Handelsblatt.com - Unternehmen / Industrie China-Pläne der Chemie bergen Risiken Dienstag 13. April 2004, 06:47 Uhr
DÜSSELDORF. „In der chinesischen Chemieindustrie stehen attraktiven Chancen bedeutende Risiken gegenüber“, meint Chemieexperte Sven-Uwe Vallerien, Mitglied der Geschäftsleitung der Unternehmensberatung AT Kearney. Denn im Rahmen des bis 2005 laufenden Fünfjahresplans strebe China nicht nur die Autarkie in der Versogung mit Chemieprodukten an, was ohne Beteiligung der großen westlichen Chemiekonzerne illusorisch ist. Die überwiegend staatliche Chemie, nach Berechnungen des deutschen Branchenverbandes VCI die viertgrößte der Welt knapp hinter Deutschland, ist vielmehr auch angehalten, durch Exporte Devisen in die Staatskasse zu bringen - und das geht vielfach nur auf Kosten der westlichen Chemiekonzerne, die gerade die Chemie des Landes modernisieren.
China ist derzeit mit weitem Abstand die Nummer eins im Foreign Direct Investment Confidence Index, der laufend von der Unternehmensberatung AT Kearney erhoben wird. Das Land, in dem die Politik ungeachtet der Gesetzeslage jederzeit die Rahmenbedingungen für Investments im allgemeinen oder für einzelne Projekte ändern kann, rangiert dabei mit wachsendem Vorsprung vor den USA, die in früheren Jahren die meisten Direktinvestitionen angelockt hatten.
So ist die Chemie neben der Automobilindustrie derzeit der Schwerpunkt ausländischer Direktinvestoren in China. Deutsche Konzerne liegen dabei nach Berechnungen der Unternehmensberatung Frost & Sullivan vorne: BASFwill bis 2005 knapp 6,5 Mrd. $ in chinesische Produktionsanlagen gesteckt haben, bei Bayer (Xetra: 575200.DE - Nachrichten - Forum) sind es derzeit fast 3,5 Mrd. $. Mit weitem Abstand folgen die US-Konzerne Dow Chemical (1,1 Mrd. $) und Dupont (700 Mill. $).
Dabei stoßen Großinvestitionen wie der 3-Mrd-$-Deal von BASF (Xetra: 515100.DE - Nachrichten - Forum) und Jangzi Petrochemicals zum Aufbau eines riesigen Polyolefinstandorts sowie vergleichbare Projekte von Dow (^DJI - Nachrichten) , Shell, BP (London: BP.L - Nachrichten) und Exxon absehbar auf Probleme: Zwar ersetzen sie chinesische Petrochemieanlagen, die ineffizient, veraltet und viel zu klein sind, wie es dert Leiter des Frost-Büros in Shanghai, Neil Wang berichtet. Doch an Petrochemieanlagen herrscht in der Welt kein Mangel. Sobald Chinas Polyolefin-Bedarf gedeckt ist, droht den teuren Anlagen Unterauslastung, wenn sie nicht mit Werken zur Weiterverarbeitung vorwärts integriert sind.
Darauf hin zielen die Investments vor allem von BASF, Bayer und Dow. Doch sind die westlichen Chemiekonzerne in China nicht außer Konkurrenz. Zwar ist die Branche in dem Riesenreich mit 12 500 vorwiegend lokalen, kapitalschwachen Kleinunternehmen stark zersplittert, wie Frost-Berater Wang erläutert. Viele Betriebe würden zudem vom Konkurrenzdruck durch die Marktöffnung im Zuge des WTO-Beitritts sehr belastet.
Doch forciert die Zentralregierung Zusammenschlüsse. Gegen Bedenken der Managements erzwang Peking Ende 2003 die Fusion der nordchinesischen Chemiekonzerne Blue Star und Haohua zur China United Chemical Industrial Corp (Cucic). Und der Vertreter eines deutschen Chemiekonzerns in China erwartet, dass bald auch im Süden des Landes ein Spezialchemiekonzern mit kritischer Masse für den Weltmarkt gegründet wird.
Die Cucic vereint nach neueren Zahlen umgerechnet 3,6 Mrd. $ Umsatz auf sich. Bereinigt um den Anteil des unter Weltmarktpreisen abgewickelten Inlandsabsatzes rangiert der in Branchenkreisen weiter Blue Star genannte Konzern in einer Liga mit Gruppen wie ICI (London: ICI.L - Nachrichten) , Clariant (Virt-X: CLN.VX - Nachrichten) oder Great Lakes.
