Die OECD hat ein Ei gelegt, und alle Welt hat es begackert. Das Ei sieht aus wie alle Eier, und das Gegacker ist danach. Die Hühner schlagen mit den Flügeln und fordern aufgeregt, was sie schon immer gefordert hatten. Nur eben jetzt mit dem erborgten Hinweis auf die Ergebnisse der OECD. Die aber nichts von dem hergeben, was ihnen angedichtet wird.
Die erste aufgeregte Stimme kommt von Edelgard Bulmahn. Sie will das herkömmliche, vielfach gegliederte Schulwesen hinter sich lassen und wiederholt ihren alten Wunsch nach der Einheitsschule. Dass sie die will, kann man mit Blick auf die Partei verstehen; dass sie sich dazu auf die OECD beruft, hingegen nicht, denn die gibt so etwas nicht her. Unter den Ländern mit Einheitsschulsystemen befinden sich ja nicht nur solche, die besser abschnitten als Deutschland, sondern auch sämtliche Verlierer.
Aussagekräftiger als der internationale ist der Vergleich von Bundesland zu Bundesland. Und bei dem liegen Länder wie Bayern und Baden-Württemberg an der Spitze, während Bremen, das Land, das kompromissloser als alle anderen auf die Einheitsschule gesetzt hatte, ganz weit hinten gelandet ist. Wenn sich die deutschen Bildungspolitiker nicht am Verlierer orientieren wollen, sollten sie dieses Ergebnis nicht vergessen. Aber wollen sie das überhaupt?
Der zweite Einwurf kommt von Eva-Maria Stange. Als Vorsitzende der Lehrergewerkschaft GEW muss sie mehr Unterricht verlangen; mehr Unterricht heißt ja mehr Lehrer, und mehr Lehrer lassen auf mehr Mitglieder hoffen. Auf die OECD-Studie hätte sie sich aber lieber nicht berufen, denn die weist aus, dass ausgerechnet Finnland, der Pisa-Sieger, seinen Schülern am wenigsten Unterrichtszeit abverlangt. Am wenigsten, wie gesagt, nicht am meisten.
An dritter Stelle folgt Angela Merkel. Sie will die Klassen kleiner machen. Das klingt vernünftig, ist es vielleicht auch, hat nur mit dem OECD-Bericht nichts zu tun. Wenn überhaupt etwas, lässt sich aus dem ja nur das Gegenteil erschließen. Länder wie Japan oder Korea, die uns hier zu Lande als Musterstaaten vorgehalten werden, zeichnen sich gerade nicht durch besonders kleine, sondern durch besonders große Klassen aus. In Korea kommen auf eine Klasse im Schnitt fast 40 Schüler, mehr als in jedem anderen Land.
Als vierte schließt sich Christa Sager von den Grünen an. Ihr liegt der Ausbau der Hochschulen am Herzen. Sie ist noch immer nicht über Georg Pichts naives Rechenexempel hinaus und glaubt wie er, an der Abiturienten- und Studentenquote den Bildungsstand eines Volkes ablesen zu können. Auch das natürlich mit Bezug auf die OECD-Studie, in der sich ja auch etwas über das Schweizer Beispiel findet - und damit über ein Land, in dem der umgekehrte Zusammenhang besteht. Die Schweizer zeichnen sich nämlich durch beides aus, durch ihr überdurchschnittlich hohes Wohlstandsniveau und den unterdurchschnittlichen Anteil der Bevölkerung, der eine Universität besucht.
Und schließlich macht sich Fritz Kuhn bemerkbar, ebenfalls von den Grünen. Er geht den leichten Weg und verlangt mehr Geld. Geld mag der Schlüssel sein zu vielem; zur Bildung ist er es wahrscheinlich nicht, zumindest dann nicht, wenn es um Geld aus öffentlichen Kassen geht. Ein Land wie Mexiko gibt den Großteil seines Staatshaushaltes für Bildungszwecke aus, vom Bruttoinlandsprodukt aber viel zu wenig. Wenn daraus überhaupt etwas zu folgern ist, dann nur, dass Bildung weniger vom öffentlichen Zuschuss lebt als vom Einsatz der Bürger. Die aber kommen in der Debatte, soweit sie von den Roten und den Grünen beherrscht wird, überhaupt nicht vor.
Nach solchen Vorsängern darf der publizistische Chor nicht länger schweigen. Weil er sich nicht vorstellen kann, dass Aussagen über den Bildungsstand eines Volkes mehr verlangen als den Vergleich von Zahlen, ruft er wieder einmal die Bildungskatastrophe aus. Zahlen beweisen wenig; meist dienen sie nur als Vorwand, die alte Leier endlos zu wiederholen. Man sollte das Geld, das den Vergleichsstudien zufließt, lieber zum Ausbau von Schulen verwenden, zur Anschaffung von Büchern und zur Bezahlung junger, engagierter Lehrer. Der Bildung würde das besser bekommen als weitere Aufträge an die OECD.
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