Der Überlebenskünstler So oft, wie die DVD schon totgesagt worden ist, erscheint es fast wie ein Wunder: Das Geschäft mit den Silberscheiben brummt. Und Singulus liegt an der Spitze. Denkt aber längst über ganz neue Geschäftsfelder nach. - Roland Lacher könnte angeben. Er könnte von seiner technischen Überlegenheit schwärmen. Prahlen, wie er die Konkurrenz geschlagen hat. Immerhin gibt es weltweit nur wenige, die Maschinen bauen können, auf denen Discs mit einer Speicherkapazität von 50 Gigabyte produziert werden. Blu-ray-Discs. Die Nachfolgegeneration der DVD, für hochauflösende und bald auch dreidimensionale Filme. Das eine Unternehmen ist Sony, einer der größten Elektronikkonzerne der Welt. Das andere ist Singulus, Spezialmaschinenhersteller mit 483 Mitarbeitern, Hauptsitz in Kahl am Main, im Grenzland zwischen Hessen und Bayern. Statt zu prahlen, sagt der Gründer und langjährige Vorstandschef Lacher: "Ohne Sony hätten wir das nie geschafft." Die Geschichte von Singulus ist keine Jubel-Story. Sie handelt vom Mut zum Risiko, von Hartnäckigkeit. Und vom Überleben auf einem schwierigen Markt. Glaubt man Hollywood und den Elektronikkonzernen, ist Blu-ray die Zukunft der Sofa-Unterhaltung. Doch Zukunft hat in dieser Branche eine kurze Halbwertzeit. Ab 2015, schätzt Lacher, könnte sich das Internet zu einer ernsten Konkurrenz für die Silberscheiben entwickeln. Acht bis zehn Jahre lang werde Singulus seine Blu-ray-Maschinen gut verkaufen. Und was dann? Bis dahin ist hoffentlich der Sprung in ein neues Geschäftsfeld gelungen. Die Solartechnik. Bei Singulus kennen sie das gar nicht anders: die Zukunft, die drohend näher kommt. Schließlich sind die Unkenrufe über das nahe Ende der DVD so alt wie die DVD selbst. Die "New York Times" schrieb 1997, noch vor der Markteinführung in den USA: "Ungeklärt ist die Frage, ob die DVD angesichts anderer aufkommender Techniken überleben wird." Fünf Jahre später hatten etwa 40 Millionen US-Haushalte einen DVD-Player. Allein in den USA wurden 2002 mehr als acht Milliarden Dollar mit Filmen auf DVD umgesetzt. Weitere sechs Jahre darauf fragte die Zeitschrift "Economist": "Wer braucht schon Blu-ray?" Über die Jahre haben sich fast alle Konkurrenten verabschiedet. Bei der Gründung Ende 1995 traf Singulus auf 14 Mitbewerber. Aktuell sind es noch zwei: Anwell in China und Origin in Japan. Die Maschinenbauer aus Kahl am Main haben durchgehalten. Wer Lacher eine Weile zuhört, ahnt, dass es eine harte Zeit gewesen sein muss. Er spricht vom Stierkampf, bei dem der Torero dem Tier den Degen zwischen die Hörner stoßen müsse. "Schöner Vergleich, oder?", sagt der 68-Jährige. Einmal kaufte er einen Konkurrenten, nur um ihn aufzulösen. Er wollte so einem ruinösen Preiskampf vorbeugen. "Durch normales Geschäftsgebaren bekommen Sie einen Konkurrenten oft nicht aus dem Markt. Immer wenn er kurz vor dem Aufgeben ist, gibt jemand neues Geld dazu." All das erzählt der glatzköpfige Mann, der im April von der Unternehmensspitze in den Aufsichtsrat gewechselt ist, freundlich lächelnd. Nach der Übernahme eines Konkurrenten müsse man gut aufpassen, sagt er, dass die Besten von dort nicht nebenan ein Spinoff gründeten. So ähnlich hatte er es selbst gemacht. Damals, 1995, war er Bereichsleiter beim Technologiekonzern Leybold. Eigentlich sollte er für seinen Arbeitgeber - aus kartellrechtlichen Gründen - den Geschäftszweig mit Beschichtungsanlagen für CDs verkaufen. Am Ende der Verhandlungen mit dem Investor stand Lacher selbst an der Spitze des neuen Unternehmens. Per Management-Buy-Out. Der Konzern hatte seinen Mitarbeitern zwar freigestellt, sich zwischen Singulus und dem Verbleib bei Leybold zu entscheiden. Über den Verlust seiner Führungskraft war das Unternehmen wenig begeistert. Mit dem Schritt in die Selbstständigkeit bewies Lacher Mut. Er war 53 Jahre alt und Vater von drei Kindern. Mehr als 30 Kollegen schlossen sich ihm an. In solchen Momenten kommen bei Lacher immer die Ehefrauen ins Spiel, so, als seien sie die eigentlichen Entscheider. "Das ganze Familienthema", sagt er. Wenige Monate nach der Gründung setzte Singulus fast alles auf eine Karte. Ein Schritt, ohne den es das Unternehmen wohl längst nicht mehr gäbe. Es war im Frühjahr 1996, als