um aufgeblähten Milliardenreich des insolventen Skandalunternehmens Wirecard gehörte auch eine eigene Bank: die Wirecard Bank. Sie schien, inmitten der Abgründe, ein Kleinod zu sein. Die Betrugsvorwürfe gingen an ihr vorbei. Insolvenzverwalter Michael Jaffé hofft sogar, die Konzerntochter für 100 Millionen Euro verkaufen zu können. Das kann er wohl vergessen, wie bislang unveröffentlichte Prüfungsberichte der Bank nahelegen, die vom Wirtschaftsprüfer EY für die Jahre 2017 und 2018 erstellt wurden und die dem SPIEGEL vorliegen. Sie strotzen vor kritischen Anmerkungen, vor allem zum Kreditgeschäft, einem zentralen Bereich des Geldhauses. Richtig unangenehm sind die Dokumente für die Finanzaufsicht Bafin. Die hat sich im Fall Wirecard bisher damit herausgeredet, nicht zuständig zu sein, weil es sich nicht um einen Finanz-, sondern um einen Technologiekonzern gehandelt habe. Bei den Verwerfungen um die Wirecard Bank zieht diese Ausrede nicht mehr – die Bank unterstand ihrer Kontrolle. Die Berichte der Wirtschaftsprüfer gingen an die Bafin, und was dort zur Bilanz der Wirecard Bank für 2018 geschrieben stand, hätte die Beamten eigentlich alarmieren müssen. »Insgesamt erachten wir die Verfahren und Prozesse der WDB (Wirecard Bank –Red.) im Kreditgeschäft nur mit Einschränkungen für ausreichend«, heißt es. Und weiter: »Nicht banküblich und auch für das Geschäftsmodell der WDB nicht ausreichend« seien insbesondere die Prozesse zur Offenlegung der wirtschaftlichen Verhältnisse und zur Beurteilung der Wertberichtigungen. Im Klartext: Die Wirecard Bank beherzigte das Einmaleins des Bankgeschäfts nicht. Die Bafin soll den Bericht spätestens Anfang Mai 2019 zugestellt bekommen haben, sie äußert sich dazu nicht. Die Behörde tat: nichts. Das ist umso erstaunlicher, als sie selbst 2005 die sogenannten Mindestanforderungen an das Risikomanagement (MaRisk) von Banken formuliert hatte. Dass die Wirecard Bank dieses Mindestsoll nicht erfüllte, wird im EY-Report an mehreren Stellen festgehalten. Und das war nicht die erste Warnung. Bereits 2017 hatte die Bafin die Bundesbank beauftragt, das Kreditgeschäft zu begutachten. Die Experten stellten zahlreiche Mängel fest, darunter als »gewichtig« eingestufte Verstöße gegen die MaRisk. Das änderte wenig. EY schrieb im 2018er-Prüfungsbericht, die Wirecard Bank habe etliche von der Bundesbank festgestellte Mängel nicht abgestellt. In einer eigenen Liste machten die Prüfer Schwächen aus, vor allem in der EDV und im Kreditgeschäft, wo die Bank mehrfach das Kreditwesengesetz nicht eingehalten habe. Die Bank, so legen es die Dokumente aus heutiger Sicht nahe, dürfte – womöglich unwissentlich – Teil des Betrugs gewesen sein. Schon damals war zu erkennen, dass der Kreditvergabeprozess zumindest auffällig war. Die Bank habe Darlehen an Konzerngesellschaften im Umfang von einem Viertel ihres Eigenkapitals vergeben – zu pauschal schlappen zwei Prozent Zinsen und unabhängig von der Bonität der einzelnen Kreditnehmer. Gerechtfertigt habe die Bank den enormen Umfang der Kredite und den Minizins mit einer »faktischen Bürgschaft« der Wirecard AG. Doch die »Bürgschaft« der Mutter für die Tochter ist laut EY nirgends dokumentiert, und die Bank habe darauf verzichtet, sich die wirtschaftlichen Verhältnisse des Kreditkunden offenlegen zu lassen. Dabei hatte schon die Bundesbank 2017 festgestellt, »dass die Bürgschaft der WD AG (Wirecard AG) nicht für einen Offenlegungsverzicht qualifiziert«. Die Bafin schien auch nicht zu stören, dass die Aufsichtsräte von Mutterkonzern und Bank teils mit denselben Personen besetzt waren. So konnten führende Köpfe der Wirecard AG die Bank als Hebel für ihre mutmaßlich kriminellen Pläne nutzen. Noch Anfang 2020 winkte der Bank-Aufsichtsrat einen Kredit an Wirecard-Chef Markus Braun über 35 Millionen Euro durch. Auf Intervention des neuen