Showdown erst im Juni
Griechische Regierung fährt volles Risiko Von Yannis Koutsomitis, Athen
Anders als angekündigt hat die griechische Regierung offensichtlich nicht vor, sich bald mit der Eurogruppe zu einigen. Stattdessen will sie die Verhandlungen bis in den Juni schleppen - um dann bessere Konditionen herauszuholen.
Die Institutionen, früher bekannt als Troika, treffen sich am Samstag in Brüssel mit den Vertretern Griechenlands zu einer weiteren Verhandlungsrunde über das Rettungsprogramm. Der Zeitdruck ist mittlerweile groß: In nur zehn Tagen endet die zweimonatige Frist, die die Euro-Finanzminister am 20. Februar der griechischen Regierung gesetzt hatten. Dennoch ist keine Einigung in Sicht.
Die jüngste Phase der griechischen Krise dauert nun schon seit Ende Januar, seit den Wahlen in Griechenland. Zwei Monate gingen verloren, bis die griechische Regierung sich überhaupt entschloss, eine umfassende Einigung mit den Institutionen aushandeln zu wollen. Und seither gab es kaum Fortschritte.
Vier große Hindernisse
Was sind die größten Hindernisse für eine Einigung, ohne die es keine weiteren Kredite für Griechenland geben wird? Nach Angaben des griechischen Ministerpräsidenten Alexis Tsipras sind noch vier Themen umstritten: Arbeitsmarkt, Rentenreform, eine Erhöhung der Mehrwertsteuer und Privatisierungen. Letztere nannte Tsipras die "Entwicklung von Staatseigentum", nicht etwa den Verkauf desselben. Dass es Streit um diese vier Themen gibt, ist keine Überraschung, denn in diesen Bereichen geht es um den Kern der Ideologie von Syriza. •Arbeitsmarkt: Die Regierung ist nicht nur dagegen, großen Unternehmen Entlassungen zu erleichtern, sondern ist auch dabei, die Gesetze über Tarifverhandlungen wieder in Kraft zu setzen, die in den vergangenen Jahren abgeschafft worden waren. Außerdem plant die Regierung, den Mindestlohn auf das Vorkrisenniveau von 751 Euro anzuheben (obwohl das Bruttoinlandsprodukt 25 Prozent unter dem von 2009 liegt). •Rentenreform: Sie ist eine weitere "rote Linie" der Regierung. Selbst bei Zusatzrenten, die nicht direkt vom staatlichen Rentensystem abhängen, will sie keine Kürzungen akzeptieren. Ihre Begründung ist, das Rentenniveau sei schon jetzt zu niedrig. Der stellvertretende Sozialminister, Dimitrios Stratoulis, hat sogar versprochen, das Weihnachtsgeld für die Empfänger niedriger Renten wieder einzuführen, eine Maßnahme, die mehr als 600 Millionen Euro pro Jahr kosten dürfte. Allerdings hat Finanzminister Yanis Varoufakis angedeutet, dass die Regierung bereit ist, Frühverrentungsprogramme zu begrenzen. •Mehrwertsteuer: Es gibt Unklarheiten über den künftigen Status der ägäischen Inseln, auf denen ein niedrigerer Satz gilt. Die Institutionen bestehen darauf, dass die Mehrwertsteuer in ganz Griechenland auf dasselbe Niveau angehoben wird. Für die größeren Inseln scheint die Regierung dazu bereit zu sein. •Privatisierungen: Hierzu hat die Regierung offenbar keine einheitliche Position. Energieminister Panagiotis Lafazanis und der stellvertretende Schiffereiminister Thodoris Dritsas, beide Hardliner der "Linken Plattform" von Syriza, lehnen Privatisierungen kategorisch ab. Varoufakis dagegen sagt, er sei dafür, wenn es sich für den Käufer um eine ernsthafte Investition handelt und die Rechte der Arbeitnehmer gewahrt bleiben.
Was folgt aus alldem? Beobachter spekulieren schon seit ein paar Wochen darüber, am Donnerstag hat Varoufakis es bei einer Veranstaltung in Washington gesagt: Die griechische Regierung will die aktuellen Verhandlungen mit den Gesprächen über einen "neuen Vertrag für Erholung und Entwicklung" verknüpfen, von dem Tsipras schon am 15. März in seinem Brief an Bundeskanzlerin Angela Merkel gesprochen hatte.
Mit dieser Strategie versucht die griechische Regierung, unpopuläre Entscheidungen zu vermeiden. Sie hofft, im Juni ein größeres Abkommen erreichen zu können, das neben schmerzhaften Sparmaßnahmen einen neuen Kredit in Höhe von 30 bis 50 Milliarden Euro umfassen soll, aber auch ein Investitionsprogramm der Eurozone sowie eine wie auch immer geartete Umstrukturierung der griechischen Schulden.
Ein solcher "Vertrag für Erholung und Entwicklung", glaubt die Regierung Insidern zufolge, könnte der griechischen Öffentlichkeit und der Syriza-Basis besser vermittelt und leichter durchs Parlament gebracht werden.
Ein paar Milliarden hat Griechenland noch
Aber ist diese Strategie, alle Beschlüsse in den Juni zu verschieben, angesichts des großen Liquiditätsengpasses in Griechenland überhaupt durchführbar? Trotz weit verbreiteter Spekulationen, dass der griechische Staat minütlich zahlungsunfähig werden und ein "Grexident" stattfinden könnte, hat die Regierung es geschafft, sich aus den Rentenkassen, aus staatlichen Unternehmen und Regionalregierungen mit Bargeld zu versorgen.
Die fälligen 458 Millionen konnten am 9. April planmäßig an den IWF überwiesen werden. Am Mittwoch hieß es zudem, das Finanzministerium bereite ein Gesetz vor, dass es Rentenkassen und öffentlichen Körperschaften vorschreibt, ihre nicht benötigten Vermögenswerte dem Staat zu übertragen. Schätzungen zufolge geht es dabei um insgesamt 9 Milliarden Euro. Bis Ende Juni muss Griechenland knapp 3 Milliarden Euro zurückzahlen. Sollte das Gesetz verabschiedet werden, könnte die griechische Regierung es schaffen, ihren Verpflichtungen nachzukommen.
Wenn die griechische Regierung an dieser Strategie festhält und die Verhandlungen bis Juni verzögert, dann wird Tsipras wahrscheinlich vorzeitige Neuwahlen oder ein Referendum ausrufen - vor allem, wenn die "Linke Plattform" Widerstand gegen seine Pläne leistet. Für Tsipras wäre das eine echte Versuchung, denn nach griechischem Gesetz könnte er als Parteichef bei Neuwahlen die Liste selbst zusammenstellen. Er könnte so dafür sorgen, die Hardliner aus dem Parlament zu entfernen.
Angesichts ihrer kompromisslosen Rhetorik wird es täglich wahrscheinlicher, dass die griechische Regierung diesen riskanten Kurs bis Mitte Juni durchziehen will. Vielleicht dachte Finanzminister Wolfgang Schäuble daran, als er sagte, die letzte Frist für die griechische Regierung sei der 30. Juni.
Aus dem Englischen von Hubertus Volmer.
http://www.n-tv.de/politik/...ehrt-volles-Risiko-article14926241.html
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