US-VERBRAUCHER "Die Mittelklasse leidet unter Konsumdruck" Amerikas Normalverdiener stecken in der Finanzklemme: Obwohl sie kaum mehr Geld haben als vor 20 Jahren, geben sie immer mehr aus - für größere Häuser, teurere Autos. Im SPIEGEL-ONLINE-Interview erklärt der Ökonom Robert Frank, wie es zu dieser Spirale der Unvernunft kommen konnte. 
SPIEGEL ONLINE: Professor Frank, die US-Mittelklasse neigt dazu, immer mehr Geld für Statussymbole auszugeben. Fangen wir bei Ihnen an: Wie teuer war Ihr Auto? Frank: Nicht übertrieben teuer. Obwohl mir ein Bekannter mal zu einem Porsche geraten hat, fahre ich einen Miata von Mazda. Der hat ein Verdeck, liegt tief auf der Straße, lenkt sich gut - ist aber wohl der billigste Sportwagen, den man kriegen kann. Wir haben allerdings noch einen Kombi von Subaru, und meine Frau fährt einen BMW 330Xi. SPIEGEL ONLINE: Drei Autos - ein kleiner Fuhrpark. Frank: Es sind mehr, als wir normalerweise brauchen - zumal ich zu Fuß zur Arbeit gehe. Aber wir sind vier Erwachsene in der Familie, und bei uns in den USA ohne Auto irgendwohin zu kommen, ist wirklich ein Ärgernis. Das Nahverkehrssystem ist einfach zu schlecht. Auch deshalb gibt es in den USA so viele Drei-Auto-Haushalte. SPIEGEL ONLINE: In Ihrem Buch "Falling Behind" beschreiben Sie, dass US-Normalfamilien immer mehr und größere Autos fahren - und auch die Häuser im Schnitt geräumiger sind als in den achtziger Jahren. Trotzdem gehe es der Mittelklasse wirtschaftlich schlechter, schreiben Sie. Warum? Frank: Die Einkommen der US-Mittelklasse liegen inflationsbereinigt ungefähr so hoch wie vor 20 Jahren. Der reale Lohn pro Stunde ist sogar gefallen. Wenn Sie sich trotzdem genötigt sehen, ein größeres Haus zu kaufen, wird es schwierig: noch mehr arbeiten, höhere Kredite, längere Pendelzeiten zur Arbeit. Viele Mittelklassefamilien leiden unter diesem Konsumdruck. Oft führt er zu steigenden Scheidungsraten und Insolvenzen. SPIEGEL ONLINE: Ist die US-Mittelklasse nicht selbst schuld, wenn sie mehr ausgibt, als sie sich leisten kann? Frank: Wenn sich ein Land in einem Wettrüsten mit einem zweiten befindet und keine Kliniken mehr baut, sondern nur noch Bomben - ist es dann selbst schuld? Was, wenn das das zweite Land mehr Panzer hat, eine größere Armee und droht, Sie zu überfallen? Auch die Mittelklasse in den USA ist in einem Wettrüsten gefangen - bei den Konsumausgaben. Aus eigener Kraft kommt sie da nur schwer heraus. SPIEGEL ONLINE: Wer hat dieses Wettrüsten angefangen? Frank: Es ergibt sich aus der wachsenden Ungleichheit in unserer Gesellschaft. In den vergangenen 20 Jahren hat sich der Reichtum der Oberschicht exponentiell gesteigert. 1982 gab es nur 13 Milliardäre in den USA, 2005 waren es 374. Die Reichen haben mehr Geld, sie geben mehr aus - das ist normal. Dadurch ändern sich aber in der gesamten Gesellschaft die Vorstellungen darüber, was als angemessen gilt. Und das setzt die Mittelschicht unter Druck. SPIEGEL ONLINE: Kann es dem Lehrer oder der Büroangestellten nicht egal sein, dass sich Larry Ellison eine protzige Jacht anschafft und Bill Gates in einem Palast residiert? Frank: Natürlich stellt die Mittelklasse ihre Konsumgewohnheiten nicht um, nur weil sie Fotos von Luxusvillen sieht. Darüber ärgert man sich nicht, man fühlt sich eher amüsiert. Der Effekt ist indirekt: Wenn die Reichsten der Reichen größere Häuser kaufen als früher, verleiten sie die soziale Schicht direkt unter ihnen, ebenfalls mehr auszugeben. Das setzt sich fort - bis nach ganz unten. Eine vernünftige Dinner-Party hat man früher für 30 Leute gegeben. Heute lädt man 40 ein - also brauchen Sie ein größeres Esszimmer. SPIEGEL ONLINE: Eine vernünftige Familie müsste trotzdem sagen: Wir können uns dieses Haus nicht leisten, wir kaufen ein kleineres. Frank: Wenn Sie sich für ein billigeres entscheiden, heißt das in der Regel, dass Sie in einem schlechteren Viertel wohnen. Dann gehen Ihre Kinder auf minderwertige Schulen, denn in den USA werden Schulen über das lokale Steueraufkommen finanziert. Für Normalverdiener ist das ein schmerzhaftes