Seit ungefähr einem halben Jahr bin ich selbst Longie, verfolge den WDI-Kurs und lese mit Interesse die Artikel in diesem Forum. Natürlich mache ich mir auch Gedanken zur Kursentwicklung und zum Unternehmen. In meinem ersten Beitrag habe ich direkt WDI angesprochen, ein ARP angeregt sowie die dringend notwendige Verbesserung der Öffentlichkeitsarbeit angefordert. Die vom Unternehmen ergriffenen Maßnahmen der letzten Monate begrüße ich. Als Unternehmensberater bin ich gewohnt, methodisch vorzugehen. Methodisch heißt: Analyse, Konzept, Maßnahmenplanung.
1.§Analyse: Hier meine ich nicht Analyse des Unternehmens. Dazu fehlt mir von außen der Innenblick. Ansatzpunkt ist vielmehr die Betrachtung des „fairen Marktpreises“. Natürlich kenne ich die verschiedenen Methoden, die dann zu unterschiedlichen Ergebnissen führen können. Ich orientiere mich hier trivial am Gewinn/Aktie, KGV und PEG. Ziehe ich den KGV heran, liegt er bei einem Ergebnis pro Aktie von 4,33 € in 2019 bzw. 6 € in 2020 und einem Kurs von 120 bei 28 bzw. 20,5. Im Vergleich mit den anderen KGV der Dax-Unternehmen liegt der von WDI für 2020 im oberen Mittelfeld. SAP (22,6), Adidas (24,8), Beiersdorf (28,5) oder Linde (25,4) liegen hier höher. Natürlich wird hier die Wachstumsrate von WDI nicht berücksichtigt. Ziehe ich den PEG hinzu, liegt dieser bei einem unterstellten Wachstum von 30% p.a. bei 0,67. Bei einem PEG von 1 müsste sich der Kurs in 2020 bei 180 einstellen. Vergleicht man WDI mit den Wettbewerbern, so liegen deren Kennzahlen bei Adyen (KGV 70 bzw. PEG 1,7), VISA (KGV 24,8 bzw. PEG 1,6). Die höheren PEG könnten also einen höheren KGV bzw. Kurs rechtfertigen. Ein Kurs von 270 (prognostiziert von Hauck & Aufhäuser) wäre ambitioniert, ließe sich aber mit dieser Betrachtung rechtfertigen, obwohl dem ein KGV von 45 zu Grunde liegt und damit alle DAX-Unternehmen weit übertrifft. Dies zieht natürlich LVler an. Hier glaube ich, kann eine solide Unternehmenspolitik entgegenwirken. Die letzten Monate haben aber gezeigt, dass WDI auf den Vorwurf der Bilanzfälschung in der Unternehmenskommunikation nur unzureichend reagiert hat. Dies erzeugt Unsicherheit und ist dann der Nährboden für LVler. Darin liegt auch der Grund in den abweichenden Kennzahlen zu den Wettbewerbern. Leider ist es so – und damit widerspreche ich der Mehrheitsmeinung hier im Forum, dass das Image von WDI in der allgemeinen Öffentlichkeit schlecht ist. Fragt mal Freunde und Bekannte nach Wirecard. „Man hat etwas gehört, weiß aber nicht so genau, gefälschte Bilanzen, negative Presse. Da muss ja etwas dran sein.“ Wie ich schon in einem anderen Kommentar bemerkte, wird ein Sammelsurium von Andeutungen in der Summe als Wahrheit wahrgenommen. Was tun? Hier wird immer wieder darauf hingewiesen, dass der Kurs den Fundamentaldaten folgt. Das glaube ich auch, aber eine gute Produkt-, Preis- und Vertriebspolitik spiegeln sich nur dann im Kurs wieder, wenn auch die anderen Unternehmensfelder sicher beherrscht werden.
