Nokia baut das Geschäft mit High-Tech-Handys für Geschäftskunden aus. Können die Finnen damit ihren Abwärtstrend stoppen?
Für seine Radtour quer durch Deutschland hatte Andreas Schweinbenz seinen Rucksack bis zum Rand voll gepackt. „Laptop, Tablet PC, Handy, Blackberry – alles dabei“, sagt der Geschäftsführer des Softwareunternehmens Netviewer aus Karlsruhe. Von München bis nach Berlin ist Schweinbenz im Juli mit Kollegen geradelt, um zu zeigen, dass ein Arbeitsplatz überall sein kann – auf dem Fahrrad, im Hotel oder in der Bahn. Zweck der Demonstration: Mit der Netviewer-Software können Nutzer auch unterwegs gleichzeitig Dokumente wie Präsentationen am Laptop sehen und bearbeiten. Die Ausstattung für den mobilen Arbeitsplatz war allerdings üppig. Den Laptop mit UMTS-Datenkarte nutzten Schweinbenz und Kollegen zum virtuellen Kundentreffen, mit dem Handy wurde telefoniert, den ständigen E-Mail-Kontakt lieferte der Blackberry. Der schickt zwar die Präsentation auf das Display, aber bearbeiten kann er sie nicht. „Es fehlt ein mobiles Gerät für alles“, so Schweinbenz’ Fazit nach dem Ende der Tour.
Mit dem Gerätewirrwarr aufräumen und Managern das mobile Arbeiten vereinfachen will nun Handy-Weltmarktführer Nokia: Die Finnen stellten am Mittwoch einen neuen Alleskönner vor, der Computer und Mobiltelefon vereint. Der neue Nokia Communicator 9300 ist nicht viel größer als ein Handy und bietet eine vollständig aufklappbare Tastatur und den mobilen Zugriff auf die vom PC gewohnten Programme wie E-Mail, Adressen und Kalender. Powerpoint-Dateien und andere Programme lassen sich nicht nur lesen, sondern auch bearbeiten. Zudem bietet der schlanke, nur 167 Gramm schwere, mobile Taschencomputer IBM- und Oracle-Software, unter anderem für den mobilen Zugriff auf Datenbanken. „Jetzt hat endlich jeder Manager sein Büro immer dabei – im Westentaschenformat“, preist Nokia-Vorstandsmitglied Mary McDowell das neue High-Tech-Handy an, das Anfang 2005 in die Geschäfte kommen soll. „Der Markt für mobile Anwendungen in Unternehmen dürfte weltweit ein Potenzial von 20 Milliarden Dollar haben. Ich erwarte eine signifikante Umsatzsteigerung mit unseren neuen Smartphones für Geschäftskunden im kommenden Jahr“, sagt McDowell.
Mehr Wachstum kann Nokia dringend brauchen. Denn auch im zweiten Quartal dieses Jahres ging die Talfahrt trotz kräftiger Preissenkungen weiter. Während die südkoreanischen Konzerne Samsung und LG Electronics sowie der japanisch-schwedische Handyhersteller Sony Ericsson ihr Geschäft ausbauten, verlor Nokia fünf Prozent des Umsatzes. Der Marktanteil der Finnen ging im zweiten Quartal um weitere 1,6 Prozentpunkte zurück. Weltweit gehören Nokia nur noch 30 Prozent des Handymarktes, vor einem Jahr waren es noch 36 Prozent. Der Kurs der Aktie sackte auf zehn Euro, so tief wie seit sechs Jahren nicht mehr.
Dabei sollte die Anfang 2004 beschlossene Aufteilung des Konzerns in vier neue Geschäftseinheiten für ein zehnprozentiges Wachstum sorgen. Stattdessen floppte Nokias Einstieg ins Multimediageschäft mit dem Spiele-Handy N-Gage, und die Finnen verpassten wichtige Trends wie die Nachfrage nach Klapphandys. Jetzt ruht die Hoffnung auf der neuen Sparte Enterprise Solutions (Anwendungen für Unternehmen), die McDowell seit Anfang des Jahres leitet. Sie soll Geschäftskunden die neuen computerähnlichen High-Tech-Handys – im Fachjargon Smartphones – schmackhaft machen. Noch schreibt das Geschäft rote Zahlen – im zweiten Quartal 2004 lag der Verlust bei 59 Millionen Euro. Drei Jahre haben die Finnen gebraucht, um nun endlich zwei Nachfolger ihres Modells Nokia Communicator vorzustellen.
