Berlin Der Anti-Geldwäsche-Einheit des Zolls liegen Dutzende Verdachtsmeldungen gegen Mitglieder der Wirecard -Führungsriege vor. In den vergangenen eineinhalb Jahren hat die Financial Intelligence Unit (FIU) 36 Geldwäscheanzeigen gegen Vorstände und Aufsichtsräte des Konzerns erhalten. Das geht aus einer Antwort des Bundesfinanzministeriums auf eine Anfrage des Grünen-Abgeordneten Danyal Bayaz hervor. Das Schreiben liegt dem Handelsblatt vor. Bisher war lediglich bekannt, dass die FIU 97 Verdachtsmeldungen identifiziert hat, die in einem möglichen Zusammenhang mit Vorwürfen gegen den Konzern stehen könnten. Die hohe Anzahl an Geldwäscheanzeigen gegen die Spitzenvertreter des Unternehmens wurde nun erstmals in dem Schreiben des Finanzministeriums genannt. Die FIU hat mit der Finanzaufsicht Bafin eine Taskforce gegründet, um Hinweisen auf Geldwäsche bei Wirecard nachzugehen. Die FIU wurde in den vergangenen Jahren immer wieder dafür kritisiert, sie bearbeite die Verdachtsmeldungen zu langsam, die sie unter anderem von Banken und Notaren erhält. Die Spezialeinheit des Zolls ermittelt selbst nicht, sondern sichtet die Hinweise, prüft sie und gibt die stichhaltigen Meldungen an die Strafverfolgungsbehörden wie Landeskriminalämter weiter. Auch bei den Geldwäscheanzeigen gegen das Wirecard-Topmanagement dauerte die Weitergabe an die Strafverfolgungsbehörden mitunter lange. Das geht ebenfalls aus dem Schreiben von Finanzstaatssekretärin Sarah Ryglewski hervor. So wurde eine Meldung, die am 7. Februar 2019 bei der FIU einging, erst zwei Wochen später an die Strafermittlungsbehörden weitergegeben. Eine Meldung, die am 12. Juni bei der FIU eintraf, blieb sogar über einen Monat liegen und wurde erst am 27. Juli weitergereicht. Entweder ist die FIU überfordert, oder sie haben den Ernst der Lage nicht erkannt“, sagte Grünen-Finanzexperte Danyal Bayaz. Mitunter brauche die Behörde Wochen für die Bearbeitung von Geldwäscheverdachtsmeldungen. „Auch die betreffenden Anzeigen der Vorstände oder Aufsichtsratsmitglieder der Wirecard AG stellen dabei keine Ausnahme dar“, sagte Bayaz. Mehr als 50 Hinweise der FIU Seit Bekanntwerden des Wirecard-Skandals untersucht die beim Zoll angesiedelte Spezialeinheit die bei ihr aufgelaufenen Verdachtsmeldungen aus den Jahren 2017 bis 2020 noch einmal. Der zu prüfende Katalog sei dabei auf „Straftaten wie Bilanzfälschung, Betrug, Untreue, Marktmanipulation sowie Insiderhandel“ erweitert worden, heißt es bei der FIU. Mittlerweile hat sie 97 Meldungen identifiziert, die im Zusammenhangen mit Vorwürfen gegen Wirecard stehen könnten. Mehr als 50 Hinweise soll die FIU an die Strafermittlungsbehörden weitergereicht haben. Das bayerische Landeskriminalamt wollte sich bisher nicht äußern, wie viele Hinweise es von der FIU erhalten hat, und verweist auf die für den Wirecard-Fall zuständige Staatsanwaltschaft München. Die teilte mit, bei ihr seien „allenfalls zwei bis drei“ Meldungen der FIU im Zusammenhang mit Vorwürfen gegen Wirecard eingegangen. Das dürfte sich allerdings noch ändern. Auffällig ist: Der Großteil der 36 Geldwäscheanzeigen gegen die Wirecard-Spitze ging bei der FIU erst ein, nachdem Wirecard im Juni Luftbuchungen über 1,9 Milliarden Euro in der Bilanz zugegeben hatte. Fast die Hälfte der Hinweise wird nach der Übersicht des Finanzministeriums derzeit noch von der Zoll-Einheit bearbeitet. Die Probleme bei der FIU hat Bundesfinanzminister Olaf Scholz (SPD) von seinem Vorgänger geerbt. Im Jahr 2017 wurde die Einheit vom Bundeskriminalamt zum Zoll verschoben. Gerade am Anfang der Umorganisation gab es chaotische Zustände. Zuletzt hatten Finanzministerium und FIU aber betont, die Probleme seien behoben. „Geldwäsche muss effektiver verfolgt werden“ Die Opposition sieht das anders – und fühlt sich durch die Vorgänge bei Wirecard bestätigt. „Geldwäsche muss in der Bundesrepublik effektiver verfolgt, bekämpft und geahndet werden“, fordert Grünen-Finanzpolitiker Bayaz. Eine Neustrukturierung der FIU sei daher überfällig. Finanzminister Scholz schaffe es offensichtlich nicht, „seine Behörde so aufzustellen, dass sie effizient arbeitet“, kritisierte Bayaz. FIU-Chef Christof Schulte soll bei der kommenden Sondersitzung des Finanzausschusses zum Wirecard-Skandal Stellung nehmen. Im vergangenen Jahr hat die FIU mit fast 115.000 eingegangenen Verdachtsmeldungen einen Rekord aufgestellt. Das waren rund 37.500 mehr Verdachtsmeldungen als im Jahr 2018. „Die Aufmerksamkeit der Verpflichteten zur Identifizierung auffälliger Sachverhalte im Zusammenhang mit möglicher Geldwäsche und Terrorismusfinanzierung wächst spürbar an“, sagte FIU-Chef Schulte zu den gestiegenen Zahlen. Der überwiegende Teil der Anzeigen kommt mit 98 Prozent aus der Finanzbranche. Zudem müssen auch Notare, Immobilienmakler oder Veranstalter von Glücksspielen Verdachtsfälle melden. Hier wünscht sich der FIU-Chef noch mehr Aufmerksamkeit. Angesichts der Geldwäscherisiken in diesen Bereichen empfinde er die Zahl der Meldungen „noch als nicht ausreichend“, so Schulte. Mehr: Auch die Grünen tendieren zu einem Wirecard-Untersuchungsausschuss. |