Stinksauer auf die Kriminellen in Köln (2)
SPIEGEL ONLINE Graue Eminenz mit doppeltem Boden: Wahlkämpfer Kompe (67) "Ja, das ist alles nicht hilfreich", sagt Schmidt, der mit 15 in die SPD eingetreten ist. Wahlkampf an der Basis sei schwieriger geworden. Auch, weil das soziale Gefüge nicht mehr so funktioniere wie früher: "Man lebt nicht mehr so viel in Gemeinschaften, Familie, Nachbarschaft, Partei." Durch die Individualisierung sei es schwerer, Wärme zu vermitteln, ein Gemeinschaftsgefühl. Und das war für ihn immer ein großer Trumpf der Sozialdemokraten: "Wir waren da. Beim Bier im Schrebergarten, in der Nachbarschaft. Und es hat sich immer ein Sozi auch gekümmert um die kleinen Probleme." Jetzt werde sich zeigen, ob auch der eigene Laden zusammenhält beim Gegenwind: "Die Menschen erwarten das von uns."
Schmidt liebt seine Partei und ihre Tradition: "Wer, wenn nicht wir, denkt an Gerechtigkeit in der Modernisierung?" Für ihn ist das Herzensangelegenheit, hier im Revier. Für ihn heißt das: Die oder wir. "Die CDU würde hier gar nicht genug Freiwillige finden, die morgens um vier aufstehen, um zu den Arbeitern zu gehen", sagt er mit Stolz in der Stimme. Dann packt er die zwei SPD-Sonnenschirme und Kartons mit Feuerzeugen und Flugblättern in seinen Kofferraum. Es ist 6.30 Uhr morgens. Zwei Wahlkämpfer gehen noch zu ThyssenKrupp rein, auf einen Kaffee mit dem Betriebsrat. Schmidt fährt weiter zu den Stadtwerken, dort beginnt die Arbeit erst später.
Unter dem Vordach des Haupteingangs warten bereits, notdürftig vor dem prasselnden Regen geschützt, Ernst Prüsse, SPD-Fraktionsvorsitzender im Dortmunder Rat und Gerhard Kompe, NRW-Chef der SPD-Arbeitsgemeinschaft 60plus, dem Seniorenverband. Das gleiche Bild: An der SPD kommen die Angestellten nicht vorbei. Sie stecken das Material ein. Aber reden oder diskutieren will keiner, dafür bringt zwischendurch jemand Kaffee raus.
Der Bülow-Bus fährt vor. "Zukunft ist wählbar" steht auf der Seite des Wagens neben einem großflächigen Photo von Marco Bülow, SPD-Spitzenkandidat in diesem Wahlkreis. "Bülow-nach-Berlin" lautet die Parole für den mit Anfang 30 jüngsten Bundestagskandidaten der SPD in NRW. Er tritt erstmals an und ersetzt Hans Urbaniak, den ältesten SPD-Abgeordneten in Berlin. Jahrzehntelang arbeitete Urbaniak im Bundestag für Sozial- und Arbeitspolitik. Einer aus der Generation "Kohle-Stahl-Bier" wie sie im Ruhrgebiet sagen. Bülow will in Berlin möglichst in den Wirtschafts- und Technologie-Ausschuss: Auch ein Strukturwandel.
Sozialdemokratisches Markenzeichen
Der junge Aufsteiger hat sich in der Frage Studiengebühren öffentlich gegen seinen Ministerpräsidenten gestellt. "Das musste sein", sagt sein Wahlkampfleiter Thomas Wisniewski. Soziale Bildungspolitik sei ein sozialdemokratisches Markenzeichen: "Wir bringen uns um unseren besten Argumente, wenn wir im Bund den Bildungs-Etat um 20 Prozent erhöhen, und es den Menschen hintenrum wieder aus der Tasche ziehen." Er schüttelt den Kopf und knöpft die SPD-rote-Regenjacke noch etwas zu gegen den kalten Wind am diesem Morgen.