2.§Konzeption: Wie schon erwähnt, hat die Unternehmensleitung in den letzten Monaten die richtigen Schritte gemacht. ARP, KPMG, Reduzierung des News-Flow sind zu begrüßen. Ein Versäumnis besteht weiterhin darin, die traditionelle, klassische Wirtschaftspresse nicht genügend eingebunden und angesprochen zu haben. Angeblich wird ein Leiter Unternehmenskommunikation gesucht, was positiv ist. Hier im Forum wurde ein Media Day angeregt. Es kann helfen, zerbrochenes Porzellan zu kitten. Langfristig hilft aber nur eine stetige Kommunikation mit wichtigen Vertretern der Wirtschaftspresse, in der Transparenz glaubhaft vermittelt wird. Ich glaube nicht an Verschwörungstheorien (Verbindung McCrum mit Frau und Adyen, Kooperation mit LVlern etc.). Wenn FT, Handelsblatt, Manager Magazin, FAZ usw. richtig eingebunden worden wären, hätte es die abstrusen Artikel in diesem Jahr nicht gegeben. Sollten die Bilanzierungsvorwürfe endgültig vom Tisch sein, sehe ich in Zukunft ein weiteres erhebliches Konfliktpotenzial. Dies dürfte der Datenschutz sein. Hier wurde oft betont, dass das Datenmanagement künftig ein wesentliche Rolle spielen wird, ja sogar ein USP gegenüber den Wettbewerbern sein kann. Ich kann hier nur an die Unternehmensleitung appellieren: Bindet die Datenschützer rechtzeitig ein. Seid transparent, baut Strukturen im Unternehmen auf, die auf alle rechtlichen und öffentlichen Anforderungen entsprechend agieren. – Eine wesentliche Herausforderung stellt die Markenpolitik dar. Eine Marke ist ein kostbares Gut. Es ist ein Versprechen gegenüber Kunden und Öffentlichkeit, glaubhaft nach eigenen Werten und Strategien zu handeln. Das Image von WDI ist nicht gut. Auch hier gilt wieder der Appell an die Unternehmensleitung: Verschafft Euch ein positiveres Image. Die Marke Wirecard muss sympathischer werden. Ansatzpunkte sind wiederum die Öffentlichkeitsarbeit, aber auch die Werbung. Engagiert Euch in sozialen Projekten. Schärft die Zielgruppenansprache, berücksichtigt alle Stakeholder, präsentiert Euch als bester Arbeitgeber, so dass z.B. im Ranking wie bei „greatplacetowork“ Wirecard ganz vorne liegt.
3.§Forum: Hier wird immer wieder darauf verwiesen, dass wir als Kleinaktionäre sowieso keine Chance gegenüber den institutionellen Anlegern haben. Die LVler bestimmen den Kurs. Ja, es stimmt, aber… Ich glaube, dass eine wesentliche Ursache die Volatilität, hervorgerufen durch Fehlern beim Unternehmen in Verbindung mit Presse ist. Hier ist WDI gefordert – siehe oben. Aber auch wir hier im Forum können eine Macht entwickeln. Es gibt viele gute Beiträge. Es gibt den Informationsbeschaffer, den Erklärer (z.B. Quetsche), den Motivator. Ziel sollte sein, Transparenz herzustellen. Ich begrüße hierzu das neue Forum „Informationspool“. Die letzten Wochen haben positiv gezeigt, wie wichtig es ist, auf Presseartikel mit Gegenstimmen, Leserbriefen, Anfragen an Redaktionen zu reagieren. Es gilt Fakten zusammenzutragen, richtig zu interpretieren und dann klarzustellen. Nur wir hier im Forum stecken tiefer in der WDI-Materie als Andere. Es gilt auch kritische Stimmen zu berücksichtigen. Sie schärfen den Blick. Wir sollten gleichzeitig die Stimme gegenüber dem Unternehmen sein. Jeder, der in einem Unternehmen gearbeitet hat, weiß, dass die Innen- erheblich von der Außenwahrnehmung abweicht. Wir sollten von außen das Positive durchaus sehen, aber auch kritisch auf Versäumnisse hinweisen. Eine ideologische Verhaftung hilft weder dem Unternehmen noch dem Kurs. Wenn es uns gemeinsam (Forum, Unternehmen) gelingt, den Nährboden der „Heuschrecken=LVler“ auszutrocken, wird die Volatilität zurückgehen, der Kurs nicht nur im Verhältnis zum Gewinn, sondern auch zu einem höheren KGV erheblich steigen.
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