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Ende Juni entscheidet die britische Regierung, ob der in London inhaftierte Wikileaks-Gründer Julian Assange an die USA ausgeliefert werden darf. Im März hat Assange im Londoner Hochsicherheitsgefängnis Belmarsh seine Anwältin Stella Moris geheiratet. Im Interview erzählt Stella Assange, wie es ihrem Mann geht, was ihr Hoffnung macht – und was eine Auslieferung an die USA für die Pressefreiheit bedeuten würde.
Frau Assange, wann haben Sie das letzte Mal mit Ihrem Mann gesprochen?
Ich habe Julian am Dienstagmorgen in Belmarsh gesehen. Er befindet sich im härtesten Gefängnis des Vereinigten Königreichs, das als das britische Guantanamo Bay bekannt ist. Belmarsh erlaubt weiterhin nur Familienbesuche, wir sind die einzigen, die ihn regelmäßig sehen können.
Wie geht es ihm?
Er ist äußert widerstandsfähig, aber es ist schwierig. Sein Zustand verschlechtert sich von Tag zu Tag. Schon bevor er vor drei Jahren nach Belmarsh kam, wurde er sieben Jahre lang willkürlich in der ecuadorianischen Botschaft festgehalten, ohne Zugang zur Außenwelt oder direktem Sonnenlicht, so dass sich seine Gesundheit seit über einem Jahrzehnt verschlechtert hat. Er wurde absichtlich so behandelt, um ihn zu brechen. Der UN-Folterexperte Nils Melzer hat Julian im Jahr 2019 zusammen mit zwei medizinischen Experten begutachtet und kam zu dem Ergebnis, dass Julian psychologisch gefoltert wurde.
Sie waren seine Anwältin, inzwischen haben Sie zwei Kinder mit ihm, die drei und fünf sind. Wie erleben sie bei Gefängnisbesuchen die wenigen Stunden als Familie?
Wenn wir ihn besuchen können und er eine Stunde mit den Kindern verbringen kann, ist das wie eine Infusion von Leben und Hoffnung für unsere gemeinsame Zukunft als Familie. Gleichzeitig ist Julian und mir bewusst, dass uns vielleicht nur noch wenige Monate bleiben, bevor er für immer weggebracht wird, um im tiefsten Loch des US-Gefängnissystems lebendig begraben zu werden. Wenn Großbritannien ihn ausliefert, wird ihn das umbringen.
Wie war es, als sie Mitte März im Hochsicherheitsgefängnis geheiratet haben?
Die Erlaubnis zur Eheschließung im Belmarsh-Gefängnis war ein großer Sieg. Trotz der Schwierigkeiten war es ein schöner und besonderer Moment. Wir durften nur sechs Gäste mitbringen, einschließlich der Kinder. Die Trauzeugen, die wir ausgewählt hatten, wurden abgelehnt, weil sie zufällig Journalisten waren und das Gefängnis Angst vor der Öffentlichkeit hat. Seit Januar 2021 darf er nicht mehr persönlich an seinen eigenen Anhörungen teilnehmen. Die Presse hat ihn seit Mitte 2019, kurz nach seiner Verhaftung, nicht mehr fotografiert. Die Behörden wollen, dass er aus dem öffentlichen Bewusstsein verschwindet. Das ist es, was man seit jeher mit politischen Gefangenen macht: Wenn man sie nicht gleich umbringen kann, lässt man sie verschwinden, raubt ihnen das Leben, um sie vergessen zu machen, aber in diesem Fall hat man sich verkalkuliert, wie der weltweite Ruf nach Julians Freilassung zeigt.
Die britische Innenministerin muss bis Ende Juni über den Auslieferungsantrag der USA entscheiden. Was erwarten Sie?
Es gibt Kräfte in der britischen Regierung, die Julian ausliefern wollen, und andere, die das nicht wollen. Das Gleiche gilt für die Regierung von Joe Biden. Deutschland und die EU müssten eine entscheidende Rolle spielen. Die Entscheidung hängt davon ab, wie gut die politischen und diplomatischen Ressourcen aktiviert und wie gut die Zivilgesellschaft und die Aktivisten mobilisiert werden können, bevor diese kafkaeske Situation Julian das Leben kostet. Uns läuft die Zeit davon. Es geht hier nicht um einen Rechtsfall mit normalen Regeln. Wir sprechen von einem Mann, der zu 175 Jahren Haft verurteilt werden soll für dieselben Veröffentlichungen, für die er die renommiertesten Journalistenpreise erhalten hat.
Was macht Ihnen Mut, dass er nicht ausgeliefert wird?
Amnesty International, Reporter ohne Grenzen, Human Rights Watch und viele andere Gruppen, die sich für die Pressefreiheit einsetzen, sind der Meinung, dass dieses Verfahren eingestellt und Julian sofort freigelassen werden sollte. Die Vereinigten Staaten haben eine Spur der Kriminalität hinterlassen, nicht nur in den WikiLeaks-Publikationen, für deren Veröffentlichung Julian angeklagt werden soll, sondern auch in der Verfolgung von Julian selbst in den vergangenen zwölf Jahren. CIA-Mitarbeiter stehen inzwischen in Spanien vor Gericht für die kriminellen Aktivitäten, die in der ecuadorianischen Botschaft stattfanden, einschließlich der heimlichen Aufzeichnung von Julians Treffen mit seinen Anwälten, der Anweisung, eine Windel zu stehlen, um die DNA unseres sechs Monate alten Babys zu erhalten, des Einbruchs in das Büro von Julians Anwalt und vieles mehr. Diese Aktivitäten, die sich auch gegen deutsche Journalisten richteten, die Julian in der Botschaft besuchten, sind uns nur bekannt, weil Informanten, die in diese kriminellen Aktivitäten verwickelt waren, zur spanischen Polizei gingen.
Was bedeuten kritische Öffentlichkeit und Preise wie der „Günter Wallraff-Preis für Journalismuskritik“ für die Zukunft Ihres Mannes?
Ein renommierter Preis, der aus Deutschland kommt, hat großes Gewicht. Die Vereinigten Staaten versuchen, Julian in der öffentlichen Wahrnehmung verschwinden zu lassen, weil sie wissen, dass es sich um einen politischen Fall handelt. Der Preis ist eine Anerkennung für den enormen Beitrag, den Julian und Wikileaks zur demokratischen Rechenschaftspflicht geleistet haben. Wenn wir den Kampf um sein Leben gewinnen, werden Preise und viele andere Bemühungen Julian der Freiheit einen Schritt nähergebracht haben. |