Im Interview mit KONKRET formuliert der neue Juso-Vorsitzende Klaus-Uwe Benneter den Rahmen, den er sich für eine solche Politik gesteckt hat: "Die Mitgliedschaft in der SPD ist für uns kein Dogma."
KONKRET: Herr Benneter, Sie sind gewählt worden von einer Juso-Mehrheit, die eine konsequent sozialistische Politik verlangt. Diese Politik sollen Sie nun in einer Partei vertreten, in der Bruno Friedrich, Hans-Jochen Vogel und Herbert Ehrenberg das politische Klima mitbestimmen. Wie macht man das?
Benneter: Zu unserem Willen, konsequent sozialistische Politik zu betreiben, gehört auch, daß wir die SPD insgesamt zu einer konsequent sozialistischen Partei machen wollen. Sicher gibt es da viele Hindernisse, aber wir werden unsere Positionen in die Partei hineintragen.
KONKRET: Oder Sie werden rausfliegen. Das haben Sie ja gleich bei Ihrem Antritt als Bundesvorsitzender gesehen, als es um die Juso-Teilnahme am Komitee für Frieden, Abrüstung und Zusammenarbeit ging.
Benneter: Wir haben in diesem ersten Konflikt alle Möglichkeiten ausgelotet und dann eine politische Entscheidung getroffen, als wir vor die falsche und uns aufgezwungene Alternative gestellt waren, entweder Mitarbeit in dem Komitee oder weiter sinnvolle Arbeit in der SPD. Noch ist der Punkt nicht erreicht, wo man sagen müßte, daß wir keine Möglichkeit mehr haben, innerhalb der SPD unsere Vorstellungen zu verbreiten.
KONKRET: Hat denn Egon Bahr dies Ultimatum nicht auch deshalb gestellt, weil er befürchten mußte, daß eine Beteiligung der Jusos an dein Komitee erstens zu einer schweren Erschütterung der Partei und zweitens zu einer Isolierung der Partei in der Bevölkerung führen würde?
Benneter: Erstens: die SPD hat hier wieder einmal gemeint, mit einer rein formalen Abgrenzung gegenüber Kommunisten die Vorwürfe von Seiten der Reaktion auffangen zu müssen. Zweitens hat sie versucht, die Ergebnisse des Hamburger Bundeskongresses, also meine knappe Wahl rückgängig zu machen, in dem man mich entweder ausschließt oder vor den Jungsozialisten insgesamt unglaubwürdig macht. Drittens zeigte dieses Ultimatum die Angst, neue Entwicklungen, wie sie sich grade in Westeuropa abzeichnen, innerhalb der Sozialdemokratischen Partei Deutschlands diskutieren zu lassen.
KONKRET: Sie werden sich also weiterhin von den westdeutschen Kommunisten nicht so wie die Gesamtpartei abgrenzen?
Benneter: Mit unserer Entscheidung, auf eine Mitarbeit in dem Komitee zu verzichten, haben wir nicht unsere Überzeugung aufgegeben, daß wir die Zusammenarbeit in der Bundesrepublik mit Kommunisten zwar nicht suchen, daß wir sie aber auch nicht vermeiden wollen, wenn es uns politisch sinnvoll erscheint und wenn es unseren eigenen Verband stärkt. Falls dies dann zu Konflikten mit der Partei führen sollte, werden wir auch diese Konflikte wieder politisch lösen. Was aber nicht heißt, daß wir uns in jedem Fall so verhalten werden, wie wir das jetzt in diesem Fall getan haben.
KONKRET: Das heißt, Sie würden vielleicht doch einmal den Parteiausschluß in Kauf nehmen?
Benneter: Für uns Jusos ist die Mitgliedschaft in der Partei kein Dogma, an dem wir nun in jedem Fall festhalten. Wir müssen sinnvoll mitarbeiten können. Wenn die Politik der Ultimaten Schule machen sollte, müssen wir uns freilich fragen, wie lange das noch geht.
KONKRET: Die Bevölkerung der Bundesrepublik scheint nach zwölf Jahren faschistischer Herrschaft und nach den fünfziger Jahren, in denen der Antikommunismus noch einmal seine tollsten Blüten getrieben hat, offenbar nicht in der Lage, mit Kommunisten zu leben. Gefährden die Jusos mit ihrer Politik in dieser Frage nicht die Regierungsfähigkeit der SPD?
