4,8 % Weltwirtschaftwachstum 2008 sind ein Pfund. Da können sich die Bären die Finger wund posten, Aktien werden weiter steigen. Immo-Hysterie und Crashangst kommen nur recht, so steht es im Bullenlehrbuch.
Hier ein lesenswerter Artikel aus Focus-Money 44/07 u.a. mit Meinungen von Gottfried Heller, Felix Zulauf, Martin Hüfner
Erst seit eineinhalb Jahren ist Ben Bernanke Chef der Federal Reserve. Doch für viele am Markt scheinen seine Urteile bereits Gesetz zu sein. Jüngster Beweis: Anfang vergangener Woche warnte der US-Notenbankchef Anleger vor allzu viel Optimismus. "Seit den Verwerfungen Mitte August zeigen die Finanzmärkte Anzeichen der Besserung, aber die vollständige Genesung wird noch Zeit brauchen", sagte Bernanke vor dem New Yorker Wirtschaftsclub. Sogar neue Rückschläge seien möglich, fügte der Chef-Geldpolitiker hinzu.
Direkte Folge seines Kommentars: Rund um den Globus ging den Börsen die Luft aus. Mit wenigen Worten stoppte Bernanke die rasche Erholung der Aktienmärkte - vorerst. Denn selbst wenn es in den nächsten Wochen nochmals zu Verwerfungen am Markt kommen sollte, auf längere Sicht sprechen zahlreiche gute Argumente für einen anhaltenden Börsenaufschwung.
"Es wird noch Horrormeldungen geben. Doch spätestens 2008 geht die Hausse weiter", urteilt Gottfried Heller, Chef der Fiduka Vermögensverwaltung. "Eine lange Schlechtwetterperiode ist nicht zu befürchten. Auch nach den Einbrüchen 1987 und 1998 war die Stimmung schlecht, doch im Nachhinein waren es gute Einstiegspunkte", erinnert sich der Marktkenner mit mehr als 30 Jahren Börsenpraxis. Mit seinem optimistischen Ausblick für die nächsten Börsenjahre ist Heller nicht allein.
Gewaltige Gewinne. "Krisen oder Unfälle im Finanzsystem bereiten so gut wie immer die Bühne für spektakuläre Kursgewinne in den folgenden Monaten oder Jahren", sagt Chen Zhao, Chefanalyst der angesehenen BCA-Research. "Bis 2010 werden wir massive Kurssteigerungen sehen. Am Ende des Jahrzehnts stehen die Weltbörsen deutlich höher", prophezeit auch der renommierte Schweizer Geldmanager Felix Zulauf.
Die Hausse spielen Anleger etwa mit Spezialwerten aus Europas Industrie. Denn der Hauptgrund für Zulaufs Optimismus ist der langfristige Konjunkturzyklus. "Die Weltwirtschaft erleidet etwa alle zehn Jahre eine Rezession", erklärt Zulauf. Ursache sei meist eine Vollbremsung der Wachstumslokomotive USA. Nach Zulaufs Regel steht der nächste Rückschlag frühestens 2011 an. Weil die US-Wirtschaft jedoch schon jetzt schwächelt, fürchten ängstliche Gemüter, dass der Boom diesmal früher endet.
Ein Blick in die jüngsten Gutachten führender Wirtschaftsforscher rückt die Perspektive zurecht. Zwar erwarten fast alle Experten, dass die US-Wirtschaft 2008 nur noch um mickrige 1,9 Prozent wächst, doch von einer Rezession kann keine Rede sein. Auch dramatische Auswirkungen auf den Rest der Welt sind nicht zu befürchten. Nach Einschätzung des Internationalen Währungsfonds (IWF) wächst die Weltwirtschaft 2008 zwar schwächer als bislang erwartet, aber immer noch um gesunde 4,8 Prozent. "Europa und die meisten Schwellenländer haben sich von den USA inzwischen weitgehend abgekoppelt", erläutert Martin Hüfner, ehemaliger Chefvolkswirt der HypoVereinsbank. Früher bekam Europa eine Lungenentzündung, wenn sich die USA einen Schnupfen holten, erinnert sich Hüfner. Heute bekäme Europa, selbst wenn die US-Wirtschaft ins Krankenhaus müsste, allenfalls einen Schnupfen.
