WirtschaftsWoche - Technologie Letzter Weckruf für Nokia Dienstag 20. April 2004, 08:30 Uhr Aktienkurse Motorola Inc MOT 16.22 -0.48 Nokia Oyj Siemens AG 723610.DE 63.36 +0.26 Telecom Italia Mobil... TIM.MI 4.7500 -0.0200 Vodafone Group PLC VOD.L 136.25 -1.00
Jetzt rächt sich Nokias Alleingang gegen die mächtigen Mobilfunkbetreiber.
Diese Gelegenheit ließ sich keiner der vier Chefs der führenden europäischen Mobilfunkkonzerne entgehen. Stolz präsentierte T-Mobile-Chef Rene Obermann gemeinsam mit den Spitzenmanagern von TIM (Mailand: TIM.MI - Nachrichten) aus Italien, Orange aus England und Telefónica aus Spanien Ende vergangenen Monats im Great Eastern Hotel in London der Analystengemeinde das neue Bündnis Freemove. Anzeige Ab sofort vermarkten die vier unter der neuen Dachmarke gemeinsam Handyangebote für ihre weltweit über 230 Millionen Kunden. Der Zusammenschluss bringt vor allem eins: günstigere Preise beim Einkauf von Handys, „um bis zu zehn Prozent“, sagt TIM-Chef Marco De Benedetti. Sechs Millionen Handys sind bereits bestellt – bei Siemens (Xetra: 723610.DE - Nachrichten - Forum) und Motorola (NYSE: MOT - Nachrichten) . Weltmarktführer Nokia ist nicht bei den Lieferanten. „Andere liegen mehr im Trend, und dort können wir unsere Wünsche bei der Ausstattung der Handys besser durchsetzen“, sagt De Benedetti.
Das ist wie ein Schlag ins Gesicht für Nokia (Helsinki: Nachrichten) -Chef Jorma Ollila. Jahrelang diktierte der Konzern aus dem hohen Norden das Geschehen auf dem weltweiten Handymarkt. Trends im Design oder bei technischen Neuheiten setzten die Finnen, die Konkurrenz kopierte, für die Mobilfunkfirmen war Nokia immer die erste Wahl.
Doch die Macht der Finnen bröckelt. Marktanteile und Umsatz sinken. Der Umsatz im ersten Quartal sank um zwei Prozent auf 6,6 Milliarden Euro. Und das, obwohl der Markt insgesamt von Januar bis März um 25 Prozent gewachsen ist. Die Finnen legten nur um 19 Prozent zu. Das gab’s noch nie bei Nokia. Prompt verlor die Aktie annähernd ein Fünftel ihres Wertes.
Konkurrenz unterschätzt
Die beiden US-amerikanischen Anwaltskanzleien Milberg Weiss Bershad Hynes & Lerach und Schiffrin & Barroway reichten Klagen gegen den Handygiganten ein. In den ersten drei Monaten hätte Nokia die Geschäftslage falsch dargestellt, so ihr Vorwurf. Tatsächlich blickte Konzernchef Ollila Anfang des Jahres noch optimistisch in die Zukunft, prophezeite ein Umsatzplus zwischen drei und sieben Prozent, erhöhte die Gewinnprognose deutlich und löste damit einen zweistelligen Anstieg des Aktienkurses aus. In der vergangenen Woche überraschte Konzernchef Ollila mit einer Umsatzwarnung.
Zu lange haben die Finnen vor allem die Konkurrenz aus Asien unterschätzt. Während Hersteller wie das südkoreanische Konglomerat Samsung oder das japanisch-schwedische Gemeinschaftsunternehmen SonyEricsson mit schicken, kleinen, am liebsten silbern glänzenden Klapphandys aufwarten, setzen die Finnen auf ihre bewährten „Candybars“. Die hinken auch noch technisch hinterher. Gestochen scharfe Farbdisplays, hochauflösende digitale Kameras, Videotelefonie inklusive UMTS für die schnellen neuen mobilen Multimedianetze – die technischen Trends setzen die Asiaten, die immer näher an Nokia heranrücken. Samsung rangiert hinter Nokia und Motorola mittlerweile bereits auf Platz drei. Die ebenfalls südkoreanische LG Electronics belegt weltweit hinter Siemens schon den sechsten Platz.