Dilemma. Genauso gut könnte man sagen: Ich brauche kein großes Auto, ein Honda Civic reicht. Scheinbar vernünftig - doch dann fahren um Sie auf dem Highway lauter wuchtige SUVs herum. Ihre Sparsamkeit bezahlen Sie mit einem gestiegenen Risiko, bei einem Unfall zu sterben. SPIEGEL ONLINE: Also spart der Mittelklasse-Amerikaner lieber anderswo? Frank: Es kommt immer öfter vor, dass auch Mittelklasse-Familien keine Gesundheitsversicherung besitzen. Wird einer krank, ist der Privatbankrott der nächste Schritt. Die USA sind ein reiches Land, aber wir geben unser Geld auf seltsame Weise aus. Wir haben genug für den erstaunlichsten Luxus - aber zu wenig für ganz Grundlegendes. SPIEGEL ONLINE: Eine typisch europäische Lösung wäre: Rauf mit den Steuern für Spitzenverdiener! Frank: Wenn Sie den Verdienst besteuern, schadet das der Sparquote. Außerdem verleiten hohe Einkommensteuern manche Wohlhabende zur Steuerflucht. Sinnvoller ist es, das Sparen und Investieren auch bei Beziehern extrem hoher Einkommen zu fördern - ihnen aber den Anreiz zu nehmen, exzessiv viel für Unproduktives auszugeben. SPIEGEL ONLINE: Sie schlagen eine Steuer auf Konsum vor ... Frank: ... ja, eine Konsumsteuer mit progressivem Satz. Jeder bekommt einen Freibetrag, zum Beispiel 7500 Dollar pro Jahr. Wer netto mehr für Konsum ausgibt, wird zunächst mit 20 Prozent belastet. Ab 100.000 Dollar Konsum wären es 34 Prozent - und ab fünf Millionen Dollar würde der Satz sehr hoch, meinetwegen 200 Prozent. SPIEGEL ONLINE: Die Konsumsteuer wäre dann viel höher als der Kaufpreis. Damit werden Sie sich viele Feinde machen. Frank: Es scheint vielleicht, als könnten reiche Amerikaner ihren Lebensstandard dann nicht mehr halten. Aber sehen Sie, bei einem Ausflug nach New York habe ich neulich erfahren, dass es Lieferengpässe bei 45.000-Dollar-Uhren gibt - so viele werden davon verkauft! Patek Philippe bot sogar eine Armbanduhr für 2,7 Millionen Dollar an. Eine progressive Konsumsteuer gäbe den reichsten Amerikanern einen Anreiz, sich billigere Armbanduhren und kleinere Villen anzuschaffen. Wäre das ein so großes Opfer? Außerdem: Wenn Reiche ihr Einkommen sparen und investieren statt zu konsumieren, wäre das nach meinem Plan steuerfrei - für viele hochattraktiv. SPIEGEL ONLINE: Aber im Ernst: Eine so radikale Änderung des US-Steuersystems ist weder mit Demokraten noch Republikanern zu machen. Frank: Im Moment wohl nicht. In zehn Jahren vielleicht schon. Die USA sind ein interessantes Land: Wir gehen manchmal verrückte Wege und verzetteln uns, aber auf lange Sicht siegt meist der Pragmatismus. Es gab im Übrigen schon 1995 einen Vorschlag im Senat für eine Konsumsteuer, vom Republikaner Pete Domenici und dem Demokraten Sam Nunn. So radikal kann die Idee also nicht sein. SPIEGEL ONLINE: Selbst wenn sich Ihr Vorschlag nicht durchsetzt: Die nächste US-Regierung wird unweigerlich viele der Steuervorteile für Spitzenverdiener zurücknehmen, die unter George W. Bush eingeführt wurden. Frank: Diese Privilegien laufen automatisch aus, wenn sie nicht verlängert werden. Und verlängern kann man sie nicht, sonst explodiert das Staatsdefizit. Auch viele Republikaner sehen das so. Die Wahl wird aber wahrscheinlich von den Demokraten gewonnen. Wenn Ihnen jemand sagt, die Chance für den republikanischen Präsidentschaftskandidaten 2008 stehe 50 zu 50 oder besser, und er bietet Ihnen eine Wette an - dann leihen Sie sich so viel Geld, wie Sie irgendwie können, und wetten Sie dagegen. Das Interview führte Matthias Streitz Quelle: http://www.spiegel.de/wirtschaft/0,1518,497810,00.html ZUR PERSONRobert H. Frank, Jahrgang 1945, lehrt an der Cornell Universität in Ithaca, New York, Wirtschaftswissenschaften und Management. In mehreren Büchern – darunter "Luxury Fever", "The Winner- Take- All Society" und "Choosing the Right Pond" - hat er sich mit Konsumkultur und wachsender sozialer Ungleichheit in den Vereinigten Staaten befasst. Er veröffentlicht regelmäßig in der "New York Times".
In diesem Sommer erschien sein Buch "Falling Behind: How Rising Inequality Harms the Middle Class". |