Christine Lagarde steht unter InflationsschockIn der Türkei sind die Verbraucherpreise im Januar um fast 50 Prozent im Jahresvergleich gestiegen. Viele Menschen können sich Lebensmittel, Strom, Benzin, Arzneien nicht mehr leisten. Die Türkei, lange ein Wirtschaftswunderland, verarmt. Staatspräsident Erdoğan, der glaubt, er könne die Fundamentalgesetze der Ökonomie außer Kraft setzen und Inflation mit künstlich niedrigen Zinsen bekämpfen, führt sein Land wirtschaftlich an den Abgrund. ...
Heute traf sich der Rat der EZB, um über die Lage zu reden. Man hätte denken können, dass auch gehandelt wird. Doch die EZB wirkt wie gelähmt; EZB-Chefin Christine Lagarde hat offenbar einen Inflationsschock. Der Leitzins bleibt bei null Prozent. An den milliardenschweren Anleihekäufen wird festgehalten. Nachdem Lagarde lange bestritten hat, dass es überhaupt ein Problem mit steigenden Preisen gebe, sucht sie noch nach einem Ausweg.
Wie ernst die Lage ist, hat die Vizechefin der Weltbank, Carmen Reinhart, jetzt meinem Kollegen Tim Bartz erklärt. Reinhart ist Expertin für Finanzkrisen und gehört zu den meistzitierten Wirtschaftswissenschaftlern der Welt. Sie glaubt, dass die Inflation zu einem Dauerproblem wird. Den Zentralbanken, auch der EZB, stellt sie ein vernichtendes Urteil aus. Hier einige Auszüge aus ihrem Interview: »Wir vergleichen die heutige Situation oft mit den Siebzigerjahren, als die Weltwirtschaft das letzte Mal mit hohen Inflationsraten zu kämpfen hatte. Der Unterschied ist, dass es damals einen einzigen Angebotsschock gab: die hohen Ölpreise. Heute kommt es überall zu Engpässen.« »Die Zentralbanken haben es versäumt, rechtzeitig und angemessen auf die Inflation zu reagieren. Auch das ist eine der bitteren Parallelen zu den Siebzigerjahren. Das Gefährliche daran ist, dass diejenigen, die Entscheidungen hinauszögern, die Saat für spätere, drakonische Maßnahmen legen.« »Der Einfluss der Politik auf die Zentralbanken ist enorm, vor allem in Europa. Die Zentralbanken sind nur auf dem Papier unabhängig. Die Verschuldung ist viel zu hoch, und die Zentralbanken handeln viel zu zögerlich. Die Situation ist extrem gefährlich.«
Wer letztes Jahr vor steigenden Preisen warnte, musste damit rechnen, von Talkshow-Ökonomen und anderen Meinungsführern als »Inflationsneurotiker« und »Klamaukdeuter« dargestellt zu werden. Ich neige nicht zu Neurosen, mir machen eher Notenbanker und Politiker Sorgen, die sich der Realität verweigern. Inflation frisst Kaufkraft und Ersparnisse auf, vergiftet die Wirtschaft, macht Menschen arm. Die Erdoğanisierung der EZB ist eine reale Gefahr. Steht die Welt vor einem Wirtschaftsschock wie in den Siebzigerjahren? Dürfen katholische Priester demnächst heiraten? Warum wirft Moskau die Deutsche Welle aus dem Land? Das ist die Lage am Donnerstagabend. |