Überhaupt das Verhältnis zwischen Bund und Land. Der 67-jährige Gerhard Kompe ist seit 43 Jahren in der Westfalen-SPD. Ein feiner älterer Herr mit Charme, Schlitzohr und doppeltem Boden. Über ein Jahrzehnt war er Geschäftsführer des mächtigsten SPD-Bezirks Westliches Westfalen, wo mit über 90.000 Mitgliedern fast die Hälfte aller NRW-Sozialdemokraten organisiert sind. Er hat nicht mitgezählt, in wie vielen Kommunal-, Landtags- und Bundestagswahlen er in all den Jahrzehnten gekämpft hat. "Nie aufgeben", lautet seine Parole, und er quält sich immer noch morgens aus dem Bett, um auf der Straße die Menschen von seiner SPD zu überzeugen.
Jetzt ist er Landeschef der AG 60plus in NRW, und angesichts der Altersstruktur in der SPD damit sogar eine Art heimlicher Vorsitzender mit viel Einfluss. Er weiß, dass Geschlossenheit jetzt das Wichtigste ist für die Roten, und so kommt ihm Kritik am Kurs der Bundespartei im Wahlkampf allenfalls zwischen den Zeilen über die Lippen: "Wenn man sich entscheidet, hauptsächlich über Massenmedien zu kämpfen, zielt man auf Stimmung. Tja, und dann ist man plötzlich abhängig von Stimmungen", erklärt er sibyllinisch.
Sein Kampf ist der auf der Straße, auch wenn er alle Politik-Ränkespiele hinter den Kulissen kennt und auch selbst gespielt hat. Sätze wie "Politik von anständigen Menschen für anständige Menschen" kommen bei ihm nicht als hohle Phrase. Interessanter als jedes Fernsehduell findet er immer noch den Menschen nebenan, der verunsichert ist, Angst hat um seinen Arbeitsplatz. Notfalls geht er wieder von Haus zu Haus, Klinken putzen, egal, ob sie ihm die Tür vor der Nase zuschlagen. Man merkt ihm an, dass er in der Basisarbeit zunehmend spürt, wie er als Reparaturbetrieb der großen Berliner oder Düsseldorfer Politik herhalten muss. Es gibt sie noch, die alten Kämpen, die in ihrer Partei eine Heimat sehen, eine verschworene Gemeinschaft, in der man zusammen was bewegen will.
Stinksauer auf die Kriminellen in Köln
Deshalb sind sie auch so wütend auf die schwarzen Schafe. "Ich bin stinksauer auf die Kriminellen in Köln", sagt Gerd Seck, Fahrer des Bülow-Buses. Das war außerhalb seiner Vorstellungskraft. Für seinen Fraktionschef in Dortmund könnte er sich so was nie vorstellen: Korruption, illegale Spenden, Filz durch zu lange Regierungsmacht? "Nee, da würde eine Welt für mich zusammenbrechen. Ich hab' mit dem schon im Sandkasten gespielt."
Es kränkt ihn schwer, dass er sich nun Gleichsetzungen mit den "Schwarzen" anhören muss. "Jeder soll seinen eigenen Hof kehren", sagt er mit hochgeschraubter Stimme. Die SPD zerre die Leute vor Gericht und wirft sie aus der Partei. Das sei ein großer Unterschied. "Bei der CDU darf der Gesetzesbrecher Kohl schon wieder großen Reden halten und Schäuble sich als Bundesminister fühlen", empört er sich.
Und dann klemmt er sich wieder trotzig hinter das Steuer. Weiter zum nächsten Termin, an diesem Morgen, wo sich langsam die rote Sonne durch die dunklen Wolken über dem Revier quält. "Die Gerechten", sagt er zum Abschied die Bibel zitierend, "leiden mehr."
Quelle: http://www.spiegel.de/politik/deutschland/0,1518,201898-2,00.html
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