Starkes China. Der Grund: Nur noch 14 Prozent der europäischen Exporte gehen in die USA, 20 Prozent dagegen nach Asien, und mehr als die Hälfte ihres Auslandsgeschäfts machen die Europäer untereinander. Ähnliches gilt für die stark wachsenden Schwellenländer. So exportiert etwa China in seine asiatischen Nachbarländer mehr als doppelt so viel wie nach Nordamerika. Zudem verbuchen die Asiaten auch in ihren Heimatmärkten immer mehr Erfolge, berichten die Volkswirte der US-Investmentbank Goldman Sachs. "Das größere Gewicht des inländischen Konsums, besonders in Asien, dürfte sich als stabile Basis für künftiges Wachstum der Weltwirtschaft erweisen", resümieren die Experten.
Die angenehme Konsequenz: Auch 2008 bleibt das Wachstum in Asien hoch. So prognostiziert der IWF, dass Chinas Wirtschaft auch im kommenden Jahr um zehn Prozent zulegt. Indien werde mit 8,4 Prozent und Russland mit 6,5 Prozent wachsen. Bei solchen Raten können die reifen Volkswirtschaften Europas natürlich nicht mithalten. Dennoch werden Deutschland und Westeuropa mit plus zwei bzw. 2,1 Prozent Wachstum 2008 erneut mehr Schub entwickeln als der bisherige Wachstumsmotor USA.
Gut möglich, dass die Weltwirtschaft in den kommenden zwei bis drei Jahren sogar noch stärker expandiert als bisher. Das zumindest legt eine These des französischen Konjunkturexperten Philippe Sigogne nahe. Der Volkswirt der Pariser BFT-Bank vergleicht den jüngsten Kursschock ebenfalls mit den Einbrüchen 1987 und 1998. Wie heute knickten auch damals nach den Börsen die konjunkturellen Stimmungsindikatoren ein - worauf die Notenbanken sofort mit Zinssenkungen antworteten.
Neuer Schub. Prompt folgte auf die Krise der zweite Teil des Konjunkturaufschwungs - inklusive prächtiger Gewinne an den Aktienbörsen. Das war kein Zufall, sondern das gleiche konjunkturzyklische Muster, argumentiert Sigogne. In der ersten Auf schwungphase seien die Zinsen meist so niedrig, dass Finanzinvestoren ihr Geld immer riskanter anlegen. Steigen dann bei anhaltendem Wirtschaftswachstum die Zinsen, kommt es nach ein paar Jahren zur Auslese: Die Investoren trennen sich von den allzu riskanten Anlagen und konzentrieren sich auf solidere Investitionen. Unternehmen mit guten Perspektiven kommen dann sogar leichter an frisches Geld. Deshalb ziehen im zweiten Teil des Aufschwungs die realen Investitionen kräftig an und der Boom gewinnt noch mehr Fahrt.
In diesem Jahr könnte der Trick wieder funktionieren. Zumindest in den USA gelten unter Experten weitere Zinssenkungen als ausgemacht. "Innerhalb der nächsten sechs bis neun Monate wird die Zentralbank die Zinsen noch einmal um einen Prozentpunkt reduzieren", prophezeit Bill Gross, Manager des mehr als 100 Milliarden Dollar schweren Anleihenfonds Pimco Total Return. Bereits im vergangenen Jahr hatte der US-Zinspapst die jüngste Zinssenkung der Fed vorausgesagt.
"Die Fed hat genug Spielraum für Zinssenkungen", urteilt auch Börsenveteran Heller. Schließlich seien nicht nur die kurzfristigen US-Sätze noch immer relativ hoch. Zugleich dürfte sich angesichts der schwächelnden USWirtschaft auch der Inflationsdruck abschwächen.
Identische Muster. Historische Erfahrungen sprechen ebenfalls für eneute Zinssenkungen. "Seit dem Ende des Zweiten Weltkriegs folgte auf jede Finanzkrise und auf jede geplatzte Investmentblase ein Rückgang der Inflation oder sogar eine Phase sinkender Preise", berichtet BCA-Analyst Zhao. Bemerkenswert: Die Rückgänge ergaben sich unabhängig davon, ob die entsprechende Zentralbank die Zinsen senkte oder nicht.
Um die auch heute in den USA möglicherweise drohende Deflation und Rezession frühzeitig zu bekämpfen, dürfte sich die Fed deshalb sicherheitshalber gleich für Zinssenkungen entscheiden. Fed-Chef Bernanke verschaffte sich vergangene Woche vorsorglich schon einmal Freiraum für kommende Manöver und attestierte eine günstige Entwicklung an der Inflationsfront.
