HOME POLITIK AUSLAND Sigmar Gabriel: Wir hatten immer einen Schuldigen. Das war Donald Trump POLITIK AUSLAND USA RUSSLAND CHINA EUROPA CORONA-KRISE BREXIT AUSLAND SIGMAR GABRIEL Nord Stream 2 geht die USA erst einmal nichts an Stand: 00:04 Uhr | Lesedauer: 7 Minuten
Von Daniel Friedrich Sturm USA-Korrespondent Joe Biden ist ein außenpolitisch extrem erfahrener Präsident, sagt Sigmar Gabriel Joe Biden ist ein außenpolitisch extrem erfahrener Präsident, sagt Sigmar Gabriel Quelle: picture alliance/dpa/dpa-Zentralbild Sigmar Gabriel, Ex-Außenminister und Vorsitzender der Altlantik-Brücke, erwartet von US-Präsident Joe Biden wieder mehr Angebote zur Kooperation mit Europa, aber vor allem mit einer anderen Weltregion. Eine Gefahr sieht er im Umgang mit China. 17
WELT: Herr Gabriel, US-Präsident Joe Biden wird am Freitag vor der virtuellen Münchner Sicherheitskonferenz eine Rede halten. Was erwarten Sie davon?
Sigmar Gabriel: Präsident Biden wird sicher bekräftigen, dass die USA als echter Partner wieder zurück sind und Interesse daran haben, mit anderen zusammenzuarbeiten insbesondere mit uns Europäern. Er setzt ja, anders als sein Vorgänger, auf die europäischen Alliierten und die Nato, will sie stärken. Vermutlich wird Joe Biden auch das komplizierte Verhältnis zu Russland und China ansprechen und dabei kritische Themen wie Nord Stream 2 nicht aussparen. Und ganz gewiss wird er uns die Hand reichen für eine ambitionierte Klimapolitik.
WELT: Was macht den Außenpolitiker Biden aus?
Gabriel: Joe Biden ist ein außenpolitisch extrem erfahrener Präsident. Kein US-Präsident vor ihm hat mehr außenpolitische Erfahrung sammeln können als er. Er kommt nicht als außenpolitischer Lehrling ins Weiße Haus, wie fast alle seiner Vorgänger. Hinzu kommt: Obama war ein Einzelspieler. Biden hat ein sehr starkes Team, etwa Außenminister Tony Blinken und dessen Leute. Sorgen muss man sich nicht um die Außenpolitik, wohl aber über die innere Spaltung der USA machen.
LESEN SIE AUCH Irans Atomprogramm: Die Welt wartet gespannt auf die Fortsetzung des Dramas unter Joe Biden ATOMPROGRAMM Knickt Biden gegenüber dem Iran ein? WELT: Auf welchen Gebieten wird Biden möglicherweise an die Außenpolitik Trumps anknüpfen?
Gabriel: Demokraten und Republikaner teilen die kritische Haltung zu China. Für die USA ist China der große starke strategische Wettbewerber. Die Regierung Biden überprüft allerdings die Politik der Trump-Regierung und will sie mit den Alliierten auch in Europa beraten. Dieser US-Präsident weiß, dass im 21. Jahrhundert selbst das starke Amerika Partner braucht, um die Welt in der Balance zu halten.
WELT: Im Umgang mit der Kommunistischen Partei Chinas deutet sich bei Biden eine weitaus kritischere Haltung an als zu seiner Zeit als Vizepräsident. Waren USA, auch die EU, im Umgang mit Peking zu naiv?
Gabriel: Ich glaube, wir haben übersehen, wie sehr sich China gewandelt hat. Präsident Xi hat die gesellschaftliche Öffnung beendet. Partei und Staat kontrollieren wieder alles. In der Wirtschaftspolitik missachtet Peking nach wie vor die Spielregeln der WTO. Aus all diesen Gründen ändern die USA und die EU ihren Kurs gegenüber Peking. Selbst die China-freundliche deutsche Industrie tut dies.
LESEN SIE AUCH Der neue US-Präsident Joe Biden (l.) betrachtet seinen türkischen Amtskollegen Recep Tayyip Erdogan als Gegenspieler. Europa könnte davon profitieren USA-TÜRKEI-BEZIEHUNGEN Biden treibt Erdogan in die Arme der EU WELT: Vom Investitionsschutzabkommen EU-China sind Bidens Leute wenig angetan
Gabriel: Das ist richtig. Aber seit sieben Jahren verhandeln die EU und China über ein Investitionsschutzabkommen. Das soll vor allem europäische Investitionen schützen, nicht chinesische. Sieben Jahre lang hat China das blockiert, drängte immer auf ein Freihandelsabkommen. Das hat die EU abgelehnt, solange Investitionen aus Europa in China ungenügend geschützt sind.