Lacher und sein Ko-Geschäftsführer in einem Labor von Sony in Japan die erste DVD in Händen hielten. Ob es nicht möglich sei, fragten die selbstbewussten deutschen Maschinenbauer, die Silberscheibe "inline" zu produzieren. Also in einem Produktionsverfahren, in dem alle Fertigungsschritte in einer Anlage integriert sind, ohne dass die Scheibe per Hand von Maschine zu Maschine transportiert werden muss. "Unmöglich!", antworteten die Japaner. Die DVD sei technisch zu komplex. Ein gutes Jahr darauf stellte Singulus auf einer Fachmesse in Kalifornien eine Inline-Beschichtungsanlage für DVDs vor. Die erste der Welt, sagt Lacher und beschreibt das Gefühl in der Firma so: "Wir waren die Könige." Die Zahlen geben ihm recht. Innerhalb der ersten fünf Jahre stieg der Umsatz des Unternehmens von 88 Millionen auf 735 Millionen D-Mark. Nur wer sich ständig neu erfindet, überlebt Die Franken verkauften aber nicht nur viele Maschinen. Sie machten auch satte Gewinne. Lacher fängt an zu zeichnen. Eins, zwei, drei, vier, fünf Kästchen. Für fünf DVD-Fertigungsschritte: Spritzguss, Metallisierung, Lackierung, Trocknung, Prüfung. Die ersten beiden Schritte seien für 80 Prozent der Marge verantwortlich. Diese Verfahren also müsse man im eigenen Haus haben. "Alle, die diese Logik nicht verstanden haben, sind auf der Strecke geblieben." Das Geld nämlich, das Singulus in den fetten Jahren als Rücklage anhäufte, hat später das Überleben gesichert, als der Markt für DVD-Produktionsmaschinen gesättigt war. Um sich ein Sicherheitspolster anzulegen, weigerten sich die Kahler, Dividenden auszuschütten oder in der Neue-Markt-Euphorie waghalsig Firmen einzukaufen. Sie wollten auf keinen Fall Übernahmekandidat werden, nicht zurück in einen Konzern. 2005 halbierte sich der Umsatz bei Singulus, 2009 noch einmal. Die Margen schmolzen. Das Unternehmen rutschte in die roten Zahlen. Schlimmer noch: Die Nachfolgetechnik ließ auf sich warten. Im Streit über das neue Format hatten sich Sony und Toshiba hoffnungslos ineinander verkeilt. HD-DVD oder Blu-ray? Solange die Entscheidung offen war, mochten die Disc-Hersteller keine neuen Maschinen bestellen. Erst als im Januar 2008 der US-Medienkonzern Time Warner endgültig ins Blu-ray-Lager wechselte, war der Kampf entschieden. Da hatte Singulus schon drei Jahre lang in die neue Maschine investiert, ohne einen Cent zu verdienen. Immer wieder kamen Sony-Entwickler an den Main, um das Projekt voranzutreiben. Denn im Kampf gegen das Konkurrenzformat von Toshiba musste Sony nachweisen, dass sich die technisch komplexeren Blu-ray-Discs günstig herstellen ließen. Ihr Wissen stellten die Japaner auch dem Schweizer Werkzeugmaschinenbauer Oerlikon zur Verfügung, dessen Blu-ray-Sparte Lacher kurzerhand aufkaufte. "Für uns stand fest, dass der Optical-Disc-Markt langfristig zu klein ist", sagt Oerlikon-Sprecher Burkhard Böndel. Zukaufen oder Ausscheiden, das seien die Optionen gewesen. Viele Analysten waren zunächst skeptisch. Die hohen Preise für Blu-ray-Filme und HD-Fernseher bremsten anfangs das Interesse der Leute. Denn ohne neue Technik sind die Vorteile einer Blu-ray-Disc gegenüber einer DVD kaum erlebbar. Inzwischen sind die Preise stark gesunken. Das Beratungsunternehmen Futuresource Consulting schätzt, dass in vier Jahren jeder dritte US-Haushalt einen Blu-ray-Spieler mit 3-D-Qualität besitzen wird. Nach einer langen Durststrecke spüren die Singularen - wie sich die Maschinenbauer in Kahl selbst nennen - wieder Aufwind. "Ich war 15 Jahre bei der französischen Kriegsmarine", sagt Patrick Binkowska zur Begrüßung. Das ist zwar schon eine Weile her. Aber irgendwie fühlt sich der Franzose häufig immer noch wie auf See. Im U-Boot, sagt er, habe er bei Problemen auch keinen Kundenservice rufen können. Wenn er die Geschichte von Singulus erzählt, klingt es wie 15 Jahre beharrliches Tüfteln. Zum Beispiel 1997. Die neuen CD-Maschinen liefen nicht rund. Binkowska wurde zum Kunden nach Australien geschickt. "Am zweiten Tag habe ich durch Zufall den Fehler gefunden. Glück hat man, wenn man dranbleibt." Oder die erste DVD-Anlage, die Singulus zum Durchbruch verhalf: Wochenlang habe er beim Kunden nachgebessert, auch nachts und an Wochenenden. Seine Hartnäckigkeit