AG-Aufsichtsratschefs, Thomas Eichelmann, soll das Darlehen gestoppt worden sein. Brauns Anwalt erklärte dagegen, dieser habe den Kredit aus freien Stücken getilgt. EY stufte ein Dutzend Kredite über insgesamt 119 Millionen Euro im 2018er-Prüfungsbericht als »bemerkenswert« ein, weil sie besonders ausfallgefährdet, ungewöhnlich besichert oder an andere Konzerngesellschaften vergeben worden waren, für die mehrheitlich die AG bürgte. Höchst auffällig war ein Kredit an die Firma Ocap in Singapur. Das Unternehmen, heißt es in dem Bericht, werde seit dem 1. April 2018 »vergebens gebeten, ausreichende – zur Bürgschaft der WD AG alternative – werthaltige Sicherheiten zu stellen«. Als Ocap nicht ordnungsgemäß 2018 getilgt habe, sollen Kreditlinien sogar rückwirkend verlängert worden sein. Parallel zum Darlehen der Wirecard Bank soll eine weitere Konzerngesellschaft, die Wirecard Asia, Ocap 115 Millionen Euro Kredit eingeräumt haben. Die Staatsanwaltschaft geht dem Verdacht nach, dass Ocap zu den Gesellschaften gehört, über die womöglich Hunderte Millionen aus dem Konzern geschleust wurden. Die Prüfer der Bafin wurden nicht einmal dadurch aufgeschreckt, dass laut Prüfungsbericht ein halbes Dutzend Großkredite an Firmen in Singapur gingen – dorthin, wo Wirecard Anfang 2019 im Verdacht krummer Geschäfte stand. Die »Financial Times« berichtete damals darüber, was die Bafin veranlasste, den »FT«-Reporter Dan McCrum wegen des Verdachts der Marktmanipulation bei der Staatsanwaltschaft München anzuzeigen – zwei Wochen vor Fertigstellung des EY-Berichts. Dass der Prüfungsbericht Anlass bot, McCrums Recherchen nachzugehen, kam der Bafin offenbar nicht in den Sinn. Dabei hätte sie alle Möglichkeiten gehabt durchzugreifen. 2006 hatte die Wirecard Bank Bereiche wie Recht, Controlling und Compliance an die Wirecard AG ausgelagert. »Schon die Auslagerung dieser Kernfunktionen hätte eine Sonderprüfung der Wirecard AG durch die Bafin ermöglicht«, sagt Rudolf Hübner, Anwalt bei der US-Kanzlei Quinn Emanuel. Und: Wenn eine Sonderprüfung Probleme im Verhältnis zum Mutterkonzern aufzeige, könne die Bafin diesen in vielen Fällen ebenfalls prüfen lassen. Die Bafin prüfte im Sommer 2019 lediglich routinemäßig die Anti-Geldwäsche-Systeme der Wirecard Bank – ohne »wesentliche Mängel« festzustellen, wie die Behörde erklärt. So konnte die Bank bis weit in das Jahr 2020 zwielichtige Konzerntöchter und -kunden mit Krediten versorgen, unbehelligt von der Bafin. Privat hingegen interessierten sich etliche Bafin-Mitarbeiter durchaus für Wirecard. Allein von 1. Januar bis 17. Februar 2019 handelten Bafin-Beschäftigte nach Angaben des Finanzministeriums 38-mal mit Wirecard-Aktien, in 13 Fällen mit Derivaten. Das ging weiter, selbst nachdem die Bafin verboten hatte, mit dem Verkauf geliehener Wirecard-Aktien auf deren Kursverfall zu wetten. In der Zeit des Leerverkaufsverbots vom 18. Februar bis 18. April kauften oder verkauften Bafin-Mitarbeiter 27-mal Wirecard-Papiere. Im ersten Halbjahr 2020 waren es 153 Geschäfte. »Es ist abenteuerlich, dass vor dem Leerverkaufsverbot vor allem Beschäftigte der Abteilung für Marktüberwachung Geschäfte mit Wirecard-Aktien getätigt haben«, sagt der Grünenabgeordnete Danyal Bayaz. Die Bankbilanzen nimmt mittlerweile der EY-Rivale PwC in Augenschein. Dessen Prüfungsbericht für 2019, der dem SPIEGEL vorliegt, enthält ebenfalls Hinweise auf Mängel. Wie zuvor EY erteilte jedoch auch PwC dem Jahresabschluss ein uneingeschränktes Testat. Gegen EY haben Wirecard-Aktionäre Schadensersatzklagen eingereicht. Sie sind der Ansicht, die Prüfer hätten die Bilanzen nicht abzeichnen dürfen. PwC will solche Klagen gegen sich offenbar verhindern. Jedenfalls untersagte die Gesellschaft der Wirecard Bank die Herausgabe des sensiblen Berichts. Zu dem Vorgang äußert sie sich nicht. Tim Bartz, Martin Hesse, Gerald Traufetter |