Europa hat sich also was faire Spielregeln angeht, gegen China durchgesetzt. Das ist am Ende auch im Interesse der USA. Wie weit das in der Praxis trägt, werden wir sehen. Ganz generell aber unterscheidet sich die europäische Sicht auf China durchaus von der amerikanischen.
WELT: Inwiefern?
Gabriel: Für die USA ist China der große strategische Herausforderer und Konkurrent, wenn es um die globale Vormachtstellung geht. Darum aber konkurrieren wir Europäer mit China nicht. Für uns ist das Reich der Mitte so eine Art Frenemy: politischer und gesellschaftlicher Gegner und zugleich wirtschaftlicher Partner, dem wir uns zum Beispiel technologisch eher unterlegen fühlen. Insofern ist unser Verhältnis zu China weitaus komplizierter als zur alten Sowjetunion.
LESEN SIE AUCH March 21, 2020, South China Sea, United States: The U.S. Navy Independence-variant littoral combat ship USS Gabrielle Giffords during routine patrol as part of Destroyer Squadron Seven, of the 7th Fleet March 20, 2020 in the South China Sea. (Credit Image: © Brenton Poyser/Planetpix/Planet Pix via ZUMA Wire KONFRONTATION MIT CHINA Joe Bidens erster großer Test Das Entkoppeln vom chinesischen Markt, wie es die Regierung unter Trump von uns gefordert hat, ist schlechterdings kaum möglich für uns Europäer. Zumal ich mir nicht vorstellen kann, wie man ein 1,4 Milliarden Volk sozusagen unter Hausarrest stellen will. Ich glaube, diese Strategie ist spätestens gescheitert, seitdem selbst sehr enge sicherheitspolitische Partner der USA wie Japan, Südkorea oder Australien dem Freihandelsabkommen mit China beigetreten sind.
Diese Länder haben eine ähnliche Haltung wie Europa, nur dass sie den heißen Atem Chinas noch deutlicher spüren. Das zeigt: Pure Konfrontation mit China will eigentlich niemand. Deshalb wird auch die Regierung Biden so etwas wie eine antagonistische Kooperation mit China anstreben.
WELT: Hat Deutschland verstanden, dass das Motto Wandel durch Handel mit China erfolglos ist?
Gabriel: Was soll denn stattdessen Erfolg haben? Die offene Konfrontation? Der frühere australische Ministerpräsident Kevin Rudd hat kürzlich geschrieben, man könne nur darauf hoffen, dass die USA mit China eine Doppelstrategie fahren wie einst mit der Sowjetunion, nämlich: Abschreckung und Dialog. Mit reiner Konfrontation, sagt er, drohen die Spannungen in den Seestraßen um Taiwan zu einem gefährlichen Konflikt zu werden. Ich kann nicht erkennen, dass irgendwo auf der Welt der reine Konfrontationskurs dazu geführt hat, dass sich Regime zum Besseren verändert haben oder die Welt friedlicher geworden ist.
LESEN SIE AUCH Australiens Premierminister Scott Morrison wehrt sich gegen den Machtanspruch Chinas unter Xi Jinping MACHTKAMPF MIT CHINA Es ist mutig, was Australien macht, geradezu historisch WELT: Russlands Präsident Putin geht mit seinen Kritikern wie Alexej Nawalny rigoroser denn je um. Gleichzeitig sinkt seine Popularität. Was bedeutet das?
Gabriel: Russland ist ökonomisch und sozial schwach. In einem Land, dem ständig Rentenkürzungen drohen, kommen Berichte über Superreichtum von Oligarchen nicht gut an. Es mussten schon Putin-Leute zurücktreten, nachdem Nawalny Korruption aufgedeckt hat.
WELT: Ist das Projekt Nord Stream 2 noch angemessen?
Gabriel: Es gibt ungefähr so viele Argumente für wie gegen Nord Stream 2. Eines aber ist klar: Nord Stream 2 ist ein Erdgasprojekt, das sich erst einmal im Rahmen europäischer Regeln und Gesetze bewegt. Vom Gesichtspunkt europäischer Souveränität geht es die USA erst einmal nichts an. Europa hat vor 25 Jahren den Energiemarkt liberalisiert.
Die EU-Gas-Richtlinie wurde jüngst mit Blick auf Russland noch einmal verschärft. Der Pipeline-Besitzer darf nicht identisch sein mit dem Gaslieferanten. Wer sich an dieses europäische Energierecht hält, ist frei, wo er seine Rohstoffe einkauft. Der Markt und die Marktteilnehmer entscheiden. Soll Europa diese Liberalisierung des Gasmarktes nun auf Druck der USA hin aufgeben? Ich finde, das ist eine europäische Entscheidung mit allen Chancen und Risiken. Aber es ist keine amerikanische.
