Wir alle sind von einer Geldgier infiziert
Wir alle sind von einer Geldgier infiziert Wenn 'Geist Mammon' die Menschen einlullt Erzbischof: Spekulanten sind Bankräuber Und wo bleibt die Moral? Kardinal Bertone: Unternehmer sind Mitarbeiter Gottes München (kath.net/idea) „Das ist doch wohl alles Abzockerei!?“ – mit dieser Aussage kommentierte vor wenigen Tagen ein Bischof in einem Gespräch mit mir die aktuelle Situation auf den internationalen Finanzmärkten. Ich sah dabei seinen Zeigefinger immer länger werden. So einfach ist für viele das Urteil über diese Finanzmarktkrise geworden. Die Vorgänge sind aber fast undurchsichtig und komplex, auch wenn nicht wenige sich als kompetent ausgeben.
Doch in keinem einzigen Lehrbuch der Finanzwirtschaft finden wir brauchbare Theorien oder Hinweise auf einen Zusammenbruch des weltweiten Finanzsystems. Ich möchte nicht nur gegen diese Besserwisserei vorgehen, sondern auch gegen die erschreckende Heuchelei, mit der selbst in Führungsetagen und in der Politik gelebt und argumentiert wird.
Niemand weiß, welche Folgen die Zusammenbrüche von renommierten US-Banken, die Kursstürze an den Börsen und der Wertverlust von Aktien und Obligationen für unsere Weltwirtschaft und am deutschen Arbeitsmarkt noch haben werden. Doch was ist eigentlich geschehen?
Die Katastrophe nahm ihren Anfang in der Immobilienkrise der Vereinigten Staaten. Anfang dieses Jahrhunderts setzte ein riesiger Bauboom von Einfamilienhäusern ein. Finanziert wurden die Häuser über äußerst günstige Baudarlehen. Vom Keller bis zum First wurde alles fremdfinanziert. Die bei uns im Gesetz verankerte Kreditwürdigkeit des Kunden wurde überhaupt nicht ernsthaft geprüft. Ob der Kreditnehmer seinem Schuldendienst nachkommen konnte oder nicht, wurde meist nicht analysiert – man vertraute auf die ständig steigenden Immobilienpreise.
Die bilateral geprägte Kundenbeziehung zwischen Kreditnehmer und Kreditgeber (Bank) hatte oft keinen Bestand, weil die Kredite direkt weiterverkauft wurden, oftmals ohne dass es der Kunde erfuhr. Es entwickelte sich ein eigener Wertpapiermarkt. Die neuen Produkte wurden von Rating-Gesellschaften hoch bewertet und von den Banken weltweit gehandelt. Mit der fahrlässig guten Qualifizierung durch die Ratingagenturen kamen diese Wertpapiere im Rahmen der Globalisierung rund um die Welt.
Die Spirale nach unten dreht sich immer weiter
Die ersten Massenentlassungen, etwa in der Automobilindustrie im Großraum Detroit, führten dazu, dass Kredite nicht mehr bedient werden konnten. Die ersten Zwangsversteigerungen folgten, die Immobilienpreisspirale stockte und eine Abwärtsbewegung drehte los. Nachdem zwei Hedgefonds – das sind besonders risikoreiche Geldanlagen – der Bank Bear Stearns im Juni 2007 pleitegingen, kam einen Monat später die deutsche Mittelstandsbank IKB, ein Tochterunternehmen der Staatlichen Kreditanstalt für Wiederaufbau (KfW), wegen massiven Fehlinvestments ins Kentern. Inzwischen wurde die IKB sehr günstig an den Finanzinvestor Lone Star verkauft. Im September 2007 gerät der britische Hypothekenfinanzierer Northern Rock in Bedrängnis und wird verstaatlicht. Die Sachsen-LB muss mit 17 Milliarden Euro gestützt und schließlich von der baden-württembergischen Landesbank übernommen werden. Die Liste lässt sich weiter fortsetzen. Da internationale Bewertungsvorschriften die (meisten) Banken zwingen, die Bewertung nach Marktpreisen vorzunehmen, führte jeder Kursverlust zu neuem Abschreibungsbedarf und damit auch zu einem Bilanzverlust.
Inzwischen sind in den USA mindestens zwölf Banken pleitegegangen, darunter auch das renommierte Unternehmen Lehman Brothers sowie die größte Sparkasse des Landes, die Washington Mutual.
Die Spirale nach unten dreht sich im Augenblick immer weiter. In dieser Situation, in der ein Zusammenbruch des gesamten Finanzsystems nicht länger nur als ein rein theoretisches Gedankenspiel gelten darf, ist pragmatisches, weitsichtiges und entschlossenes Handeln gefragt und nicht ideologische Prinzipienreiterei.
Auch kirchliche Kunden sind von Geldgier infiziert
Auch platte Vorwürfe sind unangebracht. Wer behauptet, die derzeitige Krise sei in einer Abzockerei der Banken begründet, sollte sich selbst einmal im Spiegel ansehen. Ständig erinnere ich mich daran, dass ich in meinem beruflichen Leben nur selten (kirchliche) Kunden getroffen habe, die bereit waren, auf Marktvorteile (d. h. höhere Zinsen) zu verzichten, weil ein anderes Papier stärker ökologisch geprägt war oder sich durch überzeugende Nachhaltigkeit auszeichnete. Immer wollte man beides: höchstmögliche Verzinsung und Nachhaltigkeit. Wir alle sind von einer Geldgier infiziert, die ich als weltweit grassierende Immunschwäche bezeichnen möchte.
Unser gesunder Menschenverstand ist mehr und mehr lahmgelegt. Deshalb müssen wir alle – gerade die Christen – uns die Frage stellen, wie wir von dieser Immunschwäche genesen können. Was jetzt anders werden sollte Aber zuvor einige Ratschläge zum raschen Handeln und einer auch biblisch begründeten Finanzstrategie. Hier ist die Politik genauso gefordert wie das weltweite Bankmanagement und die Bankaufsicht – und letztlich wir selbst auch.
1. Jede Bank sollte grundsätzlich auf jede Verbriefung und den Verkauf von privaten Kreditforderungen verzichten. Ein Bankgeschäft steht und fällt mit der Vertrauensbeziehung des Kunden zu seiner Hausbank. Wer diese Vertrauensbeziehung zerstört, untergräbt das Selbstverständnis einer Hausbank. Ein Kredit hat – wie das Wort schon sagt – mit Credo zu tun, also mit meinem Glauben und meinem Vertrauen zu einem Partner. Hier können und müssen Banken sehr schnell handeln, um dieses Vertrauen wieder herzustellen. Vielleicht können die kirchlichen Banken gemeinsam mit gutem Beispiel und medialer Unterstützung überzeugend vorangehen.
2. Für jeden „ehrbaren Kaufmann“ gilt die biblische Forderung der Haushalterschaft. Auch den Bankern ist alles Geld nur anvertraut und es wird Rechenschaft gefordert (bei der jährlichen Rechnungslegung wie letztlich auch von Jesus, vgl. Lukas 19,11 ff.). Dieses Credo der Haushalterschaft muss wieder in jedes Bankgeschäft einfließen. Dabei sind die sogenannten Eigenkapitalrichtlinien der Bank für den Internationalen Zahlungsausgleich hilfreich, die eine Kreditvergabe an das Eigenkapital der Bank knüpfen. Zudem wird dabei die Kreditwürdigkeit des Kunden sorgfältig geprüft.
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