Benneter: Die SPD schadet sich doch letztlich selbst, wenn sie weiterhin dieses Problem vor sich herschiebt, das nicht nur von Jusos an sie herangetragen wird, sondern auch von den Entwicklungen der Klassenauseinandersetzungen in Italien oder in Frankreich. Die SPD gerät hier einmal in Gefahr, sich in Europa in das konservativreaktionäre Lager treiben zu lassen. Und zum anderen gerät sie auch in Gefahr, antikommunistisch-emotionale Vorurteile nicht nur gegen Kommunisten, sondern gegen alle zu mobilisieren, die in der BRD grundlegende gesellschaftliche Veränderungen schaffen wollen.
KONKRET: Also: Antikommunismus schadet der SPD selbst?
Benneter: Ja, sicher. Wenn Adenauer in den fünfziger Jahren auf die Kommunisten eingeschlagen hat, so wollte er damit doch nicht die zahlenmäßig irrelevante KPD treffen, sondern die Sozialdemokraten. Genau so, wie es jetzt wieder der CSU-Abgeordnete Sauer mit Herbert Wehner versucht.
KONKRET: Dem kann man auf zwei Arten begegnen: Entweder man sagt: wir haben mit Kommunisten nichts zu tun, wir teilen die Abneigung gegen Kommunisten. Oder man sagt, wir sind keine Kommunisten, wir sind aber auch keine Antikommunisten wie ihr.
Benneter: Die SPD ist von ihrer Tradition und ihrem Programm her verpflichtet, das Parteienspektrum als klassenspezifisches Spektrum anzusehen. Unter diesem Aspekt sind CDU und CSU die Parteien des Klassengegners während die Kommunisten unsere politischen Gegner, nicht aber die Klassenfeinde sind. Zum anderen meine ich, daß sich die SPD, solange sie sich von den Kommunisten nur formal und nicht dadurch positiv abgrenzt, daß sie selbst eine schlüssige Orientierung auf eine grundlegende Veränderung vorlegt, immer nur den Vorwurf zuzieht: Ein getroffener Hund bellt. Wenn die Reaktion sagt, Jungsozialisten haben hier wieder was Kommunistisches beschlossen oder Jungsozialisten haben mal wieder mit den Kommunisten zusammengearbeitet, so macht sie dies ja nicht, um mal wieder einen Juso zur Räson zu bringen, sondern um die ganze Partei ins Zwielicht zu setzen.
KONKRET: Das tun ja auch Teile der Partei.
Benneter: Ja, sicher, das ist natürlich ein deutlicher Hinweis darauf, daß wir auch starke Kräfte innerhalb der Partei haben, die gar nicht daran denken, das zu tun, was im Godesberger Programm formuliert ist: eine neue Wirtschafts- und Gesellschaftsordnung zu schaffen.
KONKRET: Angesprochen auf die Staaten Osteuropas haben bisherige Juso-Vorsitzende immer gesagt: Dort ist kein Sozialismus, die haben mit Sozialismus nichts zu tun. Sieht das der neue Bundesvorstand auch so?
Benneter: Die Entschiedenheit, mit der wir Menschenrechtsverletzungen in den osteuropäischen Staaten ablehnen, dürfte allen Jusos gemeinsam sein. Aber es wäre töricht, die Entwicklung dieser Staaten pauschal zu negieren, bloß um der bundesdeutschen Reaktion keine Angriffsfläche zu bieten. Wenn wir von den emotionalen antikommunistischen Kalten-Kriegs-Parolen runter wollen, müssen wir uns die Verhältnisse mal genauer ansehen - etwa die Art und Weise, wie dort Planungen erfolgen, wie die Arbeitnehmer an Planungen beteiligt werden, wie deren Vorstellungen, deren Bedürfnisse in die Gesamtplanung eingehen.
KONKRET: Das beantwortet die Frage natürlich noch nicht ganz: Hat das was mit Sozialismus zu tun oder nicht?