LESEN SIE AUCH Es fehlen nur noch 150 von insgesamt 1224 Kilometern, um Nord Stream 2 zu vollenden. Doch die Distanz zwischen Deutschland und den USA wächst. STREIT MIT DEN USA Biden hat gewonnen doch der Nord-Stream-Showdown steht kurz bevor Die Regierung Biden hat jüngst den Bau der XL-Pipeline aus Kanada gestoppt und setzt nun noch stärker auf Klima-schädlicheres Fracking. Aber das ist eine Angelegenheit der Amerikaner, nicht der Europäer. Übrigens: Warum ist eigentlich Nord Stream ein Problem, und die Jamal-Pipeline mit russischem Gas durch Polen nicht?
WELT: Eben weil sie durch Polen führt.
Gabriel: Aber es handelt sich doch ebenfalls um russisches Gas. Das Argument, dass man damit Putin Geld gibt, ihn stabilisiert, gilt doch dort dann auch.
WELT: Sehen Sie eine Tendenz in Deutschland und Europa, wonach man sich nach den vier Jahren Trump außenpolitisch zurücklehnen kann?
Gabriel: Diese Sorge habe ich. Vier Jahre lang war es ganz einfach für uns: Wir hatten immer einen Schuldigen. Das war Donald Trump. Über ihn haben wir uns aufgeregt, weil er uns täglich vorgeführt hat, wie groß der Widerspruch zwischen unseren Ansprüchen und Möglichkeiten ist.
Wir Deutsche haben uns besonders aufgeregt, weil unsere Ansprüche besonders hoch und unsere Möglichkeiten ziemlich klein sind. Ich hoffe, dass bei uns jeder versteht: Die neue Regierung der USA will kooperieren. Aber auch sie wird weniger europäisch und mehr pazifisch agieren.
LESEN SIE AUCH EU-Kommissionspräsidentin Ursula von der Leyen (unten rechts), Kanzlerin Angela Merkel (unten links), Chinas Präsident Xi Jinping (oben links) und Ratspräsident Charles Michel (oben rechts) während des digitalen EU-China-Gipfels im September INVESTITIONSABKOMMEN MIT CHINA Merkel läuft der Illusion einer Partnerschaft mit China hinterher WELT: Was bedeutet das?
Gabriel: Die USA und Europa müssen ihre Aufgaben neu teilen. Das bedeutet mehr Aufgaben für Europa, nicht weniger. Viele bei uns hoffen auf das Gegenteil.
WELT: Rechnen Sie damit, dass Joe Bidens Deutschland an das Zwei-Prozent-Ziel erinnern wird?
Gabriel: Ja, und wir sollten aufhören, dieses Ziel an der Forderung des amerikanischen Präsidenten zu messen. Die Franzosen haben doch auch die Nase voll, dass ihre Soldaten in Mali kämpfen und die deutschen Soldaten nur fotografieren dürfen.
LESEN SIE AUCH Hoffnungsträger: Die Impfstoffe von Moderna, Biontech und AstraZeneca INFEKTIOLOGE KLÄRT AUF Biontech, Moderna, AstraZeneca - Was ist von den Impfstoffen zu halten? WELT: In der EU wird weniger schnell gegen Covid geimpft als erhofft. Wie wird sich das auf das Ansehen der EU auswirken?
Gabriel: Die Folge der EU-Fehlentscheidungen führen zu einem Impfnationalismus. Die ärmeren Staaten der Welt beobachten den Streit zwischen den reichen Ländern ja mit wachsender Sorge. Angebote aus China und Russland werden deshalb willkommen geheißen. China erweitert so die Seidenstraßeninitiative sozusagen mit medizinischen Mitteln. Das muss uns besorgen. Aber ich verstehe auch die Maßstäbe für politische Verantwortung in Deutschland und Europa nicht mehr.
Wir kriegen die App nicht hin, das Datentracking klappt nicht, es fehlt an Impfstoff, die Logistik funktioniert nicht. Wir bekämpfen die Pandemie wie wir schon im Mittelalter die Pest bekämpft haben: indem wir Leute wegsperren. Warum nutzen wir nicht die Mittel des 21. Jahrhunderts, mit einer verpflichtenden App und Datentracking? So aber stolpern wir von Desaster zu Desaster. In Deutschland sind schon Minister wegen weit geringerer Versäumnisse zurückgetreten. Ich bewundere die Deutschen für ihre Geduld. |