sueddeutsche.de
Ressort: Finanzen URL: /finanzen/artikel/552/172045/ Datum und Zeit: 29.04.2008 - 21:46
29.04.2008 18:02 Uhr
Ein Barrell Öl für 200 Dollar? Opec-Präsident Khelil hält das für denkbar. Rohstoffe Hoher Ölpreis und kein Ende
Opec-Präsident Khelil hält einen Ölpreis von 200 Dollar je Barrel für möglich. Die zentrale Frage bleibt: Wann wird der Welt das Öl ausgehen? Von Simone Boehringer
Verschnaufpause am Ölmarkt: Nachdem der Preis für den wichtigsten Schmierstoff der Weltwirtschaft bis Montag von Rekord zu Rekord eilte und das Fass Rohöl vorübergehend fast 120 Dollar kostete, fiel die Notierung amerikanischen Leichtöls (WTI) bis Dienstag Nachmittag auf 117 Dollar je Barrel (159 Liter) zurück. Die Raffinerien in Schottland arbeiten nach einem Streik wieder, und eine wichtige Pipeline, verantwortlich für 40 Prozent der britischen Öl- und Gaslieferungen, ist wieder in Betrieb.
Die Fachwelt ist dennoch alarmiert: Ein wichtiger Grund dafür ist, dass der Dollar, zu dem fast sämtliche Öllieferungen weltweit abgerechnet werden, immer schwächer wird. Das lassen sich die Förderländer bezahlen. "Die Preise sind so hoch wegen der Rezession in den USA und der damit einhergehenden Abwertung des Dollars", sagte Opec-Präsident Chakib Khelil. "Fällt die US-Währung um ein Prozent, steigt der Ölpreis um vier Dollar", rechnete der Chef des mächtigen Förderkartells wichtiger Ölstaaten der Welt vor. Bei anhaltender Dollarschwäche könne er einen Ölpreis von 200 Dollar je Barrel nicht mehr ausschließen, sagte Khelil.
Panik aus Schottland
Der Dollar hat zu den beiden anderen wichtigen Weltwährungen, Euro und Yen, seit Jahresbeginn etwa sieben Prozent an Wert eingebüßt. Der Ölpreis in Dollar ist aber um rund zwanzig Prozent gestiegen. Diese Differenz erklärt sich im wesentlichen durch ein zweites Argument, das zunehmend an Bedeutung gewinnt: Die derzeit förderbaren Ölreserven könnten knapp werden. Dies räumte jüngst sogar der Chefvolkswirt der vielbeachteten Internationalen Energie Agentur (IEA), Fatih Birol, in einem Interview ein.
Dieses Jahr habe man "zum ersten Mal die Situation einer Versorgungskrise", sagte er der außenpolitischen Fachzeitschrift Internationale Politik. "Zwischen der Höhe des Weltmarktbedarfs und dem, was wirklich auf den Markt gebracht werden kann, besteht eine Kluft."
Birol bezieht seine Aussagen vorwiegend auf die Lieferfähigkeit der Opec-Länder. Doch nach den jüngsten Äußerungen von Lukoil-Vizechef Leonid Fedun, die Ölproduktion beim zweitgrößten Lieferanten der Welt, Russland, habe den Zenit schon erreicht, sind die Opec-Staaten, allen voran Saudi-Arabien, die einzigen, denen eine Erhöhung der Liefermengen kurzfristig noch zugetraut wird. Derzeit kommen knapp 40 Prozent der Weltölförderung von rund 85 Millionen Barrel täglich aus den zwölf Mitgliedsländern des Ölkartells.
Vor diesem Hintergrund wird die Panik verständlich, die die zwischenzeitlich ausgefallene schottische Pipeline Anfang der Woche am Markt ausgelöst hatte. Zwar laufen gerade einmal 700.000 Barrel Öl pro Tag durch das Rohr, also nicht einmal ein Prozent der täglichen Weltnachfrage. Doch der Puffer, der bei Engpässen auf die Schnelle noch zusätzlich gefördert werden kann, ist Experten zufolge auf etwa eine Million Barrel zusammengeschrumpft.
Kurzfristige Lieferausfälle wie in Schottland oder auch die Angst vor Beeinträchtigungen der Förderung durch Gewalt und politische Spannungen wie aktuell in den Ölländern Nigeria und Pakistan können da schnell zu Preiskapriolen am Ölmarkt führen.
Wann enden die Ölreserven?
Die Frage, ob und wann der Welt wirklich das Öl ausgeht, ist eines der heiß diskutiertesten Themen weltweit. Experten wie der amerikanische Regierungsberater Matthew Simmons halten es für wahrscheinlich, dass das höchste Förderungsniveau, der sogenannte Peak Oil, längst erreicht ist.
Dagegen hofft etwa IEA-Experte Fatih Birol noch, dass dieser Zeitpunkt mit möglichst vielen neuen Ölförderprojekten hinausgezögert werden kann. Rohstoff-Analysten wie Eugen Weinberg, die den Ölmarkt auch aus der Investoren-Perspektive betrachten, halten die Verfügbarkeit des schwarzen Goldes nach wie vor in erster Linie für "eine Frage des Preises". "Es wird immer Öl geben, wenn die Bezahlung stimmt. Grundsätzlich kann man auch aus 50 Kilometer Tiefe Öl fördern, wenn der Markt das verlangt", sagt Weinberg.
Falls auf absehbare Zeit nicht mehr Öl gefördert werden kann, bleibt kurzfristig die Hoffnung auf eine zurückgehende Nachfrage. Doch dieses Szenario blieb trotz fallender Wachstumsraten weltweit und einer wahrscheinlichen Rezession im größten Verbraucherland USA bislang aus. "Der Ölpreis wird auf hohem Niveau bleiben", prognostiziert daher Sven Streitmayer von der Landesbank Baden-Württemberg.
(SZ vom 30.04.2008/tob)
Copyright © sueddeutsche.de GmbH / Süddeutsche Zeitung GmbH Artikel der Süddeutschen Zeitung lizenziert durch DIZ München GmbH. Weitere Lizenzierungen exklusiv über www.diz-muenchen.de ----------- "Es gibt nichts, was so verheerend ist, wie ein rationales Anlageverhalten in einer irrationalen Welt. |