Benneter: Ja, es hat sicher etwas mit Sozialismus zu tun, daß es in den osteuropäischen Ländern keine Kapitalisten mehr gibt, daß die Produktionsmittel nicht mehr irgendwelchen Profitinteressen untergeordnet sind, sondern daß man dort schon durchaus den ernsten Versuch gemacht hat, die Produktion auf die Bedürfnisse auszurichten, und eben nicht darauf, daß die Dividenden stimmen.
KONKRET: Ihre Vorgänger als Bundesvorsitzende der Jusos sind immer vom Primat des Weiterregierens der SPD ausgegangen. Wann immer die Partei gesagt hat, das kann uns Stimmen kosten, haben sie zurückgesteckt. Gilt das für den neuen Bundesvorstand auch noch?
Benneter: Ich weiß nicht, ob es richtig ist, wenn man meine Vorgänger so einschätzt. Aber dies mal unterstellt, würde ich schon meinen, daß für den neuen Juso-Bundesvorstand eine differenziertere Auffassung gilt. Wenn nur noch um der Regierung willen regiert wird, dann zählt der Primat des Regierens nicht.
KONKRET: Das Menetekel einer autoritären rechten Regierung aus Dregger, Stoltenberg und Kohl schreckt Sie also nicht so wie Ihre Vorgänger?
Benneter: Schrecken tut mich das schon. Nur, durch die aktuellen Vorgänge im Zusammenhang mit den Abhörskandalen und den entsprechenden Regierungsstellungnahmen auch grade von Sozialdemokraten, werden die Unterschiede zu einer Dregger/Strauß-Regierung immer undeutlicher. Wir Jusos konnten uns doch im Wahlkampf 1976 für eine SPD-geführte Regierung nicht deshalb vehement einsetzen, weil wir davon ausgingen, daß diese Regierung irgend etwas in Richtung Sozialismus verwirklichen würde, sondern weil sie die Chance offen halten sollte, für sozialistische Veränderungen mobilisieren zu können. Und dies gerät zunehmend in Gefahr, wenn diese Regierung sich so am Abbau demokratischer Rechte beteiligt.
KONKRET: Wenn nun diese Regierung weiter so verfährt wie sie mit Herrn Maihofer und Herrn Schüler bisher verfahren ist...
Benneter: ...dann wird dies dazu führen, daß die Jungsozialisten in einem Bundestagswahlkampf bestimmt nicht mehr in der Weise sich engagieren können, wie sie es, schon zähneknirschend, im letzten Wahlkampf getan haben.
KONKRET: Am gleichen Tag, als Sie in Hamburg gewählt wurden, wurde in Hessen bei den Kommunalwahlen der SPD die größte Niederlage ihrer Geschichte in diesem Land bereitet. Wie kommt es, daß die SPD Wochen nach der Wahl in Hessen immer noch fast ausschließlich die Wahl von Benneter und deren Folgen diskutiert?
Benneter: Die SPD-Parteiführung hat sich in meiner Wahl ein günstiges Fluchtfeld gesucht, um nicht so eingehend, wie das notwendig wäre, die Folgen dieses Wählereinbruchs diskutieren zu müssen. Ich habe die Befürchtung, daß auch diesmal weniger versucht wird, Lehren aus diesem Wahleinbruch zu ziehen, als sich einen innerparteilichen Sandsack hinzustellen, auf den man eindreschen kann, um die eigenen Versäumnisse zu kaschieren.
KONKRET: Was sind nach Ihrer Einschätzung die Hauptgründe für die Wahlniederlage in Hessen und andere Wahlniederlagen dieser Art?
Benneter: Zum einen, daß die SPD dem Wähler keine Orientierung bietet, wie die gegenwärtigen Krisenerscheinungen dauerhaft gelöst werden können. Zum andern sucht die SPD Erfolge bei mittleren oder rechten Wählern, weil angeblich links der SPD nur 0,5 Prozent und rechts 50 Prozent zu holen seien. Das ist Statistik statt Klassenanalyse. Und drittens war der größte Pluspunkt von Sozialdemokraten, daß sie als Personen integer waren, daß sie also nicht im Geruch von Korruption standen. Und das ist nun nach Helaba, Frankfurter Westend und Flughafen anders geworden.