Raffinierte Technik werden anspruchsvolle Manager selbst bei diesen vermissen. Zwar bietet die größere und schwerere Version, der Nokia Communicator 9500, den die Finnen bereits auf der Cebit zeigten und der zu Weihnachten in die Läden kommen soll, als eines der ersten Smartphones auch die Funktechnik WLAN an. Dafür fehlt der Zugang zum neuen schnellen mobilen Multimedianetz UMTS. Bei dem in dieser Woche präsentierten Modell 9300 verzichtet Nokia gar auf beides. Dafür soll das Gerät nach Branchenschätzungen mit 800 Euro gut 200 Euro günstiger sein als der große Bruder.
„Wir brauchen Produkte in allen Preissegmenten“, rechtfertigt Nokia-Manager Niklas Savander die Strategie. „Viele haben uns immer wieder vorgeworfen, der Communicator sei ein dickes Brickett und kein Handy. Jetzt haben wir den 9300, der schmal und schick ist. Es ist unmöglich, alles in ein Produkt zu packen und im mittleren Preissegment zu bleiben.“
Frontalangriff
Während die Finnen noch bei der Ankündigung sind, erobert die Konkurrenz die Managerherzen. Der Blackberry des kleinen kanadischen Unternehmens RIM hat sich als Kultobjekt in den Führungsetagen etabliert. Auf ihm landen E-Mails schnell und einfach. „Mobile E-Mail ist die Killerapplikation für Unternehmenskunden“, sagt Emma McClune von der Unternehmensberatung Current Analysis. „Alle anderen mobilen Datenanwendungen in Unternehmen sind noch kaum etabliert.“
Deshalb ist auch der Elektronikkonzern Siemens auf den Blackberry-Zug aufgesprungen. Die Münchner haben die komplette RIM-Software in ihr neues Business-Handy SK 65 gesteckt, das bereits in diesem Herbst auf den Markt kommen soll. „Wir wissen, dass wir langfristig nicht vom Absatz der Blackberrys leben können, je mehr Hersteller unsere Software lizenzieren, umso besser“, sagt RIM-Chef Jim Balsillie. Bereits Ende 2003 startete auch der Softwareriese Microsoft den Frontalangriff auf Nokia. Microsoft verbündete sich mit dem US-Handyhersteller Motorola. Der packte als Erster in sein Smartphone MPx200 das mobile Windows-Betriebssystem aus dem Hause Microsoft. Damit bietet es die gewohnten PC-Büroanwendungen auch auf dem Handy.
„Nokia hat bei Unternehmenskunden noch keine Kompetenz bewiesen“, sagt Gregor Harter, Partner der Unternehmensberatung Booz Allen Hamilton in München. „Die Finnen sind sind zwar auf dem richtigen Weg, aber es fehlt an guten Drähten zu den IT-Abteilungen großer Kon- zerne.“ Denn diese entscheiden, mit welchen Geräten die Mitarbeiter ausgestattet werden. Nokia setzt darauf, dass die Schlacht in diesem Markt längst nicht geschlagen ist. Tatsächlich will die Hälfte der 2000 weltgrößten Konzerne erst in den kommenden drei bis vier Jahren mobile Datendienste einsetzen, so eine Studie des Marktforschungsinstituts Meta Group. Noch schrecken viele Konzerne von der aufwendigen und teuren Integration solcher Dienste in ihre bestehenden IT-Netze zurück. Auch RIM hat den Durchbruch auf breiter Front bisher nicht geschafft. „Noch arbeiten die meisten Manager unterwegs am liebsten mit ihrem Notebook“, sagt Mobilfunkanalystin McClune. Weltweit nutzen erst eine Million Kunden den Blackberry. „Vielen Unternehmen ist der RIM-Dienst zu teuer“, sagt Nokia-Vorstand McDowell. „Deshalb ist es hauptsächlich ein Werkzeug für das Topmanagement.“
Trotzdem haben auch die Finnen die Blackberry-Software für ihren neuen Nokia Communicator lizenziert. McDowell: „Wir arbeiten gleichzeitig an anderen günstigen mobilen E-Mail-Lösungen, die optimale Datensicherheit bieten.“
Noch ist Nokia trotz der Partnerschaften mit IBM und Oracle in der IT-Welt ein Neuling. „Es reicht nicht, ein schickes Handy auf den Markt zu bringen. Um Geschäftskunden zu gewinnen, muss Nokia das Wissen eines IT-Dienstleisters mitbringen, der die Geschäftsprozesse in Unternehmen versteht“, sagt Neil Strother, Analyst bei der amerikanischen Unternehmensberatung In-Stat/MDR.
Der Einstieg in die IT-Welt mit den Smartphones ist für Nokia auch eine Imagefrage. Gelingt den Finnen der Spagat, eine Hip-Marke bei Kids und Jugendlichen zu sein und zugleich bei den Führungskräften globaler Konzerne Erfolg zu haben? „Wer in diesem Markt ganz oben bestehen will, braucht die Elite“, sagt Analyst Strother. „Und da wird die Luft für Nokia ziemlich dünn.“
ANGELA HENNERSDORF |