Kolumne „Es tut mir leid, aber“ Monofunktionaler Plastikmüll zu Centbeträgen: Das dubiose Geschäftsmodell von Temu Eine Kolumne von Julia Falkenbach 05.09.2023, 11:00 Uhr
Keine App wird derzeit so häufig heruntergeladen, wie die des chinesischen Online-Marktplatzes Temu. Ihr Erfolg ist ein Zeichen unserer Wohlstandsverwahrlosung.
Wollten Sie nicht schon immer einmal eine Fensterrahmenschienenreinigungsbürste haben? Gibt’s für gerade mal 1,97 Euro. Oder hätten Sie lieber die Bartstoppelschürze für 1,98 Euro? Oder würden Sie wie schon 9700 andere Kunden vor Ihnen den abziehbaren Flüssig-Lippenstift für 89 Cent erstehen? Und einen Ringgrößen-Messer wollten Sie doch bestimmt auch schon immer haben, oder? Kostet nur 47 Cent.
Doch wen interessieren schon dubiose Geschäftspraktiken wie die fehlerhaft angegebene Umsatz-Steuer-ID (natürlich im EU-Steuerparadies Irland), das Fehlen eines deutschsprachigen Kundenservices oder derartig aufwendige und kostspielige Retouren, die Wegschmeißen günstiger machen als Umtauschen? Die wachsende Temu-Kundschaft scheinbar nicht. Die Temu-App war der Website „Appfigures“ zufolge Mitte August die am häufigsten heruntergeladene Gratis-App bei Google Play und im Apple-Store in Deutschland.
Dass Elektrogeräte zum Preis eines Coffee to go anfällig für gefährliche Mängel sind, ist dabei ebenso wenig überrascht wie das „extrem hohe Risiko“, dass die Produkte in Zwangsarbeit hergestellt wurden. Letzteres legt der Bericht eines vom US-Repräsentantenhaus eingesetzten Komitees nahe. Und warum eine Shopping-App Zugriff auf Kamera, Mikrofon, Fotos und das Adressbuch verlangt, wie kürzlich von der Verbraucherzentrale Rheinland-Pfalz kritisiert, bleibt ebenfalls unklar.
Klar ist dagegen die Mission von Temu: „Shoppen wie Milliardäre”, verspricht die App. Bei den Kleckerbeträgen kann man schließlich schon mit Taschengeldbudget eine Menge Kram bestellen – und damit auf Social Medial haufenweise Likes kassieren. Dafür muss man sich lediglich dabei filmen, wie man tüten- oder gar kistenweise Bestellungen öffnet und dabei euphorisch nach Luft schnappt. Solche „Hauls“ werden tausende Male geklickt – und nachgeshoppt. Denn für den maßlosen Überkonsum (20 Produkte dürfen es gerne mal pro Video sein) gibt es in den Kommentarspalten keine Schelte, sondern Daumen hoch, neidvolles Lob und die Bitte, die Produktnummern zu nennen (ohne die wäre es unmöglich, bei Temu ein Produkt wiederzufinden). Dass diese Strategie aufgeht, beweist der Ultra-Fast-Fashion-Konzern Shein seit mehreren Jahren: Keine Werbung für Billigprodukte scheint so gut zu funktionieren wie jene, die Teenager unentgeltlich im Kinderzimmer produzieren.
Den Rest des Beitrags "wollte " ariva "leider" nicht publizieren, wg . unerwünschter Sonderzeichen,ich hab' keine entdeckt... |