https://www.focus.de/finanzen/...-51-us-bundesstaat_id_187933989.html vor 2 Tagen ... Gastbeitrag von Gabor Steingart ... Es klingt wie eine Selbstverständlichkeit, ist für die meisten Politiker dennoch eine unerhörte Provokation.
Unglaublich, aber wahr: Deutschland ist nicht 51. US-Bundesstaat EU-Kommissions-Präsidentin Ursula von der Leyen trifft US-Präsident Joe Biden im Weißen Haus •§Gastautor Gabor Steingart Freitag, 10.03.2023, 14:40 Es klingt wie eine Selbstverständlichkeit, ist für die meisten Politiker dennoch eine unerhörte Provokation. Europa ist nicht der 51. Bundesstaat der USA. Das muss EU-Kommissions-Präsidentin von der Leyen dem US-Präsidenten bei ihrem Besuch an diesem Freitag im Weißen Haus klar machen. Es ist Zeit, die transatlantische Beziehung aus ihrer nostalgischen Verklärung zu befreien und als eine politische Partnerschaft zu betrachten, die auch durch Interessenunterschiede geprägt wird. Die Banalisierung und Fiktionalisierung dieser Partnerschaft verstellt den Blick auf das, was von Ursula von der Leyen bei ihrem Washington-Besuch heute erwartet werden muss: Selbstbewusstsein. Wohlstandssicherung. Realpolitik. Die Europäische Union kann ihrer Geografie und Nachbarschaft zu Russland nicht entkommen Putins Russland ist für die Europäer nicht nur Aggressor, sondern immer auch Nachbar. Das bedeutet: Es geht um die militärische Unterstützung der Ukraine mit klarem Kriegsziel, der Zurückdrängung russischer Expansionsgelüste. Allerdings – und das unterscheidet die europäischen Interessen von den amerikanischen – darf daraus kein neuerlicher Russland-Feldzug werden. Ziel ist nicht, die „große Schlacht zwischen Demokratie und Autokratie“ zu gewinnen, wie Joe Biden es zu Beginn des Krieges formulierte, sondern genau diese Eskalation zu verhindern. Russen und Europäer bilden – trotz alledem – eine Schicksalsgemeinschaft. Die Europäische Union kann ihrer Geografie nicht entkommen. Für USA ist China ein Systemrivale, für Deutschland ein wichtiger Handelspartner China ist für die USA ein Systemrivale und für die europäische Wirtschaft immer auch ein wichtiger Kunde. Deutschland exportierte im Dezember 2022 etwa das gleiche Volumen wie die USA nach China. Allerdings ist die amerikanische Volkswirtschaft mehr als fünfmal so groß wie die Deutsche. The Pioneer Den Amerikanern geht es beim „Decoupling“ vor allem darum, den Steigflug der chinesischen Volkswirtschaft zu bremsen, um Macht und Wohlstand in den eigenen Reihen zu halten. In Deutschland hingegen könnten insbesondere die Chemieindustrie, der Maschinenbau und die Automobilhersteller ihre stolzen Bilanzzahlen und ihre hohen Ausschüttungen an die Investoren nicht gewährleisten, wenn das Chinageschäft erodiert. Google, Facebook und Netflix sind für europäische Werbewirtschaft eine Bedrohung Google, Facebook und Netflix sind für die deutschen Nutzer eine Bereicherung, aber für die hiesige Medienindustrie und die europäische Werbewirtschaft zugleich eine Bedrohung. Das Geschäftsmodell vieler Tech-Konzerne basiert darauf, möglichst viele Nutzerdaten zu sammeln, um personalisierte Werbung auszuspielen. Alphabet, Meta und Amazon sind – in dieser Reihenfolge – die drei größten Anbieter für Digitalwerbung: In den USA vereinten sie 2020 rund 90 Prozent des gesamten Online-Werbemarktes auf sich. Auch weltweit sind die Konzerne führend mit einem Werbemarktanteil von kombiniert fast 44 Prozent. Netflix, die weltgrößte Streaming-Plattform, hat Bertelsmann als größten europäischen Free-TV-Sender und größten Streaming-Anbieter der alten Welt deklassiert. Im dritten Quartal 2022 verzeichnete RTL+ rund 4,8 Millionen zahlende Abonnenten. Netflix dagegen über 220 Millionen. Die kulturelle Dominanz der Amerikaner – bei der Linken ist von Kulturimperialismus die Rede – ist nicht im Interesse einer vielfältigen europäischen Kultur. Inflation Reduction Act ist eine Kampfansage an die EU Der Wohlstand des eigenen Staatenbundes muss für die EU-Kommissionspräsidentin an erster Stelle stehen. Wenn Joe Biden sagt, „wir sorgen dafür, dass die Lieferkette für Amerika in Amerika beginnt“, dann ist das eine Kampfansage an die EU, die sich im Weißen Haus vernehmbar zur Wehr setzen muss. The Pioneer Inflation Reduction Act ist der Tarnname für das größte industrielle Abwerbeangebot, das je eine Nation einem anderen Wirtschaftsraum unterbreitet hat. Mit Anreizprämien in der Größenordnung von 370 Milliarden US-Dollar, das entspricht dem dreifachen Jahresgewinn aller DAX 40 Unternehmen, sollen europäische Industrie-Unternehmen zur Produktionsverlagerung in die USA bewegt werden. Beispielsweise die Komponenten eines Elektroautos müssen ab 2023 zur Hälfte in Nordamerika hergestellt oder zusammengebaut werden. Dieser Anteil steigt bis 2029 auf 100 Prozent. Ab 2024 dürfen sie zudem nicht mehr aus Russland, China oder einer anderen „foreign entity of concern“ kommen. Damit bedeutet America First eindeutig: Europe Second. China Last. Jedes LNG-Schiff aus den USA fährt satte Gewinne ein Anderes Thema, selbe Mechanik: Die Vereinigten Staaten nutzen die europäische Energiekrise aus, um sich ökonomisch Vorteile zu verschaffen. Nach Angaben von „Business Insider“ konnte zumindest im August 2022 jedes US-amerikanische LNG-Schiff, das nach Europa fährt, rund 200 Millionen US-Dollar an Gewinn einfahren. Insgesamt wurde der Energiehunger der Europäer nur mit kräftigen Preisaufschlägen seitens der Amerikaner gestillt. Zwischen Februar und September 2022 hatte sich der Exportpreis für LNG aus den USA nahezu verdoppelt. The Pioneer Platz für die EU auf der Weltbühne Die Reputation der Amerikaner ist in weiten Teilen der Welt schwer beschädigt. Der chinesische Staats- und Parteichef Xi Jinping sagte auf dem Volkskongress in dieser Woche: „Die westlichen Länder, angeführt von den USA, verfolgen eine umfassende Eindämmung, Einkreisung und Unterdrückung Chinas.“ Die USA kann sich mittlerweile der rückläufigen Zustimmung vieler Länder des globalen Südens und auch der Skepsis der Inder sicher sein. Viele warten darauf, dass Europa eine eigenständige, eine vermittelnde Rolle auf der Weltbühne spielt. The Pioneer Fazit: Es gibt handfeste Gründe für Ursula von der Leyen, das zu tun, was Olaf Scholz beim jüngsten USA-Besuch versäumt hat: Eigene europäische Interessen zu artikulieren. Sie sollte den USA nicht die Freundschaft kündigen, nur das reklamieren, was George Bush Senior einst Angela Merkel freiwillig angeboten hatte: To become a true partner in leadership. |