zusätzlich entsprechend § 4 WpÜG-AngebotsVO zu berücksichtigen.
Dieser Börsenkurs soll indes ausnahmsweise nicht maßgeblich sein, wenn der Emittent während der maßgeblichen Sechs-Monatsfrist gegen die Ad hoc-Publizitätspflichten nach § 15 Wertpapierhandelsgesetz (WpHG) oder gegen das Verbot der Marktmanipulation gemäß § 20a WpHG verstoßen hat. In diesen Fällen, soweit sie nicht nur unwesentliche Auswirkungen auf den ermittelten Durchschnittskurs haben, ist eine Unternehmensbewertung durchzuführen. Eine Unternehmensbewertung ist weiterhin maßgeblich für die Festsetzung der Höhe der Gegenleistung des Abfindungsangebots, wenn an weniger als einem Drittel der Börsentage der maßgeblichen Frist Börsenkurse festgestellt wurden und mehre nacheinander festgestellte Börsenkurse um mehr als fünf Prozent voneinander abweichen.
Zusammenfassend gilt: Der gewichtete durchschnittliche inländische Börsenkurs der Wertpapiere während des letzten halben Jahres ist also für die Festsetzung des Abfindungsbetrags dann nicht maßgeblich, wenn diesem keine hinreichende Aussagekraft zukommt.
Vorverlagerung des zeitlichen Anwendungsbereichs
Die Delisting-Neuregelung findet auch auf laufende Delisting-Verfahren Anwendung, die nach dem 7. September 2015 (Tag der Sachverständigen-Anhörung im Finanzausschuss) eingeleitet worden sind. Allerdings kann für Anträge auf ein Delisting, die zwischen dem 7.9.2015 und vor dem Inkrafttreten der Neuregelung des Delisting gestellt wurden und über die noch nicht bestandskräftig entschieden worden ist, abweichend von der Neuregelung ein Abfindungsangebot auch nach der Antragstellung veröffentlicht werden.
Rechtsweg
Durch eine Änderung des Kapitalanleger-Musterverfahrensgesetzes (KapMuG) ist Anlegern der Rechtsweg nach KapMuG auch für Erfüllungsansprüche nach den Neuregelungen des Börsengesetzes zum Delisting eröffnet. Die Durchführung eines Spruchverfahrens ist nicht vorgesehen, selbst wenn eine Unternehmensbewertung zur Festsetzung der Gegenleistung durchgeführt wurde.
Ist die Neuregelung sachgerecht?
Die anlegerschützende Kapitalmarktregelung wird konzeptionell zutreffend im Börsengesetz und nicht in der derzeit ebenfalls diskutierten Aktienrechtsnovelle verankert. Denn durch das Delisting sind eben nicht die Mitgliedschaftsrechte des Aktionärs betroffen, sondern nur die Fungiblität der Aktie und ihres Wertes.
Die Börsenkursanknüpfung ist systemgerecht und praktikabel. Entgegen dem ersten bei der Sachverständigen-Anhörung im Finanzausschuss des Bundestages vorliegenden Vorschlag der Koalitionsfraktionen zu einer Regelung des Delisting wurde die Frist für den maßgeblichen durchschnittlichen Börsenkurs auf sechs Monate (anders als die für Übernahmeangebote im WpÜG sonst maßgeblichen drei Monate) verlängert. Damit sollen "abgewogene Ergebnisse" bei dem "von Übernahmesituationen regelmäßig abweichenden Börsenumfeld in Delisting-Fallen" erzielt werden. Unnötig bürokratisch ist allerdings die Anknüpfung an die Anforderungen einer WpÜG-Angebotsunterlage.
In der Praxis ist die Pflicht zur Veröffentlichung eines Erwerbsangebots nicht immer sachgerecht. Es dürfte weiterhin kaum wirtschaftlich bedeutsame Fälle geben, in denen nicht vor Antrag auf Widerruf der Börsenzulassung ein Übernahmeangebot und/oder ein Beherrschungsvertrag abgeschlossen wurde oder jedenfalls nachfolgend ein Squeeze-out erfolgt. Ein Erwerbsangebot wäre jedenfalls in den Fällen entbehrlich, in denen innerhalb der letzten sechs Monate vor Antragstellung den Minderheitsaktionären eine gesetzlich vorgeschrieben Barabfindung im Rahmen eines Beherrschungsvertrags angeboten wurde oder ein Übernahme- oder Pflichtangebot nach den Vorschriften des WpÜG (so noch der Ursprungsvorschlag der Regierungsfraktionen) unterbreitet wurde. In diesen Fällen besteht an sich nicht die Notwendigkeit eines zusätzlichen Anlegerschutzes nach dem neuen § 39 Börsengesetz.
Des Weiteren ergibt sich aus dem Umkehrschluss zur Neuregelung in § 39 Abs. 2 Ziff. 2 a) des Börsengesetzes, dass auch das Downlisting, also der Wechsel vom regulierten Markt z.B. in das qualifizierte Segment des Freiverkehrs (wie den Entry Standard) von dem Angebotserfordernis erfasst sein soll. Dies erscheint insoweit nicht sachgerecht, als bei einem Wechsel in die qualifizierten Segmente des Freiverkehrs kein vergleichbares Schutzbedürfnis der Anleger wie bei einem Delisting besteht. Unverständlich ist auch, dass eine weiterhin bestehende Notierung an den US-Börsen NYSE und Nasdaq nicht dazu führt, dass ein Delisting ohne Abfindungsangebot möglich ist, obwohl diese Börsennotierungen mit denen an den regulierten Märkten in der EU als gleichwertig anzusehen sind.
Die Durchführung einer Unternehmensbewertung in den Fällen, in denen nicht der durchschnittliche Börsenkurs maßgeblich ist, bedeutet einen erheblichen Aufwand. Sachgerecht erscheint allerdings, dass die Durchführung eines – in der Regel sehr lange dauernden und kostenintensiven – Spruchverfahrens nicht vorgesehen ist.
Unternehmen werden nach Inkrafttreten der Neuregelung den Rückzug von der Börse mit Blick auf den damit verbundenen Aufwand nur dann durchführen, wenn sie sich davon langfristig einen erheblichen wirtschaftlichen Vorteil versprechen. Ob nicht mit der strikten Neuregelung mit dem Ziel eines allumfassenden Anlegerschutzes der Attraktivität des deutschen Kapitalmarktes für IPO's und Übernahmen insbesondere unter Beteiligung ausländischer Investoren ein Bärendienst erwiesen werden wird, bleibt abzuwarten. Die Koalitionsfraktionen haben der Bundesregierung ausdrücklich aufgegeben, über die praktischen Erfahrungen der Delisting-Neuregelung bis zum Jahresende 2017 an den Finanzausschuss zu berichten.
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