Jetzt rächt sich Ollilas Alleingang gegen die Mobilfunkbetreiber. Die Finnen haben sich bisher heftig dagegen gesträubt, dass ihr Name auf den Geräten von Vodafone (London: VOD.L - Nachrichten) oder T-Mobile in den Hintergrund gedrängt wird. Auf den Produkten aus dem Hause SonyEricsson, Motorola oder Samsung prangt dagegen das Logo der Mobilfunkbetreiber. Außerdem leitet auf den Handys der Konkurrenz immer häufiger eine Taste auf dem Display direkt ins Handy-Portal der Anbieter.
Vom Netzbetreiber so voreingestellte Mobiletelefone sollen die Nutzung mobiler Datendienste und damit den Umsatz vorantreiben. „Der Trend zu maßgeschneiderten Produkten wird immer stärker, und davon profitieren wir“, sagt Motorola-Vertriebschef Carsten Schmidt. Doch statt mit den Netzbetreibern gemeinsame Sache zu machen und mit neuen Produkten die Konkurrenz auf Distanz zu halten, haben sich die Finnen bei der Eroberung völlig neuer Märkte verzettelt.
Anssi Vanjoki, seit Anfang des Jahres Chef der neu gegründeten Multimediasparte, setzt vor allem auf die Erweiterung des Mobiltelefongeschäfts mit tragbaren Spielekonsolen. Dreistellige Millionenbeträge investierte er in die Entwicklung und Vermarktung des neuen Nokia-Spielehandys N-Gage – ohne durchschlagenden Erfolg. Nicht einmal die drastische Preissenkung in den vergangenen Wochen kurbelte den Verkauf an. „Wir haben nicht richtig erklärt, was wir mit dem N-Gage eigentlich wollen“, gibt Nokia-Manager Mads Winblad zu.
Zerrüttete Beziehung
Seit der Umstrukturierung des Konzerns im Herbst vergangenen Jahres in neue kleinere Einheiten sind die Finnen vor allem damit beschäftigt, sich selbst zu finden. Gut die Hälfte der gesamten Mannschaft hat seitdem einen neuen Job im Konzern – auch im Vorstand sind Positionen neu besetzt worden. „Intern kämpft da momentan jeder gegen jeden, und vor allem das Gerangel um die beste Position im Rennen um Ollilas Nachfolge, dessen Vertrag 2006 ausläuft, ist bereits in vollem Gange“, sagt ein Nokia-Manager. Das lähmt die bisher so schlagkräftige finnische Truppe.
Nicht nur den N-Gage-Flop muss der 47-jährige Spitzenmanager Vanjoki auf seine Kappe nehmen. Er verschlief auch den Trend zu den so genannten Klapphandys. Vanjokis Chancen auf die Ollila-Nachfolge dürften damit gesunken sein.
Die Hoffnungen ruhen nun auf Olli-Peka Kallasvuo, dem Exfinanzchef, der aber seit Anfang des Jahres für die Handys zuständig ist. Er muss so schnell wie möglich mit attraktiven Mobiltelefonen im mittleren Preissegment auf den Markt kommen.
Konzernchef Ollila versucht derweil mit all seinem finnischen Charme die zerrüttete Beziehung zu den Netzbetreibern zu kitten. Auf der weltgrößten Mobilfunkmesse im südfranzösischen Cannes Ende Februar lud er Vodafone-Chef Arun Sarin aufs Nokia-Podium und beschwor die gemeinsame Partnerschaft mit „meinem Freund Sarin“. Schmusekurs ist auch bei der Vodafone-Konkurrenz aus Bonn angesagt.
Auf der Cebit in Hannover Mitte März lobte Ollila auf der Pressekonferenz von T-Mobile die gute Zusammenarbeit mit den Bonnern. T-Mobile-Chef Obermann sicherte der Nokia-Chef „volle Unterstützung bei der Einführung mobiler Multimediadienste zu“.
Ob das reicht, um verlorenes Terrain wieder gutzumachen? Mit 35 Prozent ist Nokia immer noch weltweiter Marktführer. Ollila hat für dieses Jahr 40 weitere Modelle angekündigt, das erste Klapphandy ist auf dem Markt. „Die Finnen lernen schnell aus Fehlern“, sagt IDC-Analyst Lars Vestergaard. „Dass das neue Handybündnis Freemove bevorzugt bei der Konkurrenz bestellt, hat wie ein letzter Weckruf bei den Finnen eingeschlagen.“ http://de.biz.yahoo.com/040420/318/3zpmd.html
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