Bei ihrer Strategie ist die Gruppe nicht wählerisch: Sie kooperiert mit Crompton (NYSE: CK - Nachrichten) . Zugleich nimmt sie Bayers Spitzenposition beim CD- und DVD-Kunststoff Polycarbonat ins Visier, dessen Vorprodukt Bisphenol A zu den Stärken in ihrem Portfolio zählt. Insgesamt 500 Mill. $ investiert Blue Star am Stammsitz im zentralchinesischen Lanzhou. Dort entstehen sieben neue Werke rund um eine Anlage zur Produktion von 50 000 Tonnen Polycarbonat im Jahr. Einen kleineren Bisphenol- und Polycarbonatkomplex baut der Konzern in Wuxi. Das Know-how erwarb die Firma als Generalunternehmer für Chiyoda und Mitsubishi.
Eine gute Ausgangsposition in der Konkurrenz zu West-Chemie haben Wang zufolge auch die kleineren integrierten Chemiekonzerne Jilin Chemical und Shanghai Chemical. Andere Beobachter messen auch Zheijang Nice Chemical und Am Way China ein gesundes Stehvermögen bei - zumindest gehören auch sie zu den größeren Chemiegruppen in China.
Viele von diesen machen Europas Spezialchemie zunehmend mit Exporten zu Dumpingpreisen zu schaffen „Die suchen sich Produktgruppen mit beherrschbarem Know-how und wenigen Anbietern und stoßen dann mit bis zu 40 % Preisvorteil in diese Märkte vor“, ärgert sich der Chef eines Chemiekonzerns, dessen Margen durch Chinas Chemie-Guerilla mächtig unter Druck stehen. „Wenn wir da nichts tun, stellen uns die Chinesen binnen zehn Jahren die Hälfte unserer Fabriken ab.“
Möglich macht das nicht nur das niedrige Lohnniveau - ein chinesischer Chemiebeschäftigter arbeitet für 4 % des in Europa üblichen Lohns. Auch kosten neue Anlagen nach dem Stand der Technik in China Vallerien nur ein Viertel so viel wie in Europa. Dazu kommt die krasse Unterbewertung der Landeswährung Renminbi Yuan.
So haben chinesische Anbieter, nachdem sie in den letzten Jahren Kapazität und Qualität verbessert hatten, inzwischen große Teile der Vitamin-C-Weltproduktion unter Kontrolle gebracht. Das bedroht die Position etwa von DSM NV (Amsterdam: DSMN.AS - Nachrichten) , die 2003 mit dem Zukauf der Roche-Vitaminsparte in massiv in dieses Feld expandiert hat.
Gerade Chinas Spezialchemie wird bald noch stärker werden. Denn der nächste Fünfjahresplan sieht bis 2010 die massive Förderung der weiterverarbeitenden Chemie vor, wie Vallerien bemerkt. Doch wie in der Grundchemie suchen die Chinesen auch in der Spezialchemie Partner, so dass sich für westliche Konzerne Gelegenheiten zum Markteinstieg ergeben.
Vorreiter sind dabei Konzerne wie Degussa (Xetra: 542190.DE - Nachrichten - Forum) und Rhodia (Paris: FR0000120131 - Nachrichten) , die mit einem Mitteleinsatz von jeweils weniger als 100 Mill. $ inzwischen jeder rund ein Dutzend Joint Ventures in China gergründet haben. Degussa misst dem China-Engagement strategische Bedeutung bei - viele Abnehmerindustrien von der Turnschuherstellung bis zum Automobilbau expandieren in China. Und bei der krisengeschüttelten Rhodia gelten die China-Investments sogar als Trumpfkarte im Überklebenskampf.
Die Risiken von Joint Ventures sind, wenn sie angemessen gemanagt werden, beherrschbar, schätzt man bei Frost & Sullivan. Weil Chinas Regierung dem Aufbau der Chemischen Industrie hohe Bedeutung beimesse, sei die Gefahr gering, mit Projekten schnell zu scheitern. „Die chinesischen Partner“, sagt Berater Wang, „wollen den Erfolg und schaffen die Bedingungen dafür.“
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