KONKRET: Was wäre denn, wenn Benneter in diesem Land SPD-Kanzler wäre? Es gibt eine Reihe von Sachzwängen, die man zwar als Jungsozialisten-Vorsitzender, nicht aber als SPD-Kanzler vernachlässigen kann. Es gibt Verpflichtungen gegenüber gesellschaftlichen Gruppen, die in Jahrzehnten eingegangen worden sind, gegenüber Unternehmern, auch in konzertierten Aktionen, es gibt Bündnisverpflichtungen, Rüstungsverpflichtungen. Eine Bundeswehr von einer halben Million Mann läßt sich nicht so leicht abrüsten, Geheimdienste und Polizeistreitkräfte lassen sich auch nicht so leicht auf das Maß zurückführen, das sie mal vor dem Baader-Meinhof-Rummel hatten. Ein Kanzler Benneter müßte damit rechnen, daß die Reaktion, wenn sie merkt, auf was es rausgehen soll, gewalttätig wird. Würde da die Politik, die ein konsequent sozialistischer Kanzler betreiben könnte, nicht sehr der Politik ähneln, die Helmut Schmidt betreibt?
Benneter: Das glaube ich nicht. Sicher müßten längerfristige Verpflichtungen auch von einem konsequent sozialistischen Kanzler eingehalten werden, aber ich glaube, man macht sich was vor und das ist auch eine Alibi-Argumentation, wenn man sagt, daß die Sachzwänge keine Möglichkeit lassen, auch kurzfristig bestimmte Weichenstellungen vorzunehmen. Grade was zum Beispiel die Rüstungsproduktion angeht...
KONKRET: .. .da hat der Vorstoß in Richtung Abrüstung, den Herbert Wehner gemacht hat, zu einem großen Aufheulen der gesamten rechten Presse in diesem Land geführt, zu schlimmen Ausfällen, ja zu verbaler Gewalttätigkeit von CSU-Abgeordneten. Wenn er da noch einen Schritt weiterginge, würde ein SPD-Kanzler - angesichts der fast totalen Beherrschung der Medienlandschaften durch die Rechte - das doch nicht überleben.
Benneter: Wenn man weiß, daß es sich hier im Grunde auch um Klassenauseinandersetzungen handelt, dann ist dieser Vorstoß von Herbert Wehner schon ein Vorstoß in die richtige Richtung. Nur darf man es nicht dabei bewenden lassen, so etwas in einem Interview anzudeuten, sondern dann muß man die Klasse, die wir vertreten, nämlich die Arbeitnehmer, dafür mobilisieren und für diese Vorstellungen gewinnen. Denn solche Klassenauseinandersetzungen werden nicht allein im Parlament entschieden, sondern die werden dann auch mit einem Kräftemessen draußen zu einer Entscheidung gebracht werden müssen. Ein konsequent sozialistischer Kanzler müßte jedenfalls nicht nur im Parlament regieren und auf Pressekonferenzen agieren, sondern der müßte auch für seine Vorstellungen mobilisieren und draußen eine Stütze im Kampf gegen die Reaktion und gegen die rechtsorientierte Presse suchen.
KONKRET: Furcht vor der Reaktion und ihrer Stärke ist bei Ihnen nicht sehr ausgeprägt?
Benneter: Man muß natürlich sehen, daß man sich nicht in ein völlig unkalkulierbares Abenteuer stürzt, aber man darf auch nicht die Furcht vor den noch sehr großen Möglichkeiten der Reaktion zum alleinigen Maßstab seines Handelns machen lassen. Denn sonst wird man höchstens den Status quo absichern helfen können und nie aus der Defensive rauskommen.
KONKRET: Wenn Sie vor der Alternative stehen, die SPD zu einer klassenbewußten Partei zu machen, wobei Sie in Kauf nehmen, zumindest vorübergehend Mitglieder und Wähler zu verlieren, oder die SPD weiterregieren und Stimmen sammeln zu lassen, wo sie will, um Schlimmeres zu verhüten - wie würden Sie da votieren?
Benneter: Die Alternative heißt, meines Erachtens, ganz anders: ob man bereit ist, überhaupt die gegenwärtigen Schwierigkeiten als grundlegende Schwierigkeiten des kapitalistischen Systems zur Kenntnis zu nehmen. Das kann man sowohl in der Opposition als auch in der Regierung. |