belohnte die Firma später mit 120 Folgeaufträgen. Binkowska ist einer, der geht, wenn man ihm die Freiheit beschneidet. Mehrmals hat er den Arbeitgeber gewechselt. Doch immer waren es Ableger des Leybold-Konzerns, wie Singulus. Und während der Franzose seine Stationen aufzählt, ahnt man, dass Kahl am Main nicht im Nirgendwo liegt, sondern Teil eines Wissensnetzes ist, das sich über die ganze Region erstreckt. Man spricht hier gern vom Materials Valley und verweist auf große Namen wie Degussa und Heraeus. Heute ist der ehemalige Marinesoldat Bereichsleiter für die Fotovoltaik, jenem Geschäftsbereich, der in acht bis zehn Jahren das Unternehmen tragen soll. Für Laien mag der Zusammenhang zwischen DVDs und Solarzellen nicht gleich ersichtlich sein. Doch Singulus fühlt sich gut gerüstet. Um Vakuumbeschichtung und die interdisziplinäre Zusammenarbeit von Physikern, Chemikern und Ingenieuren geht es auch in der Solarindustrie. Und um die Fähigkeit, viele einzelne Fertigungsschritte in einer vollautomatischen Anlage zu bündeln, klein, schnell und kostensparend. Nur: Singulus kommt spät und trifft auf etablierte Wettbewerber. Auf der Stuttgarter Fotovoltaikmesse im April deutet Thomas Künzl im Vorbeigehen auf die Stände der Konkurrenz. Er ist Vertriebsdirektor der Solarfirma Stangl, die Singulus 2007 übernahm, um sich den Markteintritt zu erleichtern. "Am Anfang hieß es in der Branche, der Zug sei abgefahren", sagt Künzl. Doch als sich die Franken bei einem namhaften Solarhersteller im Januar einen 19-Millionen-Euro-Vertrag sicherten, habe die Konkurrenz aufgehorcht. Erkämpft wurde der Erfolg in alter Manier: Nach einem Entwicklungsvertrag zögerte der Auftraggeber, die Maschinen zu bestellen, weil inzwischen der Markt eingebrochen war. Die Kahler konstruierten einfach ohne Vertrag weiter. Volles Risiko. Diversifikation ist ein hartes Geschäft. Zweimal haben die Maschinenbauer es erfolglos versucht: in der Brillenbeschichtung und der Herstellung von M RAM-Speicherzellen. Beide Male setzten sie auf eigene Entwicklungen und scheiterten an mangelnden Marktkenntnissen. Ein drittes Mal soll das nicht passieren. Der Erwerb von Stangl hat den Weg zum Kunden geebnet - war auf der Höhe des Solar-Booms aber auch nicht billig. Der Mann, der Singulus künftig führen soll, hat weder Erfahrung mit Speichermedien noch mit Solarzellen. Stefan Rinck, Vorstandschef seit April, hat zuletzt Gabelstapler gebaut. Er war Geschäftsführer der Linde Material Handling, die direkt gegenüber vom Singulus-Hauptsitz ein Logistikzentrum betreibt. Vielleicht ist es ein Zufall, dass er gleich alt ist wie Lacher damals, 1995. Bislang stand er an der Spitze von mehr als 13 000 Mitarbeitern. Er traf Entscheidungen mithilfe von Zahlen und Akten und beobachtete, wie sie ihre Wirkung Schritt für Schritt bis an die Basis des Unternehmens entfalteten. Heute geht er kurz über den Flur, wenn er einen Mitarbeiter sprechen will. Die Trends im Solarmarkt muss er erkennen, lange bevor sie ihm als Unterlagen ins Büro gereicht werden. Rinck sagt, sein früheres Geschäft, Gabelstapler, werde sich in den kommenden 20 Jahren nicht wesentlich verändern. Anders die Solarzellen. Er ist fasziniert von der neuen Geschwindigkeit, mit dem sich alles um ihn herum dreht. Darin sieht er - trotz des späten Markteintritts - die Chance. Denn nach fetten, staatlich subventionierten Jahren ächzt die Branche unter dem Preisverfall. Konnten die Hersteller erst nicht genug Solarzellen liefern, sitzen sie nun auf Überkapazitäten. "Eine tolle Zeit für uns", sagt Rinck. Wie das? In der Boom-Phase hätten es die Solarfabriken versäumt, über Produktivitätsfortschritte nachzudenken. Der Preisdruck mache viele Maschinen nun unwirtschaftlich. Effizientere Modelle seien gefragt. Analysten bescheinigen Singulus das Potenzial, seinen Kunden Kostenvorteile zu verschaffen. Deshalb, sagt Rinck, habe auch eine kleine Firma große Chancen - wie damals bei der DVD. Dennoch werde es wieder ein harter Kampf. "Drei werden überleben, sieben werden sterben oder absorbiert", sagt Roland Lacher. "Das Spiel wird sich wiederholen." Immerhin: Die Spielregeln kennen die Franken schon. - http://www.brandeins.de/archiv/magazin/auf-sicht/...enskuenstler.html |