Sinkende Zinsen - das war noch immer ein wirksames Stärkungsmittel für die Aktienkurse. Nicht nur, weil sich Unternehmen preiswerter Kapital beschaffen können, sondern vor allem, weil Zinspapiere als Konkurrenten der Aktien an Attraktivität verlieren. "Die Anlagealternativen zu Aktien werden immer weniger", analysiert Eberhardt Weinberger, Vorstand der Dr. Jens Ehrhardt Kapital AG. Ganz besonders gilt dies für europäische Aktien, die heute noch immer fast so preiswert sind wie während des letzten großen Ausverkaufs im Frühjahr 2003.
Unheimlich günstig. So liegt das Kurs-Gewinn-Verhältnis des Dax-Index derzeit auf Basis der für 2008 geschätzten Gewinne bei 12,7. Aktien im Euro-Stoxx-50 sind mit einem KGV von 11,8 sogar noch niedriger bewertet. Umgerechnet entspricht dies einer Aktienrendite von 7,9 respektive 8,5 Prozent. Europäische Unternehmensanleihen kommen derzeit nur auf rund fünf Prozent Rendite. "Aktien sind günstig, Anleihen, Immobilien und Rohstoffe dagegen teuer", resümiert Heller.
Die unverändert niedrige Bewertung der Aktien signalisiert: Die Kursgewinne seit 2003 waren eine direkte Antwort der Börse auf die kräftig steigenden Gewinne der Unternehmen. Künftig könnten jedoch die Kurse noch schneller klettern als die Unternehmensgewinne. Dafür spricht eine Analyse von BCA-Research. Danach kam es am US-Aktienmarkt seit 1980 immer dann zu einer höheren Bewertung der Aktien, wenn die Zentralbank die Zinsen senkte. In der jetzt begonnenen Zinssenkungsphase werde sich dieser Prozess wiederholen, sagen die Analysten voraus. "Die Ausweitung der Bewertung hat gerade erst begonnen und wird noch eine Weile anhalten", verspricht Zhao.
Doch sogar wenn die Bewertung so niedrig bleibt wie bislang, ist noch Luft nach oben. Grund: Die Unternehmensgewinne klettern weiter. So erwarten etwa die Analysten der Landesbank Baden-Würrttemberg für das laufende Jahr fast 17 Prozent höhere Unternehmensgewinne als im Vorjahr. In den Jahren 2008 und 2009 steigen die Gewinne nach Einschätzung der Experten nochmals um 6,9 bzw. 8,6 Prozent. ',Selbst unter Fortschreibung des aktuellen Bewertungsniveaus ergäbe sich aus den für 2008 von uns prognostizierten Gewinnzuwächsen der Unternehmen ein Dax-Potenzial von 8500 Punkten", schreiben die Experten vorsichtig in ihrer jüngsten Marktstudie.
Dax 10000. Weitet sich dagegen die Bewertung aus, rücken fünfstellige Dax-Niveaus ins Blickfeld. So würde schon ein Anstieg des KGVs auf den langfristigen Durchschnitt von 15,5 ein Indexniveau von mehr als 9000 Punkten rechtfertigen, berechnet auf Basis der für 2007 geschätzten Gewinne der Unternehmen. Erfolgt die Kalkulation auf Basis der für 2008 geschätzten Erträge, ergäbe sich ein fairer Dax-Stand von 9780 Punkten.
Doch trotz aller guten Argumente für eine Fortsetzung der Hausse - mancher Börsenstratege bleibt vorsichtig. "Noch im August funkten die meisten Stimmungsindikatoren Kaufsignale, jetzt befinden sich viele bereits wieder in der Gefahrenzone", berichtet DJE-Vorstand Weinberger. Mit anderen Worten: Befürchtete im August noch die Mehrzahl der Marktteilnehmer weitere Kursverluste, rechnet die Masse jetzt mit anhaltenden Gewinnen. Kurzfristig könne es deshalb nochmals krachen, warnt Weinberger, denn je größer der Börsen-Optimismus, desto wahrscheinlicher ein Rückschlag. Allerdings: Statt eines weiteren Einbruchs sei auch eine Seitwärtsbewegung denkbar.
Mutige Anleger verlassen sich dagegen weiterhin auf Fed-Chef Bernanke. Auch künftig werde die US-Notenbank schnell reagieren, um Finanzmärkte und Wirtschaft zu schützen, versprach Bernanke in New York. |